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Tsunamiwarnung nach Kamtschatka-Erdbeben: In Tateyama (Präfektur Chiba, Ostjapan) trafen nach dem Magnitude-8,8-Beben in Russland Tsunamiwellen ein. Die Warnung gilt weiterhin, doch bislang blieben die Wellen mild und es wurde kein größerer Schaden gemeldet.

© imago/Independent Photo Agency Int.

Update

Forscher warnen nach Beben in Kamtschatka vor weiteren Tsunamis: „Die erste Welle ist möglicherweise nicht die größte“

Mit einer Magnitude von 8,8 zählt das Beben vor Kamtschatka zu den stärksten seit Jahrzehnten. Tsunamiwellen erreichten bereits Hawaii und Japan – die Gefahr weiterer Wellen bleibt bestehen.

Stand:

Das Seebeben, das sich am späten Dienstagabend Ortszeit vor der russische Halbinsel Kamtschatka ereignete, gehört zu den stärksten je aufgezeichneten seismischen Ereignissen. Mit einer Stärke von 8,8 erschütterte der Erdstoß um 23.24 Uhr Weltzeit (1.24 Uhr MESZ) die tektonisch hochaktive Region am pazifischen Feuerring – und setzte eine Tsunamiwelle in Bewegung, die zahlreiche Küstenstaaten im Nordpazifik erreichte.

Solche Beben gelten als extrem zerstörerisch. Ab einer Stärke von 8 sprechen Geophysiker von „megaseismischen“ Ereignissen – mit Schadenspotenzial über Hunderte Kilometer hinweg. Das Beben reiht sich damit ein in eine kurze Liste katastrophaler Naturereignisse, wie zuletzt das Seebeben vor Sumatra 2004 oder das Tōhoku-Beben in Japan 2011.

Zum Vergleich: Das schwere Erdbeben, das im Februar 2023 Teile der Türkei und Syriens verwüstete, erreichte eine Magnitude von 7,8. Obwohl schwächer, war es aufgrund der dichten Besiedlung eine der tödlichsten Katastrophen der letzten Jahrzehnte.

Das Epizentrum des schweren Hauptbeben vor Kamtschatka befand sich im Ozean rund 136 Kilometer östlich von Kamtschatkas Hauptstadt Petropawlowsk-Kamtschatski. Dem Hauptbeben folgten bislang mehr als 20 teils sehr kräftige Nachbeben, das bislang stärkste erreichte eine Magnitude von 6,8.

Seismologinnen und Seismologen gehen davon aus, dass die seismische Aktivität in der Region anhalten wird. Auch in den kommenden Tagen und Wochen seien weitere Nachbeben wahrscheinlich – darunter möglicherweise auch stärkere Erdstöße.

Luftaufnahme eines von einem Erdbeben und einem anschließenden Tsunami betroffenen Gebiets in der Region Sachalin im Osten Russlands.

© dpa/---

Die russische Halbinsel Kamtschatka gehört zu den seismisch aktivsten Regionen der Erde – bedingt durch ihre Lage an einer Subduktionszone. Dort schiebt sich die Pazifische Platte unter die kleinere Okhotsk-Platte, die geologisch zur Nordamerikanischen Platte zählt.

Solche gewaltigen Verwerfungen entstehen in Subduktionszonen, wo eine tektonische Platte unter eine andere abtaucht und im Erdmantel verschwindet. Hier können sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte enorme Spannungen zwischen den Erdplatten aufbauen. „Die Energie sammelt sich über lange Zeiträume an – und wird dann in einem Moment freigesetzt, wenn eine tektonische Platte, die an der darunterliegenden festhängt, plötzlich nachgibt“, erklärt Bill McGuire, emeritierter Professor für Geophysik und Klimagefahren am University College London (UCL).

Stärkstes Beben seit Fukushima

Das aktuelle Beben war mit einer Stärke von 8,8, das stärkste seit dem Tōhoku-Beben vor Japan im Jahr 2011, das mit einer Magnitude von 9,1 einen verheerenden Tsunami und in der Folge die Nuklearkatastrophe von Fukushima auslöste. Das Kamtschtka-Beben nun war eins der zehn größten Erdbeben auf der Erde seit 1900. Der Erdbebenherd lag in rund 21 Kilometern Tiefe, berichten Forschende des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam.

