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Der Welt entrückt. Von Giorgio del Castelfranco, genannt Giorgione, stammt ein Schlüsselbild der Zeit, der „Jüngling mit grünem Buch“. Einst gehörte es zur Sammlung Pietro Bembos, die jetzt im Palazzo del Monte in Padua rekonstruiert wurde.

© Fine Arts Museums of San Francisco

Kunstgeschichte: Pietro Bembo, der Erfinder der Renaissance

Lebenslustig und gelehrt: Die Stadt Padua feiert Pietro Bembo, den großen Kunstsammler und Sprachstifter der Renaissance, mit einer umfassenden Ausstellung. Die Experten rekonstruierten Bembos Lebenswelt und führen die Besucher zum Ursprung der Renaissance.

Natürlich hat kein Einzelner die Renaissance erfunden, sie ist, wie alle Kulturepochen, die Frucht einer geistigen Neuorientierung, die von vielen getragen wurde. Unendlich viele Faktoren wirkten dabei zusammen, viele Städte und Fürstentümer waren beteiligt, blitzten auf und verloschen bisweilen wieder. Aber es waren zugleich konkrete Personen, die die Renaissance beförderten, verstanden als ein neues kulturelles Selbstbewusstsein aus der Rückbesinnung auf die Antike heraus. Eine dieser Personen war Pietro Bembo (1470-1547). Sein Lebensweg umfasst alles, was der Vorstellung vom uomo universale dieser Umbruchszeit entspricht: Kenntnis der Wissenschaften, der antiken Sprachen, der Künste, insbesondere der Poetik; dazu Tätigkeiten in Politik und Diplomatie und, auch das, im innersten Zirkel der römischen Kurie. Wie eine solche Person zu fassen ist, zeigt die Ausstellung „Pietro Bembo und die Erfindung der Renaissance“ im Palazzo del Monte zu Padua, der Stadt mit der drittältesten Universität Italiens. Bembo hat dieser Stadt mit seinen weitreichenden Kontakten, seinem gastfreien Haus und nicht zuletzt seinen Kunst- und Büchersammlungen im frühen 16. Jahrhundert für anderthalb Jahrzehnte Glanz verliehen.

Von den Sammlungen Bembos ist nichts geblieben. Sie wurden bereits von seinem Sohn stückweise verkauft und später immer weiter zerstreut. So ist die Rekonstruktion dessen, was Bembo einst in seinem Haus hütete, zusammen mit dem, was er als Autor, Herausgeber und Kommentator publizierte, eine Glanztat der Kunstwissenschaft, vollbracht von Guido Beltramini, dem Leiter des Palladio-Studienzentrums im nahen Vicenza, und seinem renommierten Kollegium.

Nun sind nach detektivischer Spürarbeit die herausragenden Bilder der Hochrenaissance zum ersten Mal seit 500 Jahren wieder vereint. Bembo war Zeitgenosse von Raffael, Michelangelo, Sansovino oder Cellini sowie der venezianischen Künstler Bellini, Giorgione oder Tizian. Von vielen ist er porträtiert worden. Wenngleich mehrere Bildnisse, darunter zwei von Tizian, als verloren gelten müssen, ist seine Person doch in allen Lebensaltern vorzüglich festgehalten. Oder doch nicht verloren? Kokurator Davide Gasparotto schlägt vor, eine in Besançon bewahrte und nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit gezeigte Tafel als Porträt aus dem Jahr 1514 anzusehen; da stand Bembo im besten Mannesalter.

Wie hoch die Porträtkunst in diesen Jahren entwickelt war, beinahe aus dem Nichts heraus, machen die drei Bildnisse von der Hand Giorgiones deutlich, die die Ausstellung vereint. Sie stammen aus den Jahren 1502/03, als der 1476 oder 1478 geborene Giorgio del Castelfranco, genannt Giorgione, so jung war wie die Porträtierten. Geradezu ein Schlüsselbild für die Ausstellung ist das Bildnis eines „Jünglings mit grünem Buch“ aus San Francisco, das die neue Mode der Lektüre an jedem beliebigen Ort illustriert.

Bembo kodifizierte die italienische Umgangssprache

Giorgione bringt einen melancholischen, weltentrückten Ton in seine Porträts, die die „andere“ Seite der vermeintlich so aktiven Renaissance zum Ausdruck bringen. Jene Seite, die nördlich der Alpen Dürer in seinen Meisterstich der „Melencolia I“ fasste. Ganz anders Raffael, der seine Freunde „Navagero und Beazzano“ 1516 nach einem Ausflug ins Rom nahe gelegene Tivoli in einem Doppelbildnis vereint. Bembo, der dabei war, schrieb in einem begeisterten Brief an den einflussreichen Kardinal Bibbiena, man habe dort „das Alte und das Neue“ gesehen.

