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Nicht in allen Bundesländern gibt es durch Ganztagsschulen viel zusätzliche Lernzeit.

© dpa

Bertelsmann-Studie zu Ganztagsschulen: Ganztag ist nicht gleich Ganztag

Die Lernbedingungen in den Ganztagsschulen unterscheiden sich zwischen den Bundesländern enorm. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Berlin steht demnach gut da.

Ganztagsschule ist in Deutschland nicht gleich Ganztagsschule. Vielmehr weichen die Rahmenbedingungen - also zusätzliche Lernzeiten und die Ausstattung mit Pädagogen - von Bundesland zu Bundesland stark voneinander ab. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, die an diesem Donnerstag herauskommt. Von „dramatischen Unterschieden bei den Lernbedingungen“ spricht Dirk Zorn, mit dem Essener Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm Autor der Studie. So beträgt die zusätzliche Lernzeit an Ganztags-Grundschulen in Hessen 22 Stunden, während sie in Thüringen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen nur bei acht Stunden liegt.

Für die Studie wurden gebundene Ganztagsschulen untersucht, also Schulen, in denen der Besuch der Nachmittagsangebote für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend ist. Pädagogisch gelten gebundene Ganztagsschulen als besonders sinnvoll, sie sind allerdings immer noch in der Minderheit.  Derzeit besuchen laut Zorn rund 1,7 Millionen Schülerinnen und Schüler eine gebundene Ganztagsschule, was in etwa jedem 5. Schüler in Deutschland entspricht (17,6 Prozent).

Die Autoren werteten für die Studie die gesetzlichen Rahmenbedingungen der 16 Bundesländer für Ganztagsschulen aus. Damit habe die Studie zwar keinen Anspruch, etwas über den Schulalltag auszusagen, sagt Zorn: „Dafür macht sie deutlich, was den Ländern gute Lernbedingungen im Ganztag überhaupt wert sind.“ In einigen Ländern zeige sich, dass der Ausbau der Ganztagsschulen pädagogisch gesehen eine „Luftnummer“ sei, kritisiert Zorn. Laut der Studie  schaffen es nur das Saarland und Berlin, in allen Jahrgangsstufen ein gutes Verhältnis zwischen einer ausgeprägten zusätzlichen Lernzeit und einer entsprechenden Personalausstattung anzubieten.

Grundschulen stehen besser als Gymnasien da

Prinzipiell sieht die Situation in der Grundschule etwas besser als in den weiterführenden Schulen aus. In der Grundschule stehen Ganztagsschülern bundesweit im Schnitt knapp 14 Stunden über den „normalen“ Unterricht hinaus zum Lernen zur Verfügung.

Schon die Zahl der Tage, an denen ein Ganztagsbetrieb laut den Vorgaben vorgehalten werden muss, variiert dabei von drei (NRW, Sachsen, Thüringen) bis fünf (Bremen, Hamburg, Hessen, Schleswig-Holstein). In Berlin und Hessen sollen Ganztagsschulen mindestens 8,5 Stunden am Tag geöffnet sein, während es in Ländern wie Bremen, NRW und Sachsen nur sieben Stunden sind. In der Zusammenschau bietet Hessen mit gut 22 Stunden die meiste Zeit über die Unterrichtspflichtstunden hinaus, während Thüringen mit 7,9 Stunden Schlusslicht ist. Berlin liegt mit 16,2 zusätzlichen Stunden in der Spitzengruppe.

Nun nutzt zusätzliche Lernzeit wenig, wenn Pädagogen fehlen, um die Stunden sinnvoll als Ergänzung der Pflichtstunden zu nutzen. Laut der Studie sind die Unterschiede auch hier enorm. So setzen sechs Länder, darunter NRW, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, ausschließlich auf zusätzliche Lehrerstunden im gebundenen Ganztag. Berlin, Sachsen und Thüringen bevorzugen dagegen ausschließlich Nichtlehrkräfte, also vor allem Erzieher.