Mit einer Tiefe von rund 20 Kilometern im Erdinneren gilt das Seebeben als vergleichsweise flach – und damit potenziell besonders gefährlich. „Das bedeutet, dass es zu einer erheblichen Verschiebung des Meeresbodens gekommen sein wird“, erklärte Dan Faulkner, Dozent für Gesteinsmechanik an der Universität Liverpool, gegenüber dem britischen Science Media Center (SMC). Flache Erdbeben führen häufiger zu einer vertikalen Bewegung des Meeresbodens – und damit zur Verdrängung großer Wassermassen, die einen Tsunami auslösen können.

Faulkner schätzt, dass für ein so gewaltiges Ereignis wie das Kamtschatka-Beben ein Bereich der Verwerfung von rund 150 mal 400 Kilometern abgerutscht sein dürfte – eine Fläche, die fast der Hälfte der Landmasse Englands entspricht. „Dabei wird eine enorme Menge an Energie freigesetzt – etwa zehn Billionen Tonnen TNT“, so Faulkner. Glücklicherweise habe sich das Beben in einer dünn besiedelten Region ereignet. „Die eigentlichen Schäden durch das Erdbeben könnten deshalb begrenzt bleiben – die größere Gefahr geht vom Tsunami aus.“

Seismische Wellen bis Brandenburg

Sogar bis Brandenburg wurden die seismischen Wellen registriert: An der GFZ-Messstation in Rüdersdorf bei Berlin bewegte sich der Boden noch um etwa sechs Millimeter – eine ungewöhnlich hohe Amplitude für ein Beben aus dieser Entfernung.

Die Verteilung der zahlreichen Nachbeben deutet auf eine Bruchzone mit einer Ausdehnung von etwa 500 Kilometern hin – ein Indiz für die enorme Energiemenge, die bei dem Ereignis freigesetzt wurde.

Bereits am 20. Juli hatte die Serie mit einem Vorbeben der Stärke 7,4 in der Region Kamtschatka begonnen. Das GFZ rechnet nun mit weiteren Nachbeben in ähnlicher Größenordnung.

Tsunamialarm rund um den Pazifik

Für den gesamten Pazifikraum wurde eine Tsunami-Warnung ausgesprochen. Tsunamis brandeten zunächst gegen die Küsten Kamtschatkas und der Kurilen und breiteten sich dann über den Pazifik aus, wo in vielen Staaten Tsunamialarm gegeben wurde  – betroffen waren unter anderem Taiwan, die Philippinen, Indonesien, Inselstaaten Ozeaniens, Hawaii und Teile der US-Westküste. In Städten wie San Francisco heulten die Sirenen.

Tsunami-Warnungen nach dem Erdbeben der Stärke 8,8 vor Russlands Fernostküste: Das Satellitenbild zeigt Gebiete mit Warnungen (rot), Hinweisen (orange), Beobachtungen (gelb) und Gefahrenhinweisen (lila). US-Behörden warnen vor Wellen von bis zu drei Metern, die Russland, Hawaii, Japan und Guam bedrohen könnten.

© AFP/NOAA/-

Dass ein so großer Bereich des Pazifiks von den Tsunamiwellen betroffen sein könnte, erklärt sich aus der enormen Stärke des Erdbebens, der Lage des Epizentrums unter dem Meer sowie dem tektonischen Mechanismus dahinter: einer vertikalen Verschiebung des Meeresbodens durch das Beben. Wenn sich tektonische Platten heben oder senken, wird das darüber liegende Wasser verdrängt – so entsteht ein Tsunami.

Tsunamis infolge von Erdbeben entstehen fast ausschließlich in Subduktionszonen. Diese Zonen gelten als besonders gefährlich, da es dort zu plötzlichen, vertikalen Hebungen oder Senkungen des Meeresbodens kommen kann, die sehr große Wassermassen verdrängen.

Bekannte Subduktionszonen liegen entlang des Pazifischen Feuerrings, etwa im Sundagraben vor Indonesien oder rund um die japanischen Inseln. Nicht jedes starke Erdbeben führt jedoch zu einem Tsunami – wenn die Erdplatten sich vor allem horizontal verschieben oder das Epizentrum im Landesinneren liegt, bleibt eine Tsunamiwelle meist aus.

Orte auf den Kurilen evakuiert

In Severo-Kurilsk auf der Paramushir-Insel, der größten Insel der nördlichen Kurilen nordöstlich von Japan, haben Tsunamiwellen den Hafen und Teile der Stadt überschwemmt, berichtete der Geologe Marc Szeglat auf vulkane.net.

Auf Bildern ist zu sehen, wie ein vergleichsweise schmaler Küstenabschnitt unter Wasser steht. Laut offiziellen Behördenangaben wurden die Anwohner zuvor in Sicherheit gebracht – obwohl dafür nur wenig Zeit zur Verfügung stand.

