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Freie Sicht: Heimunterricht muss erlaubt sein

Warum verteidigt der Staat in Deutschland die Schulpflicht mit Zähnen und Klauen? Die Antwort ist leider nicht schmeichelhaft.

Anna ist Schulphobikerin, verbrachte zwei Jahre vor ihrem 16. Geburtstag zwischen Bett und Fernseher, die Eltern hatten Mühe, sie dem polizeilichen Zugriff zu entziehen, ein Psychiater brachte die erlösende Entlastung. Ihre Eltern durften sie unterrichten.

Eine Ausnahme in Deutschland. Im Gegensatz zu Österreich, Schweiz, Belgien und Dänemark, wo eine Bildungspflicht besteht, aber nicht eine Schulpflicht, oder zu Irland, Italien und Spanien, wo Hausunterricht sogar verfassungsrechtlich gesichert ist, und im Gegensatz zu den USA, wo die Schulpflicht abgeschafft und durch die Möglichkeit zu Homeschooling ersetzt wurde, leistet Deutschland sich die Kontinuität einer Zwangsbeschulung. Die hat einmal ihren guten Sinn gehabt. Friedrich der Große führte nämlich die Schulpflicht ein, um den Kindern der Analphabeten eine Chance zu geben, die den damals in Adel und Bürgertum üblichen Hausunterricht durch „Hofmeister“ nicht bezahlen konnten und zur eigenen Unterweisung ihrer Kinder nicht in der Lage waren.

Das ist lange her. Solche Verhältnisse gelten nur noch für einen verschwindend kleinen Teil der Bevölkerung, kein Grund also, die Schulpflicht nicht durch eine Bildungspflicht zu ersetzen. Sie besteht in Österreich zum Beispiel darin, dass zu Hause unterrichtete Kinder regelmäßig von einer staatlichen Schule geprüft werden. Bestehen sie diese Jahresprüfung nicht, müssen sie auf eine staatliche Schule wechseln. Die USA lösen das Problem der Qualitätssicherung durch ein normiertes Medienangebot für den häuslichen Unterricht, und in Dänemark gibt es schon seit 150 Jahren keine Schulpflicht mehr.

Ich frage mich, warum der Staat in Deutschland die Schulpflicht mit Zähnen und Klauen verteidigt. Die Antwort ist leider nicht schmeichelhaft: Adolf Hitler führte das Verbot des Hausunterrichts 1938 aus leicht durchschaubaren Gründen ein. Er wollte keine Bereiche entstehen lassen, die der staatlichen Kontrolle entzogen wären. Und dann? Was für Ulbricht und Honecker noch gegolten haben mag, ist für das wiedervereinte Deutschland schwer verständlich. Vor welcher Freiheit hat man Angst? Machen wir uns nichts vor: Die Zahl von Politikern, die die Bevölkerung gern bevormunden, steigt, der Kampf gegen Religionsunterricht zeigt dieses ebenso wie wiederkehrende Debatten über eine Zensur des Internets. Und: Es kommt doch wohl darauf an, was Kinder gelernt haben, aber nicht durch wen. Das sollten Eltern entscheiden dürfen. Und: Während der Schüler einer Staatsschule jährlich bis zu 10 000 Euro kostet, gibt es Homeschooling kostenfrei. Schauen wir einmal, welche Chancen die Finanzkrise noch bietet.

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten. In der kommenden Zeit blickt er auf das Bildungswesen im Ausland.

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