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Licht und Schatten. UV-Strahlung offenbart Stellen auf einem Gemälde, die nachträglich manipuliert wurden. Die jüngeren Pigmente reflektieren das Licht anders.

© AFP/ Richard Juilliari

Kunstkrimininalität: Fakten gegen Fälscher

Betrüger haben auf dem Kunstmarkt weiterhin leichtes Spiel. Denn die Händler lassen selbst kostbare Gemälde nicht systematisch naturwissenschaftlich untersuchen.

Die Farben leuchteten zu intensiv. Henry Keazor, Fälschungsforscher und Kunsthistoriker an der Universität Heidelberg, zog die Stirn in Falten. Das sollte das verschollen geglaubte Frühwerk eines römischen Barockmalers sein? Es habe lange in einer Scheune gelegen, erklärte ihm sein Gegenüber. Nun sei es restauriert worden. Keazor schlug im Werkverzeichnis nach. Nicht einmal die Maße des Bildes stimmten mit den dort verzeichneten Daten überein. Er war nicht allein mit seinen Zweifeln. Der Louvre, der gewöhnlich sämtliche Gemälde dieses Malers kauft, wollte auch nicht mitbieten.

Die Kunstgeschichte ist eine Geschichte voller Fälschungen. Die Lügen, mit denen Betrüger ihre Kopien in Umlauf bringen, sind teilweise geradezu prototypisch. Keazor kennt sie zuhauf. Er hat mehr als einmal vor einem Kunstwerk gestanden und dessen Echtheit infrage gestellt. Welche Ausmaße das illegale Treiben annehmen kann, führte im Jahr 2011 der Skandal um den Maler Wolfgang Beltracchi der Öffentlichkeit vor Augen. Privatleute, Auktionshäuser und Stiftungen fielen reihenweise auf seine Fälschungen vornehmlich der rheinischen Expressionisten Heinrich Campendonk, Max Ernst und Max Pechstein herein. Einige wurden um Millionen betrogen. Andere machten maßlosen Reibach.

„Beltracchi hat sich als professioneller Fälscher gerühmt. Dabei war er aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht besonders gut“, sagt Nicholas Eastaugh von dem Londoner Labor Art Access & Research. Die falschen Pechstein-Kreationen zum Beispiel enthielten Titandioxid, das erst ab den vierziger Jahren in der Kunst gebräuchlich war. Außerdem benutzte er Blau- und Grüntöne auf Basis von Phthalocyanin, das Chemiker noch lange nicht herstellen konnten. Vor Gericht gab er damit an, eigens hochgiftige Quecksilberfarbe aus Italien beschafft zu haben, weil er mit diesem historischen Zinnober malen wollte. „Er wählte Farbe auf Basis mineralischen Quecksilbers. Damals verwandte man aber bereits eine synthetische Variante“, sagt Eastaugh, der die Pechstein-Fälschungen analysiert hat. Die Nägel, die den Rahmen zusammenhielten, waren lediglich mit brauner Farbe angestrichen, um Rost vorzutäuschen.

Die Schöpfungen des Kriminellen sind immer noch im Umlauf

Die Kunsthändler hatten geflissentlich über alle Betrugsindizien hinweggesehen. Als Beltracchi aufflog, gelobten sie Besserung. Es muss sich etwas ändern, fanden Brancheninsider, Kunsthistoriker und Gutachter. Kostbare Werke sollten künftig systematisch naturwissenschaftlich untersucht werden. Die Händler wollten sich über verdächtige Objekte wechselseitig informieren, damit als falsch enttarnte Bilder nicht erneut von Auktionshäusern gekauft werden.

Drei Jahre später sind die meisten Schöpfungen des Kriminellen immer noch im Umlauf. Denn der Besitz eines gefälschten Gemäldes ist nicht strafbar. Nur wenn vorsätzlich damit gehandelt wird, kann die Polizei es beschlagnahmen. Statt den schwierigen Nachweis zu führen, geben Kunsthändler verdächtige Werke einfach an den Einlieferer zurück. „Der geht dann damit von Pontius zu Pilatus. Bis er es los ist“, sagt Markus Eisenbeis, der Chef des Kölner Kunstauktionshauses Van Ham. Die Zahl der Fälschungen auf dem Kunstmarkt steigt ständig.

Eisenbeis will diesen Trend nicht hinnehmen. Vor acht Jahren hatte er die Idee, verdächtige Werke in einer nicht öffentlichen Datenbank zu erfassen. Doch erst nach der Causa B. kam das Vorhaben voran. 36 große Kunstauktionshäuser und Galerien seien heute an sein Register angeschlossen, über 4000 fragwürdige Objekte darin verzeichnet, berichtet er. Auch die Kunstabteilung des Landeskriminalamtes Berlin stellt seine Fälschungsfunde ein. Meist sind es Verdachtsmomente, etwa eine unglaubwürdige Geschichte zur Herkunft des Bildes oder – ganz profan – Rechtschreibfehler im Titel, die ein Gemälde auf die schwarze Liste bringen. Der Chef des Kölner Handelshauses spricht von „kritischen“ Werken. „Wenn wir immer ein naturwissenschaftliches Gutachten bräuchten, das die Fälschung belegt, könnten wir lange warten“, sagt er. Dank der Datenbank sei jüngst ein Berliner Händler vor fragwürdiger Ware gewarnt worden.

