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Krebsbekämpfung: Kickstart der Körperabwehr

Kurz nach der Behandlung stellten sich leichtes Fieber und Muskelschmerzen ein, beides verschwand nach drei Tagen. Und noch etwas verschwand: der Krebs. Forscher bekämpfen Hautkrebs mit Immunzellen des Patienten.

Für den 52-Jährigen kam anscheinend jede Hilfe zu spät. Der Mann war am Melanom erkrankt, dem schwarzen Hautkrebs. Eine Operation und die Behandlung mit Medikamenten wie Interferon und Interleukin waren erfolglos geblieben, Absiedlungen des Tumors nun in der Lunge und im Becken nachweisbar. Die Dämme waren gebrochen.

Was tun? Die Spezialisten am Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrum in Seattle entschlossen sich in dieser aussichtslosen Situation, eine neuartige Behandlung zu erproben. Sie zapften dem Patienten Blut ab und gewannen aus diesem spezielle Abwehrzellen mit Namen CD4-T-Zellen. Diese Zellen vermehrten sie im Labor und richteten sie gegen ein Eiweiß ab, dass die Melanomzellen auf ihrer Oberfläche trugen. Dann gaben die Ärzte dem Mann fünf Milliarden dieser in der Petrischale „geklonten“ Antikrebszellen in einer Infusion zurück. Und beobachteten, was geschah.

Kurz nach der Behandlung stellten sich leichtes Fieber und Muskelschmerzen ein, beides verschwand nach drei Tagen. Und noch etwas verschwand: der Krebs. Zwei Monate nach Beginn der Therapie waren keine Geschwülste in der Lunge oder im Becken mehr nachweisbar. Das Melanom, eigentlich ein sehr aggressiver Tumor, hatte sich still und heimlich davongemacht. Heute, zwei Jahre später, ist der Mann immer noch frei von Krebs.

Über dieses kleine medizinische Wunder berichten Naomi Hunder und ihr Team im Fachblatt „New England Journal of Medicine“. Der Fall zeigt, welche Kraft unser Immunsystem hat, wenn man es auf die richtige Fährte ansetzt. Bisher aber sind solche Erfolge die Ausnahme. „Bei diesem Patienten waren wir erfolgreich, aber wir müssen die Wirksamkeit dieser Therapie in einer größeren Untersuchung bestätigen“, sagt Cassian Yee, einer der beteiligten Forscher.

Die Wissenschaftler schätzen, dass jeder vierte Melanom-Patient für eine solche Behandlung infrage kommt. Entscheidend ist, dass die Hautkrebszellen auf ihrer Oberfläche ein Bruchstück des Eiweißes NY-ESO-1 „präsentieren“. Mit Ausnahme des Hodens wird es in gesundem Gewebe praktisch nicht hergestellt, findet sich aber auf Krebszellen.

Das Kunststück der amerikanischen Krebsspezialisten bestand darin, genau jene Abwehrzellen zu vermehren, die auf dieses verräterische Protein ansprechen. Das allein genügt jedoch oft nicht. Denn der Krebs widersteht der Attacke häufig. Er bildet Zellen, die das auffällige Protein nicht mehr herstellen und unerkannt den Fängen des Immunsystems entkommen können – eine tödliche Tarnkappe.

Im Fall des Melanom-Patienten geschah aber glücklicherweise das Umgekehrte. Nachdem erste Abwehrzellen einige Krebszellen erkannt und zerstört hatten, war die Tarnung des Krebs gewissermaßen aufgeflogen. Das Immunsystem „wusste“ jetzt, welche Oberflächenstrukturen es angreifen sollte.

Die Krebsbehandlung mit Hilfe der Körperabwehr, Immuntherapie genannt, ist dabei, sich neben der herkömmlichen Chemotherapie zu etablieren. Zwar sei man noch nicht am Ziel, doch sei dieses schon in Sicht, schreibt der Krebsarzt Louis Weiner von der Georgetown-Universität im „New England Journal“. „Das Endspiel hat begonnen“, meint Weiner.

Krebszellen treiben mit der Immunabwehr ein doppeltes Spiel. Auf der einen Seite erregen sie die Aufmerksamkeit der Körperpolizei. Sei stellen bestimmte Proteine her, die bei gesunden Zellen nicht oder nicht in dieser Form vorkommen. Auf der anderen Seite schütten die Krebszellen Stoffe aus, die das Immunsystem hemmen.

Es liegt an diesen komplizierten Zusammenhängen, dass der große Durchbruch bei der Impfung gegen Krebs etwa mit Hilfe von patienteneigenen Abwehrzellen bisher nicht geglückt ist. Aber es gibt Teilerfolge. So können für den Patienten maßgeschneiderte Impfstoffe die Wirksamkeit der herkömmlichen Chemotherapie verbessern oder das Überleben um einige Monate verlängern, wie eine Impfspritze gegen Prostatakrebs. Und es gibt sensationelle Einzelerfolge, wie den Melanompatienten aus Seattle.

Zwei andere Bereiche der Immuntherapie von Krebs haben sich allerdings schon etabliert. Da ist zum einen die Behandlung mit Antikörpern „von der Stange“, etwa gegen Brustkrebs („Herceptin“) oder gegen Lymphknotenkrebs („Mabthera“). Und zum anderen schützen die Impfungen gegen Hepatitis B und HPV vor virusbedingten Krebsformen.

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