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Lila Linien. Die Lavendelfelder der Provence sind beliebte Fotomotive.

© IMAGO

Gefahr für Lavendel: Bedrohte Blüte

Eine von Zikaden übertragene Krankheit gefährdet die Lavendelölernte in der Provence. Forscher verstehen den Erreger immer besser. Doch die Seuche ist schwer zu stoppen.

Zikaden sind in Südfrankreich so etwas wie Maskottchen. Die Insekten prägen mit ihrem Zirpen und Brummen nicht nur den Sound der Provence, als Glücksbringer zieren sie aus Porzellan nachgeformt Hauseingänge und Wohnräume. Doch eine Zikadenart ist bei den Menschen in der Provence alles andere als beliebt: Die Glasflügelzikade Hyalesthes obsoletus. Das vier Millimeter große Tier saugt gerne an krautigen Pflanzen und überträgt dabei eine Krankheit, die eine weitere Besonderheit der Provence bedroht: den Lavendel.

Schier endlose, violette Bahnen von Büschen vor einem klaren, blauen Himmel: Die Lavendelpflanzen sind nicht nur das Lieblings-Fotomotiv für Touristen, sondern auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die blauvioletten Blüten enthalten ätherische Öle, aus denen die etwa 2200 Lavendelbauern in der Provence nach der Ernte die duftenden Essenzen destillieren.

10.000 Arbeitsplätze hängen direkt von der Lavendelproduktion ab

Auch wenn der Anbau ein hartes und schweißtreibendes Geschäft ist, mit den Pflanzen lässt sich immer noch gutes Geld verdienen. Ein Kilogramm echtes Lavendelöl bringt bis zu 150 Euro ein, der Marktpreis beim Lavandin, einer weniger edlen Lavendelform, liegt bei rund 20 Euro pro Kilo. Insgesamt auf 20 000 Hektar werden die Pflanzen in der Haute-Provence angebaut. 30 Millionen Euro Umsatz werden nach Schätzungen der regionalen Behörden demnach jährlich mit dem blauen Gold erzielt; bis zu 10 000 Arbeitsplätze hängen direkt von der Lavendelproduktion ab.

Doch die kleine Glasflügelzikade hat das Idyll erschüttert. Viele der Pflanzensauger tragen Stolbur-Phytoplasmen, bedrohliche Bakterien. Bei ihren Mahlzeiten injizieren die Zikaden die Erreger in die Gewächse. Die Bakterien breiten sich über das Leitgewebe der Pflanze aus und verstopfen die Nährstoffkanäle. „Gerade junge Lavendelpflanzen sind betroffen, sie werden gelb, bilden keine Blüten mehr und verkümmern“, sagt Éric Chaisse, Direktor von Crieppam, einer Forschungseinrichtung für Lavendel und andere Aromapflanzen in Manosque. Für die Lavendelbauern seien solche Fälle desaströs: Büsche, die mindestens zehn Jahre in Dauerkultur bewirtschaftet werden sollten, müssten so bereits nach drei Jahren gerodet und ersetzt werden, sagt Chaisse.

Die Hälfte der Anbaufläche verloren

Aufgetaucht ist die Lavendelkrankheit in der Provence schon vor etwa 25 Jahren. In den 2000er Jahren gab es dann eine Reihe von Hitzewellen – und die Pflanzenseuche trat mit ungekannter Wucht auf den Plan. „Zwischen 2005 und 2010 haben wir die Hälfte der Anbaufläche verloren. Die Lavendelölproduktion ist von 85 Tonnen auf 30 Tonnen eingebrochen“, sagt Chaisse.

So entwickeln sich die Zikaden in den Lavendelpflanzen - und mit ihnen die schädlichen Erreger.
So entwickeln sich die Zikaden in den Lavendelpflanzen - und mit ihnen die schädlichen Erreger.

© Iteipmai/TSP

Der Übeltäter, das Bakterium Stolbur-Phytoplasma, ist ein einfach gebauter Zellparasit, der nur schwer zu fassen ist. Er besitzt keine Zellwand und weil er sich nicht im Labor kultivieren lässt, galt er lange als Phantom unter den Pflanzenerregern. Der Erreger vermehrt sich in den Leitgefäßen und im Pflanzensaft, nicht nur im Lavendel, sondern auch bei anderen Kräutern und Gemüse. Die ausgewachsenen Zikaden wie auch die Larven saugen an diesen Pflanzen, nehmen das Bakterium auf und tragen es dann zu gesunden Pflanzen weiter. Weiter verschärft wird das Problem durch anhaltende Dürreperioden. „Die sind strapaziös für die Pflanzen, während die Zikaden die Hitze lieben und sich stark vermehren“, so Chaisse. „Es ist ein Teufelskreis.“

Statt Blüten wachsen bloß Blätter

Erst in den vergangenen Jahren ist es Mikrobiologen überhaupt gelungen, den raffinierten Überlebenstricks des Erregers auf die Spur zu kommen. So hat das Bakterium offenbar die Fähigkeit entwickelt, seinen pflanzlichen Wirt in seinem Sinne zu beeinflussen. Wie Forscher um Saskia Hogenhout dieses Jahr im Fachjournal „Plos Biology“ berichteten, produzieren die Phytoplasmen ein bestimmtes Protein, das das Entwicklungsprogramm von Pflanzen heftig durcheinanderbringt. Die Folge: Anstelle von Blüten entstehen bloß immerzu grüne Blätter. „Evolutionsbiologisch sind die Pflanzen tot, weil sie keine Nachkommen produzieren können“, sagt Hogenhout. Die Mikroben machen die Pflanzen zu Zombies, denn für die Erreger ist die Verwandlung förderlich: Das Mehr an grünen Blättern lockt messbar mehr Zikaden an, die den Pflanzenkeim weiterverbreiten.

