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Energie aus der Tiefe. In den USA wird Shale Gas (Schiefergas) bereits seit Jahren gefördert. Dadurch hat sich das Land weniger abhängig von Importen gemacht. Nun werden entsprechende Vorkommen auch in anderen Ländern erschlossen, wie hier in Polen.

© REUTERS

Shale Gas: Gefährliches Gemisch

Die Förderung von Gas aus Tonschiefern ist umstritten. Kritiker fürchten Umweltverschmutzung und Landschaftszerstörung. Nun soll auch in Deutschland die Gewinnung beginnen. Experten diskutieren, ob das zu verantworten ist.

Das Leck auf der Gasförderplattform „Elgin“ in der Nordsee hat es erneut deutlich gemacht: Der Energieträger ist immer schwieriger zu gewinnen. Die günstig gelegenen Lagerstätten sind ausgebeutet, zunehmend werden Vorkommen in großer Tiefe erschlossen. Das stellt enorme Ansprüche an die Fördertechnik. Nicht immer hält das Material der hohen Temperatur und dem Druck stand, wie das noch immer unkontrolliert ausströmende Gas zeigt.

Längst haben die Gasfirmen wieder Lagerstätten auf dem Festland in den Blick genommen, die bisher nicht abbauwürdig waren, aber nun mit neuen Fördertechniken ausgebeutet werden sollen: „Shale Gas“ oder Schiefergas. In den USA wird es bereits im großen Umfang gewonnen, doch es gibt noch viele weitere Vorkommen, auch in Niedersachsen und Teilen Nordrhein-Westfalens.

Shale Gas sitzt nicht – wie bei gewöhnlichen Lagerstätten – in porösen Sedimentschichten, sondern noch in dichten Schiefergesteinen, wo es sich vor Jahrmillionen aus abgestorbenem Plankton gebildet hat. Um das Gas aus den dichten Schichten herauszuholen, ist einiger technischer Aufwand nötig. Unter anderem das künstliche Aufbrechen des Gesteins mithilfe von Wasserdruck, „Hydraulic Fracturing“ genannt. Das Verfahren ist umstritten, denn es wird nicht nur Wasser in die Tiefe gepumpt, sondern auch einige Chemikalien. Kritiker warnen vor Grundwasserschäden und Landschaftszerstörung.

Welche Folgen die Förderung von Shale Gas haben kann, im positiven wie im negativen, lässt sich im Nordosten der USA studieren. In Pennsylvania begann vor einigen Jahren ein regelrechter Gasrausch. Die Folgen: Steigende Fördermengen und Wirtschaftsleistung, aber auch Umweltverschmutzung. So kam es beispielsweise vor, dass die Chemikalienbrühe vom Bohrplatz in die Landschaft floss. „Das wäre bei uns in Deutschland kaum möglich“, sagt Ulrich Ewers vom Hygiene-Institut des Ruhrgebiets in Gelsenkirchen. „Hierzulande ist das Gelände um die Bohrungen versiegelt, so dass nichts in den Boden eindringen kann, außerdem befindet sich ringsum eine hohe Kante, damit die Flüssigkeit nicht wegfließen kann.“

Ewers ist einer von mehreren Fachleuten, die derzeit im Auftrag von Exxon-Mobil an einem Gutachten zu den Risiken des Fracking schreiben. Die Forscher arbeiteten unabhängig, darauf legt der Gaskonzern großen Wert. Ende April soll der Bericht erscheinen, kürzlich trafen sich die Experten in Berlin und trugen ihre Ergebnisse zusammen.

Eines der großen Themen war die Toxikologie, also mögliche Gefährdungen für Mensch und Umwelt durch die verwendeten Chemikalien. „Zunächst muss man sagen, dass viele davon keine Exoten sind, sondern auch in zahlreichen anderen Gebieten genutzt werden“, sagt Ewers. Etwa Gelbildner, sie sollen die Flüssigkeit etwas zäher machen. So wird gewährleistet, dass der zugefügte Quarzsand, der die geöffneten Spalten dauerhaft offen halten soll, auch überall hingelangt und nicht bereits am Anfang seiner Reise sedimentiert. „Für diesen Zweck werden meist modifizierte Polysaccharide eingesetzt, wie sie auch im Joghurt zu finden sind“, erläutert der Chemiker. Gleichwohl gibt es aber auch Stoffe, die Mikroorganismen abtöten oder gar im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen. Immer häufiger würde auf solche Verbindungen verzichtet, sagt Ewers.

Aber eben nicht vollständig. Daher stellt sich die Frage: Können die Frac-Fluide ins Grundwasser oder auf anderem Wege zum Menschen gelangen?

