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Ausloten. In 200 Meter Tiefe liegt die Front des LeConte-Gletschers im Süden Alaskas, den Forscher jetzt mit einem Fächersonar vermessen haben.

© David Sutherland, University of Oregon

Nachjustieren der Klimamodelle nötig: Ins Meer mündende Gletscher schmelzen schneller als gedacht

Klimaforscher haben die Unterwasser-Front des LeConte-Gletschers in Alaska vermessen. Und hohe Schmelzraten entdeckt.

Milchig-weißes Schmelzwasser schießt im Sommer aus dem Fuß der Gebirgsgletscher und speist die Bäche. Münden die Gletscher direkt ins Meer, wie etwa in den südlichen Anden, Alaska und Grönland, nagt das Wasser an der Front der Eismassen – und zwar viel schneller als Gletscherforscher es bisher vermuteten. Das haben neue Messungen eines Expeditionsteams, geleitet von David Sutherland von der University of Oregon in Eugene, ergeben. Das bedeutet, dass dieser Gletschertyp im Klimawandel-Szenario bis zu 100 Mal schneller abschmilzt als in den bisherigen Computermodellen berücksichtigt, schreiben die Forscher im Fachblatt „Science“.

Süßes Schmelzwasser leckt am Gletscherfuß

„Bei den oft in Fjords und Buchten in den Ozean mündenden Gletschern Grönlands, Alaskas und Südamerikas sind die Temperaturen über dem Eis im Sommer oft recht hoch“, erklärt Martin Rückamp vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven. Die Wärme schmilzt zunächst eine auf dem Gletscher liegende Schneedecke. Kommt darunter das dunklere Blankeis zum Vorschein, das die Sonnenstrahlen deutlich schlechter als Schnee reflektiert und daher die Sonnenenergie besser aufnimmt, schmilzt die Oberfläche relativ rasch. „Das dabei entstehende Wasser sickert durch Spalten und Risse durch das Eis nach unten und sammelt sich schließlich am Grund des Gletschers.“ Der von den Eismassen beim Abwärtsgleiten vom Untergrund abgeschliffene Gesteinsstaub färbt diesen Schmelzwasser-Strom, so dass milchig-trübes Wasser aus dem Gletschertor läuft. Endet die Gletscherzunge, wie etwa beim LeConte-Gletscher im Süden Alaskas, mehr als 200 Meter unter dem Wasserspiegel auf dem Grund eines Fjords, quillt das Schmelzwasser an der Gletscherfront nach oben, weil es weniger Salz enthält und daher leichter ist als das Meerwasser. „Dieses aufquellende Wasser trägt erheblich zum Schmelzen der unter dem Meeresspiegel liegenden Gletscherfront bei“, sagt Rückamp. Zwar ist das lange bekannt. Nur haben die meisten Forscher bisher angenommen, das aufquellende Wasser würde nur einen vielleicht hundert Meter breiten Bereich der Gletscherfront umspülen. Dadurch könnten dort an einem Sommertag bis zu fünf Meter Eis tauen. Am großen Rest der bis zu zehn Kilometer breiten Front würden dagegen die Temperaturen des Meerwassers und Strömungen mit fünf Zentimetern am Tag nur ein Hundertstel dieser Eisdicke abnagen, so die Schätzungen, die bislang in die Computer-Modelle eingingen.

Fächersonar misst erhöhte Schmelzraten

Wie realistisch diese Schätzungen sind, lässt sich nur schwer überprüfen. Zu gefährlich sind Messungen aus nächster Nähe zu den instabilen Gletscherwänden, von denen jederzeit Eismassen ins Meer stürzen können. Dennoch wagten sich David Sutherland und Kollegen im August 2016 und im Mai 2017 mit einem kleinen Forschungsschiff und Fächersonar vor die Front des LeConte-Gletschers. Mit diesem Gerät, das ähnlich wie ein Echolot funktioniert, zeichneten die Forscher ein detailliertes Bild der Gletscherwand unter Wasser – und stellten fest, dass das Eis dort viel schneller schmilzt als erwartet, in Extremfällen mehr als 100 Mal schneller als angenommen. Offensichtlich beeinflusst das aufquellende Schmelzwasser die Gletscherfront also viel stärker als bisher vermutet. Besonders viel Schmelzwasser bildet sich im Hochsommer im August. In dieser Zeit weicht in einer Wassertiefe von 170 Metern das Eis mehr als acht Meter am Tag zurück, während der Rückgang in Tiefen zwischen 50 und 80 Metern nur halb so groß ist. „Die Gletscherfront wird dadurch unten ausgehöhlt, so dass oben vermehrt Eis abbrechen kann“, erklärt AWI-Forscher Rückamp. „Gleichzeitig kann das rasche Abschmelzen der Gletscherfront unter Umständen auch das Fließen des Eises landeinwärts beschleunigen“, nennt Martin Rückamp einen weiteren Mechanismus, der den Eisverlust erhöht. Jetzt müssten auch andere ins Meer mündende Gletscher genauer beobachtet werden, damit die bisherigen Theorien angepasst und schließlich auch die Computer-Modelle verbessert werden können. Nur so lasse sich das Verhalten dieser Eismassen im Klimawandel besser beurteilen, sagt Rückamp.

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