Saugetier. Die Glasflügelzikade saugt gerne am Lavendel und überträgt dabei Erreger, die die Pflanze bedrohen.
Saugetier. Die Glasflügelzikade saugt gerne am Lavendel und überträgt dabei Erreger, die die Pflanze bedrohen.

© Michael Maixner/JKI

Direkte Gegenmittel gibt es keine, der Einsatz von wirksamen Antibiotika gegen die Phytoplasmen ist verboten. Und auch das Spritzen von Insektiziden gegen die Zikaden kommt nicht infrage, denn das würde auch die Honigbienen in Gefahr bringen. Immerhin erforschen die Crieppam-Wissenschaftler ein ganze Reihe von Lösungen, mit dem sich der Ausbreitung zumindest vorbeugen lässt. „Wir haben Lavendelsorten namens Rapido, Carla oder Diva gezüchtet, die zwar nicht resistent sind, den Phytoplasmen-Befall aber offenbar besser tolerieren“, erläutert Chaisse.

Weißer Lehm soll die Pflanzen schützen

Zudem werden im Forschungsinstitut unter dem Schutz von Insektennetzen im großen Maßstab kerngesunde, also „keimfreie“ Lavendelpflänzchen gezogen und diese dann an die Betriebe abgegeben. Neben speziellen Anbauverfahren empfehlen die Lavendelforscher den Landwirten zudem, die Jungpflanzen auf dem Acker während der Flugzeit der Zikaden mit Kaolinit zu behandeln. Der weiße Lehm bildet auf Trieben und Blättern eine wirkungsvolle Schutzschicht, die die Insekten von Kostproben abhält.

„Insgesamt hat das geholfen, die Krankheit in der Provence etwas einzudämmen. Doch auch in dieser Saison beobachten wir wieder Infektionsherde, die hartnäckig überdauert haben oder neu aufflackern“, sagt Chaisse. Inzwischen hat sich die Situation zumindest etwas gebessert, was auch an günstigeren Witterungsverhältnissen liegt. „2011 und 2013 hat es im Sommer viel geregnet, das hat geholfen, die Ausbreitung der Krankheit zu bremsen“, sagt der Lavendelexperte. Da sich die Kulturen etwas erholt hätten, sei die Lavendelölproduktion auf etwas mehr als 50 Tonnen gestiegen.

Auch deutsche Weinberge sind bedroht

Die Phytoplasmose ist aber keinesfalls ein auf die Provence beschränktes Problem. Das hitzeliebende Gespann Zikade und Bakterium richtet auch in Deutschland Schaden an: Hier löst es bei Reben in den deutschen Weinbaugebieten die Schwarzholzkrankheit aus. Die Blätter der Reben verfärben sich gelb, befallene Triebe werden blauschwarz und verkümmern. Die geschwächten Reben sterben zwar nicht ab, bringen den Winzern aber weniger Ertrag.

„Besonders in den Weinbergsteillagen an Mosel, Rhein und Nahe ist die Krankheit verbreitet“, sagt Michael Maixner vom Julius-Kühn-Institut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau im pfälzischen Siebeldingen. Maixner beschäftigt sich seit Jahren mit der Zikade Hyalesthes obsoletus und der Verbreitung der Schwarzholzkrankheit. Zur Flugzeit der Zikaden im Juli ist er nahezu täglich in den Weinbergen unterwegs und kontrolliert die aufgestellten Klebefallen auf infizierte Tiere. Derzeit kooperiert er mit Mikrobiologen aus Bordeaux, die auch das Lavendel-Problem erforschen.

Das jüngste Opfer: Brennnesseln

Im Vergleich zur Lavendelseuche ist die Schwarzholzkrankheit allerdings eher ein Kollateralschaden. „Im Unterschied zum Lavendel leben die Zikaden nicht an den Weinreben, sondern saugen nur irrtümlich an ihnen“, sagt Maixner. Für die Erreger stellten die Reben eine Sackgasse in ihrem Verbreitungszyklus dar. Die bevorzugte Wirtspflanzen der Insekten ist die ebenfalls in den Weinbergen vorkommende Ackerwinde.

Die Forscher aus Siebeldingen haben beobachtet, wie in den vergangenen Jahren ein neues Lieblingsgewächs hinzugekommen ist – die Brennnessel. „Sowohl die Zikade als auch die Phytoplasmen haben sich immer stärker auf die Brennnessel spezialisiert. Das ist ein Grund, wieso die Schwarzholzkrankheit zunehmend auch in flacheren Weinbaulagen in Baden, Württemberg und der Pfalz auftaucht“, sagt Maixner. Zumindest indirekt gebe es Anzeichen, dass dieses Phänomen auch mit dem Klimawandel zusammenhängen könnte. „Die Zikaden konnten sich die Brennnessel nur als Wirtspflanze erschließen, weil sich deren Vegetationsperiode in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verlängert hat“, sagt Maixner. Er beobachte mehrjährige Zyklen, in denen sich die Lage verschlimmere, um sich dann wieder zu erholen. Die Winzer an der Mosel hätten sich nach jahrzehntelanger Erfahrung bereits mit der Krankheit arrangiert. Doch wo das Duo aus Zikade und Bakterium zum ersten Mal auf den Plan trete, sorge es mancherorts – wie bei den Lavendelbauern in der Provence – für Panik.

Philipp Graf

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