Eigentlich dürfte das nicht passieren, der Flüssigkeitskreislauf ist in der Theorie abgeschlossen. Die Gaslagerstätten sind vermutlich keine Schwachstelle. Sie sind mindestens 1000 Meter tief und werden von mächtigen Schichten nach oben hin begrenzt. Zu mächtig und zu dicht, als dass Fluide bis ins Grundwasserstockwerk vordringen könnten, sagen die meisten Geoforscher.

Eine größere Gefahr seien die Bohrungen, da diese auf dem Weg zum Gas häufig durch das Grundwasser führen. Normalerweise sind die Röhren durch mehrfache Lagen aus Stahl und Beton gegen die umschließenden Schichten abgeschirmt. „Untersuchungen haben aber gezeigt, dass vor allem ältere Bohrungen undichte Wände haben, weil etwa die Zementierung lückenhaft ist und die Stahlhülle korrodiert“, sagt Hans-Joachim Uth, der als Experte für Anlagensicherheit am aktuellen Gutachten beteiligt ist. Die heute verwendeten Techniken und Materialien seien zuverlässiger, sie hielten dicht. „Ob das auch für die Zukunft gilt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen“, fügt er hinzu. Die geplanten Förderzeiten betrügen 10 bis 20 Jahre, über diesen Zeitraum gibt es noch keine Informationen.

Sein Kollege Ewers sieht die Gefahr weniger in der Bohrung, sondern eher an der Oberfläche: Wo die Fluide aus Lagertanks auslaufen oder der Laster mit der Lieferung einen Unfall haben könnte. In einem Trinkwasserschutzgebiet würde er daher keine Shale-Gas-Bohrungen erlauben. „Unterm Strich sehe ich in dem Verfahren aber kein größeres Risiko als etwa beim Betrieb von Tankstellen“, sagt der Toxikologe und schiebt rasch hinterher: „Allerdings gibt es auch bei technisch ausgereiften Anlagen nie eine hundertprozentige Sicherheit dafür, dass nichts passiert.“

Doch nicht nur der Einsatz von Chemikalien wird von Kritikern ins Feld geführt. Auch die Angst vor künstlich ausgelösten Erdbeben kursiert.

Während bei der Erschließung von Geothermie stärkere Erschütterungen durchaus vorkommen , seien diese beim Fracking viel geringer, sagt Manfred Joswig, Experte für künstlich erzeugte Erdbeben von der Universität Stuttgart. Denn die gasführenden Schichten werden – anders als geothermische Reservoire – nur auf sehr kleinem Raum auseinandergedrückt. „Selbst mit unseren empfindlichsten Geräten lassen sich die Erschütterungen an der Oberfläche nicht mehr registrieren, das geht nur mit Sensoren im Bohrloch“, sagt Joswig.

Bleibt noch die Frage, ob die kleinen Fracking-Stöße womöglich größere „natürliche“ Erdbeben auslösen. Die Idee dahinter: Der Untergrund steht bereits unter Spannung und die kleinen Erschütterungen „bringen das Fass zum Überlaufen“. Das ist nicht abwegig, denn auch in Norddeutschland gibt es immer wieder Erschütterungen natürlichen Ursprungs. „Ob ein solcher Zusammenhang möglich ist, darüber sind sich die Experten uneins“, sagt der Geophysiker. Denn die natürlichen Beben treten in rund fünf Kilometern Tiefe auf, die Shale-Gas-Horizonte liegen wesentlich höher. „Es ist nicht sicher, ob ein Fracking so starke Erschütterungen produziert, dass ein Erdbeben in der Tiefe induziert wird.“

Joswig glaubt, dass die Gefahr gering ist, nennt aber auch ein Gegenbeispiel. Im englischen Bowland-Schiefer hat Fracking im letzten Jahr zu einem spürbaren Erdbeben geführt. „Dort kamen aber viele ungünstige Voraussetzungen zusammen“, erläutert er. Die Bohrung befand sich direkt an einer tektonischen Störung und der Untergrund war deutlich unter Spannung. Seiner Ansicht nach können eine solide Vorerkundung und die Überwachung des Frac-Vorgangs mit empfindlichen Messgeräten das Risiko verringern. „Sobald das Gestein unerwartete Reaktionen zeigt, kann der Versuch abgebrochen werden, indem kein Wasser mehr zugeführt oder das bereits eingepresste wieder abgepumpt wird.“

Eine offizielle Stellungnahme, ob Fracking eine beherrschbare Technik ist oder nicht, will der Expertenkreis am 25. April präsentieren. In Gesprächen zeichnet sich bereits eine Tendenz ab: Sofern die Anlagen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft eingerichtet und betrieben werden, seien die Risiken vertretbar.

„Die Gasfirmen werden alles tun, um Pannen zu vermeiden“, sagt der Toxikologe Ewers. „Andernfalls wäre das ohnehin geringe Vertrauen verspielt und die Technik erledigt.“

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