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Klima: Tauwetter am Pol und sinkende Temperaturen

Das letzte Jahrzehnt überrascht die Klimaforscher: Die Temperaturen sind nicht weiter gestiegen - sondern sie verharren, wenn auch auf hohem Niveau.

Je stärker der Klimawandel ins öffentliche Bewusstsein dringt, umso weniger gibt er sich zu erkennen. Man muss sich nur die Grafik der globalen Durchschnittstemperaturen aus dem britischen Hadley Centre für Klimaforschung ansehen: In den letzten Jahren sind die Werte nämlich nicht gestiegen – wie man es von einer Erderwärmung erwartet –, sondern sogar gesunken.

Der vermeintliche Zusammenhang mit der zunehmenden Sorge um den Planeten ist natürlich Quatsch. Doch was steckt wirklich dahinter? Und zeigt der Knick in der Temperaturkurve nicht, wie dünn die Beweiskette für den Klimawandel ist?

Dass die weltweite Durchschnittstemperatur derzeit stagniert, ist unter den meisten Klimaforschern unbestritten, sagt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Eine eindeutige Ursache dafür ist aber noch nicht ausgemacht. „Ganz ehrlich: Wir wissen es nicht.“ Der Temperaturverlauf lasse sich jedenfalls nicht mit Vulkanausbrüchen erklären, die zu einer Abkühlung der Atmosphäre führen. Ebenso wenig mit der wechselnden Sonnenaktivität oder El-Niño-Ereignissen, die ebenfalls kurzfristige Temperaturänderungen hervorrufen können. „Uns ist ziemlich klar, wie viel mehr Wärmestrahlung infolge der erhöhten CO2-Konzentration auf die Erde zurückgeworfen wird. Aber die Oberfläche erwärmt sich nicht in dem gleichen Maße, möglicherweise gibt es einen verstärkten Wärmefluss in die Meere“, mutmaßt Marotzke. Das Netz der Messgeräte auf den Ozeanen sei aber zu grob, um diese Annahme zu belegen.

Auch wenn die Temperaturen jetzt verharren, sie tun das auf hohem Niveau, fügt der Forscher hinzu. Das vergangene Jahrzehnt sei eindeutig das wärmste seit Beginn der Industrialisierung. „Ich bin mir sicher, dass die Erderwärmung in den nächsten Jahren weitergehen wird.“

Rund um den Nordpol zeigte sich der Klimawandel im letzten Jahrzehnt weitaus klarer als auf dem Welt-Durchschnitts-Thermometer. Dort ist jeweils in den Sommermonaten die Fläche des Meereises deutlich zurückgegangen. Im September 2007 umfasste es nur noch 4,1 Millionen Quadratkilometer. Das ist ein Drittel weniger als die durchschnittlichen Septemberwerte von 1979 bis 2000 (6,7 Millionen Quadratkilometer). Der Negativrekord wurde seitdem nicht mehr unterboten, 2008 und 2009 reichte es „nur“ für die Plätze zwei und drei.

Dass das Eis rund um den Nordpol abnimmt, wissen die Forscher schon lange. Die Geschwindigkeit des Schrumpfens wundert sie aber schon. Selbst das pessimistischste Szenario des Weltklimarats (IPCC) hatte keinen derart raschen Rückgang prognostiziert. Warum die IPCC-Modelle danebenlagen, dafür gibt es mehrere Erklärungen. Etwa, dass der Eisverlust die Luft- und Wasserströmungen ändert, was in den Rechenprogrammen aber nicht enthalten ist. Zudem können sie natürliche Schwankungen im Klimasystem nur in geringem Maß berücksichtigen.

„Die neue Generation von Klimamodellen wird anpassungsfähiger sein“, sagt Marotzke. Statt umfassende Rechnungen von 1850 bis 2100 anzustellen, sollen die Computer mit tatsächlichen Messwerten des vergangenen Jahrzehnts starten und nur 20 oder 30 Jahre in die Zukunft rechnen – und das alles mit einem virtuellen Netz über der Landschaft, das deutlich dichter ist als bisher. Damit wollen die Wissenschaftler vorrangig Aussagen für einzelne Regionen machen, gerade auch über kurzfristige Veränderungen. Denn Trinkwasserversorger oder Tourismusplaner dürfte der globale Wandel über Jahrzehnte weniger interessieren als etwa die Niederschlagsverteilung in Norddeutschland zwischen 2015 und 2020.

Was die jüngste Vergangenheit betrifft, so ist die Klimabilanz für unsere Breiten jedenfalls nicht so dramatisch, wie mitunter skizziert wurde. Die Zahl starker Stürme zum Beispiel hat allen Befürchtungen zum Trotz nicht zugenommen. Ralf Nestler

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