Nur wenige Länder stellen genügend Personal für den Ganztag

Nur wenige Länder sehen vor, überhaupt die zusätzliche Lernzeit auch voll mit zusätzlichem Personal abzudecken: Nämlich Berlin, das Saarland, Sachsen und Thüringen. Bremen und Hessen dagegen finanzieren aus Landesmitteln für gerade einmal 22 Prozent der Mehrzeit zusätzliches Personal. Womöglich kommen hier aber auch Ehrenamtler oder durch Kommunen oder private Schulträger bezahlte Lehrkräfte und Erzieher dazu, heißt es in der Studie. Auch würden die Vorgaben noch nichts darüber aussagen, ob zusätzliches Personal in der Praxis tatsächlich genehmigt wird.

In der Sekundarstufe I ist die Abdeckung mit zusätzlichem Personal noch geringer. An Thüringer Gymnasien werden nur 20 Prozent der Mehrzeit von zusätzlichem Personal abgedeckt, in Bremen 22 Prozent. Führend sind hier Sachsen-Anhalt, NRW, Berlin und Rheinland-Pfalz, wo sogar mehr zusätzliches Personal vorgesehen ist, als für die Abdeckung der reinen zusätzlichen Lernzeit nötig wäre. Die zusätzliche Lernzeit beträgt an Ganztagsschulen der Sekundarstufe zwischen vier Stunden (unter anderem NRW und Sachsen) und 16 Stunden (Hessen).

Forderung nach bundesweiten Mindeststandards

Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, forderte die Länder auf, bundesweite Mindeststandards für Ganztagsschulen aufzustellen. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen gebundener Ganztagsschulen würden auf ein konzeptionelles Vakuum hinweisen.

Bereits in der vergangenen Woche hatten Wissenschaftler in der „Studie zur Entwicklung der Ganztagsschule" (StEG) kritisiert, dass sich die Vorstellungen davon, was eine Ganztagsschule ausmacht, in den Bundesländern weit auseinander entwickelt hätten. Die Möglichkeiten von Ganztagsschulen würden nicht ausgeschöpft, erklärten die Forscher.

In Berlin dürfte die Studie Verwunderung auslösen

Berlins Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) erklärte, zahlreiche Berliner Ganztagsschulen hätten sich auf dem Weg gemacht und gute Bildungsangebote über den ganzen Tag entwickelt. Eine zentrale Herausforderung bleibe die Entwicklung eines gemeinsames Bildungsverständnisses.

In Berliner Schulen dürfte die Studie auch Verwunderung auslösen. Erst unlängst hatten Pädagogen gegen eine unzureichende Ausstattung an Ganztagsschulen protestiert. Es fehle an Räumen und Personal, die Betreuungsrelationen am Nachmittag seien viel zu groß, lautete die Kritik.

Nun unterscheiden sich natürlich auch die Schulen in den Bundesländern erheblich voneinander. Sechs Kriterien, woran Eltern Schulen mit guten Entwicklungsperspektiven für ihre Kinder erkennen, hat unlängst die Hertie-Stiftung aufgestellt, wobei sie auf Erfahrungen aus den Siegerschulen des Wettbewerbs "Starke Schulen" zurückgreift. So ist die individuelle Förderung von Schülern ein zentraler Aspekt, ebenso eine Atmosphäre gegenseitiger Wertschätzung. Eltern sollten als Bildungspartner eingebunden werden, Netzwerke mit Betrieben, Theatern, Vereinen oder Hochschulen der Region eingegangen werden, um Kindern und Jugendlichen Erfahrungen jenseits der Schule zu ermöglichen. Gute Schulen würden sich auch rechtzeitig um den Übergang ihrer Schüler ins Berufsleben kümmern. Nicht zuletzt sei die beständige Qualitätsentwicklung ein zentraler Aspekt - etwa durch regelmäßige Fortbildungen der Lehrkräfte.

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