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Neandertaler

© picture-alliance/dpa

Forschung: Neandertaler unter Kälteschock

War die Eiszeit schuld am Aussterben des Homo neanderthalensis? Oder doch der Homo Sapiens? Werkzeugfunde geben die Antwort.

Fielen die Neandertaler harschen Klimabedingungen zum Opfer, als die Temperaturen in Europa vor mehr als zwanzigtausend Jahren drastisch fielen und die Gletscher weiter vorrückten als in den hunderttausend Jahren davor? Oder war Homo neanderthalensis, der „Vetter“ von Homo sapiens der Verwandtschaft nicht gewachsen, mit der er um ähnlichen Lebensraum konkurrierte? In der Fachzeitschrift „Nature“ (Band 449, Seite 206) berichten Autoren um Chronis Tzedakis (Universität Leeds, Großbritannien) und Katerina Harvati (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig) über neue Spuren, die bei der Lösung dieses Rätsels weiter helfen können.

Allerdings sind prähistorische Indizien dünn gesät. Sicher ist, dass sich die Spuren der Neandertaler in Europa vor rund 30.000 Jahren verlieren. Damals bearbeiteten Neandertaler ihre Steinwerkzeuge in einer Technik, die als Moustérien-Kultur bezeichnet wird. Als in der Gorham-Höhle in Gibraltar solche Werkzeuge auftauchten, dachten Frühmenschenforscher sofort an Neandertaler.

Das Alter solcher Funde lässt sich anhand von Kohlenstoff-14-Atomen bestimmen. Diese radioaktiven Atome entstehen in der Luft durch Strahlung aus dem Weltraum und werden von Lebewesen aufgenommen. Solange der Organismus lebt, ist der Kohlenstoff-14-Anteil in den Zellen genauso hoch wie in der Luft. Nach dem Tod zerfallen die radioaktiven Atome allmählich, ohne dass neuer Kohlenstoff-14 nachkommt. Durch Messung des Kohlenstoff-14-Gehalts etwa in Holz oder Knochen, lässt sich ausrechnen, wann der Organismus gelebt hat.

Diese elegante Altersbestimmung stößt bei Funden in der Gorham-Höhle an ihre Grenzen. Die Moustérien-Werkzeuge sind nicht aus organischem Material hergestellt und sind daher prinzipiell nicht für die Kohlenstoff-14-Methode geeignet. Hilfsweise werden etwa Holzreste aus Küchenfeuern aus unmittelbarer Nähe des Werkzeugfundes herangezogen. So konnten die Forscher das Alter der Neandertaler-Werkzeuge in der Gorham-Höhle sicher auf 32.000 Jahre festlegen. Andere 28.000 Jahre alte Holzstücke ließen sich dagegen nicht eindeutig den Werkzeugen zuordnen. Und eine letzte Altersbestimmung mit 24.000 Jahren stammt aus einer Schicht, die im Laufe der Zeit erheblich durcheinander gewirbelt wurde und sich daher nur schwer den Neandertaler-Werkzeugen zuordnen lässt. Gerade diese Schicht könnte aber beweisen, dass Neandertaler noch vor 24.000 Jahren die Felsen von Gibraltar besetzt hielten.
 
Viele Probleme bei der Altersbestimmung

Die Altersbestimmungen haben aber noch ein weiteres Problem. Wie viel Kohlenstoff-14 in einer Probe heute noch vorhanden ist, hängt nicht nur vom Zeitpunkt des Absterbens des betreffenden Organismus ab, sondern auch vom damaligen Gehalt an Kohlenstoff-14 in der Luft. Dieser Gehalt schwankt jedoch. „Daher müssen alle Kohlenstoffbestimmungen von Proben, die mehr als 21.500 Jahre alt sein könnten, mit anderen Klimadaten geeicht werden“, so die Forscher in „Nature“. Nur dann lasse sich das Alter der Probe zuverlässig herausbekommen.

Da es solche Eichungen für Funde aus Gibraltar in dieser Zeit nicht gibt, verglichen Harvati und Kollegen die Kohlenstoff-14-Analysen von Funden der Gorham-Höhle direkt mit entsprechenden Analysen winziger Pflanzen, die aus einem Bohrkern vom Meeresgrund vor Venezuela stammten. Gleiche Kohlenstoff-14-Daten weisen nach, dass Neandertalerprobe und Schichten im Meeresboden gleich alt sein müssen. Woher kennt man aber das Alter des Meeresbodens? Das verrät der Vergleich mit bestimmten Schichten im Grönlandeis. Von diesen Schichten sind sowohl Alter als auch damals herrschendes Klima bekannt.

Der Vergleich sagt nun, dass der unumstrittene älteste Neandertaler-Hinweis in der Höhle und das nicht eindeutig zuordenbare Indiz aus Klimaepochen stammen, die nicht sonderlich auffällig sind. Nur die jüngste Probe, deren Zusammenhang mit den Neandertaler-Werkzeugen jedoch umstritten ist, stammt aus der Zeit, als das Klima massiv kälter wurde und die Gletscher auf dem Vormarsch waren. Es dürfte also nicht am dramatischen Klimawandel gelegen haben, dass die Neandertaler so plötzlich verschwunden sind. „Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sie aufgrund einer Eiszeit ausgestorben sind“, resümieren die „Nature“-Autoren. Ob dagegen Homo sapiens die Finger im Spiel hatte, bleibt weiter eine offene Frage. 

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