Pietro Bembo war nicht einfach Spross einer venezianischen Patrizierfamilie, der sich Kunst und Antiquitäten leisten konnte. Er galt als der beste Stilist im Lateinischen, beherrschte ebenso das Griechische und diente dem Medici-Papst Leo X., einer der prägenden Figuren der Renaissance, als Sekretär zur Abfassung von Urkunden in lateinischer Sprache. Seine Bemühungen um eine aus der Alltagssprache erwachsende italienische Nationalsprache, das volgare, gipfelten in der ersten Kodifizierung des Italienischen.

Herrliche Bücher zeugen in der Paduaner Ausstellung vom Niveau des Buchdrucks. Bembo arbeitete zumeist mit Aldo Manuzio in seiner Vaterstadt Venedig zusammen, der eigens neue Schriften schnitt. Bembo kommentierte den antiken Komödiendichter Terenz, verfasste Gedichte und wurde mit dem Dialogbuch „Gli Asolani“ zu einer Berühmtheit, vergleichbar geradezu mit Goethe und seinem „Werther“. Bembo schrieb über die Liebe – und praktizierte sie. Legendär ist seine langjährige Beziehung zu Lukrezia Borgia, von der er eine – in der Ausstellung gezeigte – blonde Locke hütete. Bembo war Vater mehrerer Kinder, was Papst Paul III. nicht davon abhielt, ihn 1539 zum Kardinal zu erheben; Teil seiner Strategie, sich der großen Geister der neuen Bewegung für die Verteidigung des Katholizismus gegen die aus dem Norden anbrandende Reformation zu bedienen.

Bembos Stadtpalast in Padua, wohin er 1521 übersiedelte, war europaweit als „Musaeum“ berühmt. Der Florentiner Historiker Benedetto Varchi, später Herausgeber von Bembos Schriften, schwärmte von einem „öffentlichen Tempel der Minerva“, der Göttin der Weisheit. Die Rekonstruktion seiner Kunstsammlung ermöglicht nun einen Blick auf die Renaissance in statu nascendi. Die Zusammenfügung hunderter Objekte zu einer „Biografie in Objekten“ sowie deren Ausdeutung in dem Katalogbuch ist eine Glanztat der Kunstwissenschaft.

Er schuf erste "Taschenbücher"

Doch auch als Sprachwissenschaftler brillierte er. Es mag eine Hypothese sein, dass Bembo eine nationale Kultur und vor allem Sprache als einigendes Band für eine politisch zerrissene italienische Nation etablieren wollte. Schließlich gab es noch nirgends in Europa das Modell des Nationalstaates, an dem er sich hätte orientieren können, so wie dies drei Jahrhunderte später für die italienische Einigungsbewegung des risorgimento zutrifft. Aber Bembo war bewusst, dass nur das zu literarischer Höhe gebrachte volgare, die italienische Umgangssprache, imstande war, lebendige Kultur für ein allgemeines Publikum zu transportieren.

Beispielhaft galt Bembo das Versepos „Orlando furioso“ seines engen Freundes bereits aus Studententagen, des Dichters Ludovico Ariosto. Als Vorbilder für hohe Dichtkunst jedoch wählte er Boccaccio und Petrarca. So gewann die toskanische Mundart die Oberhand. An der rasanten Ausweitung des Buchdrucks und der Erfindung von kleinformatigen Büchern, regelrechten „Taschenbüchern“ zur Lektüre unabhängig von Bibliotheken, zeigt sich die Parallelität der Impulse, die zu einer von weiten Kreisen geteilten Kultur und Bildung führten – eine der großen Leistungen der Renaissance.

Beltramini nennt Bembo im Katalog den „legislatore della lingua italiana“. Es ist dieser durch und durch rationale Ansatz der Kodifizierung des Vorhandenen bei gleichzeitigem Einschluss des Neuen oder auch nur Möglichen, der Bembo auszeichnet. In diesen Zusammenhang gehört der Begriff der maniera moderna, den die Maler um 1500, allen voran Raffael, für sich in Anspruch nehmen. Genau das aber trennt die Renaissance scharf vom Klassizismus, gar vom Historismus späterer Jahrhunderte. Bembo erkannte in der Kunst sowohl Raffaels als auch Michelangelos eine radikale Neuerung, die er bereits in seinem einflussreichsten Buch der „Prose della volgar lingua“ („Schriften zur Volkssprache“) von 1525 darlegt.

Unendlich reich ist diese Ausstellung, nicht allein wegen der Zahl und Qualität der Objekte, sondern wegen des Sinnzusammenhangs, zu dessen Darstellung buchstäblich jedes einzelne Gemälde, jede antike Münze, jede Zeichnung und jedes Manuskript und Buch ausgewählt wurde. Für die Dauer der Ausstellung ist die Entstehung der Renaissance noch einmal in Padua zu beobachten.

Padua, Palazzo del Monte, bis 19. Mai. Katalog bei Marsilio, 440 S., 38 €.

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