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Eine Zeichnung von circa 1827 zeigt die „Einfahrt in den Hafen von Honolulu“ auf der Inselkette Hawaii, die heute zu den USA gehört.

© Wikimedia Commons CC

Hawaiis Geschichte in Berliner Archiven: Von Polynesien nach Preußen

1824 ging ein junger Hawaiier in Swinemünde an Land. Die Geschichte von Harry Maitey, der freiwillig nach Europa kam und Humboldt kennenlernte, hat ein Berliner Bürgerforscher neu entdeckt.

In Swinemünde, einer Hafenstadt im heutigen Polen, ging 1824 ein junger Hawaiier an Land – als erster Mann der pazifischen Inselkette, der das Königreich Preußen kennenlernte. In Berlin lernte er schließlich auch den großen Humanisten Alexander von Humboldt kennen. Wie kam es dazu?

Zwei Jahre zuvor, 1822, waren die preußischen Seeleute der „Mentor“ auf Anordnung von König Wilhelm III. zu einer Weltumseglung aufgebrochen, die von Bremen über Kap Hoorn nach Valparaiso und O’ahu, weiter nach Kanton, Java und zurück nach Swinemünde führen sollte. Als sie 1823 im Hafen von Honolulu des unabhängigen Königreiches der hawaiischen Inseln festmachten, bat sie ein junger Mann inständig, ihn mitzunehmen, sobald sie ihre Reise fortsetzten.

Harry Maitey nannten die Deutschen den jungen Hawaiier, der als freier Mann auf eigenen Wunsch vor fast 200 Jahren nach Berlin kam und für dessen Geschichte sich heute Thomas Tunsch begeistert. Er ist Kustos am Museum für Islamische Kunst, in seiner Freizeit aber engagiert er sich seit 2006 in dem Verein „No Ka Ho’omana’o Ana Ia Berlin“ (Zur Erinnerung an Berlin). Der Verein fördert das Verständnis für die Kultur Hawaiis und den hawaiischen Tanz Hula als das wichtigste Erbe dieser Kultur. Kalakaua, der letzte König Hawaiis, der 1891 starb, umschrieb den Tanz, „Hula ist die Sprache des Herzens und deshalb der Herzschlag des hawaiischen Volkes“.

Der Tanz regte an, genauer nachzuforschen

Bürgerforscher Tunsch drückt es so aus: „Wenn man Hula tanzt, tanzt man Geschichte“. Es ist ein getanzter Sprechgesang mit einer ausgefeilten Zeichensprache: Wer einen neuen Hula erfinden will, muss erst einmal gründlich und nach strengen Regeln Forschung über den Text betreiben, den er oder sie tänzerisch darstellen will. Tunsch hat 1998 seinen ersten Hula auf Hawaii gelernt und war davon so fasziniert, dass er mehr darüber erfahren wollte. 2006 lernte er über einen Workshop in der Tanzfabrik Berlin Gleichgesinnte kennen, gemeinsam gründeten sie den Kulturverein. So führte ihn der Tanz zur Citizen Science, zur praktischen Bürgerforschung, die Vergessenes in Erinnerung ruft und im besten Fall hilft, Lücken in der klassischen Wissenschaft zu schließen.

Das Bild zeigt Harry Maitey vermutlich in den 1840er Jahren und ist im Brandenburg-Preußischen Archiv in Charlottenburg zu finden.

© Brandenburg-Preußisches Hausarchiv Bln.-Charlottenburg

Ein Ereignis, auf das Tunsch und seine Freunde stießen, ist etwa, dass König Kalakaua 1881 Berlin besuchte. Dort, wo heute das Tempelhofer Feld liegt, schaute  sich dieser die bekannteste preußische Choreografie an: das exerzierende Militär. Dieses Datum griff der Berliner Hawaii-Verein vor einigen Jahren auf, organisierte eine Ausstellung und eine öffentliche Hula-Aufführung auf dem Tempelhofer Feld. Der Besuch Kalakauas ist auch dadurch dokumentiert, dass Kaiser Wilhelm I.  einen Schellenbaum für den Hawaiier König in Auftrag gab und ihm als Gastgeschenk nach nachschickte. Die Gravur: Zur Erinnerung an Berlin, „No Ka Ho’omana’o Ana Ia Berlin“.

Was heute ebenso kaum mehr bekannt ist – Hawaii war von 1810 bis 1893 eine konstitutionelle Monarchie, die unter anderem von den Großmächten Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Preußen und den USA anerkannt war. Nach dem Sturz seiner Königin Lili’uokalani, gegen die 1893 geputscht wurde, bestand einige Jahre eine Republik, bis die Inselkette dann 1889 gegen den Widerstand der Bevölkerung von den USA annektiert wurde.