Russland, Kamtschatka: Nach dem starken Erdbeben der Magnitude 8,7 am 30. Juli 2025 sind Teile der Hafenstadt Severo-Kurilsk in der Region Sachalin von Tsunami-Fluten überschwemmt. Das Beben ist das stärkste in der Region seit 1952.

© IMAGO/SNA/imago

Nach Angaben US-amerikanischer Medien lag die maximale Wellenhöhe an den Küsten Hawaiis und Japans dort am Morgen bei etwa einem Meter, im nördlichen Japan wurden noch höhere Wellen erwartet. Warnungen vor Tsunamiwellen galten vor allem an den östlichen Küsten Russlands und Japans sowie in westlichen Bundesstaaten der USA. In unmittelbarer Nähe zum Bebenherd an der Küste Kamtschatkas kam es nach Angaben von russischen Medien zu Wellen zwischen drei und fünf Metern Höhe. 

Auch im weiter südlich gelegenen Fukushima, wo 2011 ein noch stärkeres Erdbeben und ein verheerender Tsunami das Atomkraftwerk schwer beschädigten, wurden Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Dort bereitete man sich erneut auf einen Tsunami vor und evakuierte vorsorglich die Arbeiter.

Wellen so schnell wie Düsenjets

„Erdbeben dieser Stärke verschieben den Meeresboden plötzlich um Dutzende Meter – und das auf einer Strecke von mehreren Hundert Kilometern“, erklärt Dan Faulkner, Geologe an der Universität Liverpool. Dabei werde eine große Menge Meerwasser verdrängt, die sich wellenförmig vom Epizentrum entfernt und beim Auftreffen auf Küsten Tsunamis auslösen kann.

Wie hoch die Wellen dabei tatsächlich werden, hängt nicht nur von der Stärke des Bebens ab. „Die Höhe der Tsunamiwelle wird zusätzlich durch die Form des Meeresbodens in Küstennähe und die Topografie des Landes beeinflusst“, erklärt Lisa McNeill, Professorin für Tektonik an der University of Southampton. So könne derselbe Tsunami an verschiedenen Küsten ganz unterschiedliche Wellenhöhen erreichen – und dabei lokal überraschend große Schäden anrichten.

Petropawlowsk-Kamtschatski, Russland: Ein Kindergarten wurde beim Erdbeben der Stärke 8,7 am 30. Juli 2025 beschädigt. 

© IMAGO/SNA/imago

Jonathan Paul vom Department of Earth Sciences am Royal Holloway, University of London, beschreibt das Ausmaß des aktuellen Ereignisses eindrücklich: „Die plötzliche Aufwärtsbewegung des Meeresbodens in Kamtschatka hat eine riesige Menge Ozeanwasser verdrängt, das sich nun mit der Geschwindigkeit eines Düsenjets vom Epizentrum ausbreitet.“ 

Risiko weiter hoch

Auch nachdem am Vormittag erste Tsunamiwellen die Küsten im Pazifik erreicht hatten, ist die Gefahr nicht zwingend gebannt, warnt Ilan Kelman, Professor für Katastrophen und Gesundheit am University College London (UCL). „Die erste Welle ist möglicherweise nicht die größte“, sagt er.

„Deshalb sollten die Menschen in den betroffenen Regionen unbedingt auf die offizielle Entwarnung der Behörden warten.“ Zudem bestehe das Risiko, dass starke Nachbeben weitere Tsunamis auslösen könnten.

Trotz der gewaltigen Energie des Bebens blieben die beobachteten Tsunamiwellen bisher im Vergleich zu früheren Katastrophen moderat. Jonathan Paul vom Department of Earth Sciences am Royal Holloway, University of London, verweist auf deutliche Unterschiede zum Tōhoku-Beben in Japan 2011: „So signifikant der Tsunami auch ist – mit den Wellenhöhen von 2011 in Japan ist er nicht vergleichbar: Die Höhe liegt diesmal zwischen etwa einem und maximal 40 Metern.“ In Japan waren es stellenweise über 40 Meter.

Die seismische Aktivität in Kamtschatka sei schwer vorherzusagen, so Paul. Ein weiteres starkes Hauptbeben in derselben Region erwartet er in den kommenden Monaten jedoch eher nicht.

Die Auswirkungen des Tsunamis werden voraussichtlich noch den gesamten Mittwoch über zu spüren sein – auch an weit entfernten Küsten. Für den Westen der USA erwartet Paul Wellenhöhen von 30 bis 50 Zentimetern, etwa vergleichbar mit einer normalen Springflut.

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