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Genetik: Mach doch mal das zweite X an

Eines der beiden X-Chromosomen bei Frauen ist stets abgeschaltet. Forscher können es jetzt medikamentös wieder einschalten. Ein neuer Therapieansatz.

Männer haben bekanntlich nur ein X-Chromosom, Frauen zwei. Eine molekularbiologische Ungleichheit, die die Natur kompensiert, indem sie in jeder Zelle eines der zwei X-Chromosomen abschaltet – zufällig mal das eine, mal das andere. Im Mikroskop erscheint dieses abgeschaltete X als schwarzer Fleck im Zellkern, als Barrkörperchen. Forschern der University of Massachusetts in Worcester und der Yale University in New Haven ist es jetzt erstmals gelungen, abgeschaltete X-Chromosomen mithilfe von zwei Medikamenten wieder einzuschalten. Auch wenn das Experiment bisher nur an Mauszellen durchgeführt wurde, äußern die Forscher in der Fachzeitschrift „Pnas“ die Hoffnung, auf diese Weise solche Erbkrankheiten behandeln zu können, die durch defekte X-Chromosomen verursacht werden, wie beispielsweise das Rett-Syndrom.

Mehr normales X

Diese neurologische Erkrankung betrifft fast nur Mädchen. Bis zum siebten Monat scheinen sie ganz gesund zu sein, dann verlieren die Kinder erlernte Fähigkeiten wieder, der normale Gebrauch der Hände geht verloren und eine schwere geistige Behinderung etabliert sich. Ursache ist ein Defekt im Gen MeCP2 auf dem X-Chromosom. Das Syndrom betrifft fast ausschließlich Mädchen, denn männliche Embryonen, die ein defektes X-Chromosom erben, sterben früh ab. Mädchen haben jedoch zwei X-Chromosomen, von denen mal das defekte, mal das gesunde abgeschaltet wird. Dadurch ist nur etwa in der Hälfte aller Zellen der Mädchen das defekte MeCP2-Gen aktiv, so dass der Effekt der Mutation abgeschwächt wird. Um die Krankheit weiter zu lindern, müssten also mehr X-Chromosomen mit normalem MeCP2-Gen reaktiviert werden, so die Idee von Michael Green von der University of Massachusetts in Worcester.

Keine Nebenwirkungen für die Zellen

Das Abschalten eines der zwei X-Chromosomen weiblicher Zellen wird bei Säugetieren über ein Gen namens Xist vermittelt. Jenes Chromosom, auf dem Xist zuerst eingeschaltet wird, wird inaktiviert. Diesen Prozess kann Greens Team rückgängig machen, indem es in den Prozess eingreift, der das Chromosom verpackt und versiegelt – ohne Nebenwirkungen, äußern die Forscher, selbst durchaus „überrascht“. Sie erwarteten, dass es den Zellen nicht bekommen könnte, wenn plötzlich doppelt so viele x-chromosomale Gene aktiv sind. Aber offenbar ist das gar nicht der Fall, denn die Forscher messen keinen Anstieg der x-chromosomalen Proteine über das normale Maß hinaus. Sie vermuten, dass es noch einen zweiten Mechanismus gibt, der die Genaktivität in weiblichen und männlichen Zellen auf gleichem Niveau hält.

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