Wenn man den Hula tanzt, tanzt man Geschichte.

Thomas Tunsch, Bürgerforscher zu Hawaii

Über den Kontakt zwischen den Monarchien stieß der Verein auf das Schicksal von Harry Maitey. Die Akten zu Maitey liegen im Preußischen Geheimen Staatsarchiv, da Christian Rother, der Präsident der Preußischen Seehandlung, die die Weltumseglung ausgerichtet hatte, sich im Auftrag des Königs um den jungen Hawaiier gekümmert hatte. Nach hawaiischem Brauch (hanai) fühlte sich Maitey von Rother adoptiert.

Humboldt interessierte sich für die hawaiische Sprache

Er bekam eine Schulausbildung und traf 1827 Alexander von Humboldt, der sich von ihm über die hawaiische Sprache informieren ließ, was er dann 1828 vor der Akademie der Wissenschaften in einem Vortrag erläuterte. Für Humboldt war Hawaiisch die „Sandwich-Sprache“, da der Entdecker James Cook die Inselkette zu Ehren von John Montagu, Earl of Sandwich benannt hatte. Der britische Staatsmann hatte seine Expedition weitgehend finanziert. Der Name Hawaii bürgerte sich erst später ein.

1830 wurde Maitey Assistent des Maschinenmeisters auf der Pfaueninsel, er heiratete – mit Erlaubnis des Königs – eine Deutsche und zog mit ihr nach Klein-Glienicke. 1874 erlag er den Pocken. Sein Grab kann man heute noch auf Nikolskoe besichtigen, auf dem Friedhof der Pfaueninsel. Wer mehr über seine Biografie wissen möchte, wird auch in den Beiträgen einer aus Berlin stammenden Germanistin fündig. Anneliese Wilhelmine Moore, die seit 1949 an der Universität Hawaii lehrte, veröffentlichte ihre Forschung zu Maitey im „Hawaiian Journal of History“. Tunsch nutzte diese Quelle, um einen Wikipedia-Artikel über Maitey zu schreiben und ihn für’s Allgemeinwissen verfügbar zu machen.

Nach 1970 entdeckte Hawaii sein kulturelles Erbe wieder

Die frühen Verbindungen zwischen Berlin und Hawaii durch die Person Maitey waren für Tunsch ein Grund mehr, weiter zu dieser historischen Figur und seiner Kultur zu forschen. Die Archive zeigen, dass bis zum Ersten Weltkrieg in deutschen Publikationen der Zeit, etwa bei Adalbert von Chamisso, immer von „hawaiisch“ und „Hawaiier“ die Rede ist. Erst mit dem Ersten Weltkrieg riss der Kontakt zu Hawaii ab.

Tunsch und dem Verein ist wichtig,  „hawaiisch“, und nicht „hawaiianisch“ zu sagen, wie es sich nach dem Zweiten Weltkrieg und in Zuge der US-Annektierung in Ableitung vom Englischen auch auf Deutsch eingebürgert hat. Verwende man die amerikanische Version, klinge darin die koloniale Vergangenheit an, betont er. Das zeuge „von wenig Geschichtsbewusstsein und mangelnder Sensibilität gegenüber Hawaiierinnen und Hawaiiern“. Angesichts der Annektierung, in Zuge derer die hawaiische Sprache und Kultur auf der Inselkette unterdrückt wurden, gelte es heute wenigstens durch die richtigen Begriffe, „Respekt für ihr eigenständiges kulturelles Erbe“ zu zeigen. Seit der „hawaiischen Renaissance“ nach 1970 sei das Bewusstsein für die eigene Sprache und Tradition zurückgekehrt, fügt Tunsch hinzu.

Über Harry Maitey gibt es heute sogar ein Lied mitsamt Hula-Tanz. 2012 besuchte ein Lehrer des traditionellen Hula-Tanzes Berlin. Frank Ka’anana Akima war tief bewegt von dem Leben Maiteys in Deutschland. So entstand das „Lied zu Ehren von Harry Maitey“ (He Mele No Harry Maitey). Den Tanz dazu führte der Kulturverein 2015 in Berlin erstmals auf, in Hawaii wurde er jedoch noch nicht gezeigt.

Stattdessen aber wird Harry Maitey im kommenden Jahr womöglich im Berliner Humboldt Schloss geehrt: 2024 jährt sich der Tag, an dem der junge Hawaiier in Swinemünde zu Land ging, zum 200. Mal. Tunsch hat schon beim Humboldt Forum angeregt, an Maitey dort mit Tanz und Vorträgen zu erinnern.

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