Die schwarze Liste? Das sei nicht so wirksam

Grundlegendes habe die schwarze Liste nicht verändert, meint der Fälschungsforscher Henry Keazor. Und tatsächlich nutzt sie das konkurrierende Kölner Kunsthaus Lempertz selten. „Die Wahrscheinlichkeit, dass darin jene gerade eingelieferte Fälschung zu finden ist, ist relativ gering“, sagt Justiziar Karl-Sax Feddersen. Das allerdings ist eine Frage der kritischen Masse. Wenn die Datenbank konsequent gefüttert wird, dürfte sich die Zahl der Treffer von Jahr zu Jahr erhöhen. Feddersen ist anderer Ansicht: „Verdächtige Werke stellen wir nicht flächendeckend in die Datei ein.“ Weshalb? „Der Ansatz ist richtig, aber eben nicht so wirksam.“

Beltracchi hatte etliche seiner Fälschungen bei dem Auktionshaus eingereicht, Lempertz musste geprellten Käufern Schadenersatz zahlen. Nun verfolgt es eine eigene Strategie, um sich vom Skandal reinzuwaschen. Der Inhaber Henrik Hanstein kooperiert seit 2011 mit dem Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft in Köln, um kritische Gemälde naturwissenschaftlich untersuchen zu lassen.

Es gibt nur wenige angesehene deutsche Institute, die dazu imstande sind; etwa das Rathgen-Institut in Berlin und das Dörner-Institut in München. Beide sind an staatliche Museen angeschlossen und machen kaum Untersuchungen für Privatleute und Händler. Ein Auftrag kann sich Monate hinziehen. Schneller ging es bis vor Kurzem beim Londoner Labor Art Access & Research, das erst 2009 gegründet wurde. Seit dem Skandal haben alle noch mehr Arbeit. „Das Bewusstsein der Galerien und Sammler ist durch die Berichterstattung der letzten Jahre gestiegen“, glaubt Eastaugh.

Die Analytik muss zum Bild kommen

Trotzdem warten die Kunstauktionshäuser ungern monatelang auf ein Echtheitszertifikat. Mutmaßlich millionenschwere Gemälde wollen sie auch nicht außer Haus oder gar außer Landes geben. „Das ist ein fürchterlicher Aufwand“, kommentiert Feddersen. Die Branche habe besondere Ansprüche, bestätigt Keazor. „Die Analytik muss zum Bild kommen. Und sie soll möglichst wenig kosten.“

Das Auktionshaus Lempertz finanziert deshalb zwei halbe Stellen an dem Kölner Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft. Zehn bis 20 verdächtige Objekte würde man im Jahr für den Auftraggeber untersuchen, berichtet Institutsleiter Robert Fuchs. Im vergangenen Jahr war darunter wieder einmal ein Bild von Max Pechstein.

Meist ist das untersuchte Bild eine Fälschung. Zahlen will er nicht nennen

Mit Röntgenfluoreszenz, Röntgendiffraktometrie und UV/VIS-Spektroskopie, die die ultravioletten und sichtbaren Wellen des Lichts nutzt, durchleuchteten die Mitarbeiter die Pigmente. Sie erfahren so, wie sich das Rot, Grün und Blau chemisch zusammensetzen. Gab es eine Substanz zu Zeiten der Entstehung eines Gemäldes noch gar nicht, ist das ein starker Hinweis auf eine Fälschung. Dieses Mal fand Fuchs’ Team nichts Verdächtiges, das Gemälde könnte echt sein. „Das kommt vor“, sagt Fuchs und deutet damit an, dass es meistens anders ist. Easthaugh bestätigt diese Erfahrung, möchte aber keinen Prozentsatz nennen. Er will niemanden mit den Zahlen schockieren.

Im Zweifel siegt der Glaube an die Echtheit

Der Aufklärungseifer der Händler lasse wieder nach. 2015 wolle das Auktionshaus Lempertz das Budget für sein Institut kürzen, sagt Fuchs ernüchtert. „Die nehmen so viel Geld ein. Aber der Unwille, gegen Fälschungen vorzugehen, wächst.“ Im Verhaltenskodex der deutschen Kunstversteigerer, der nach dem Skandal formuliert wurde, kommen sie gar nicht erst vor. Auch Markus Eisenbeis vom Handelshaus Van Ham sagt Sätze wie: „Einen Emil Nolde lehnt man nur ab, wenn man sich ganz, ganz sicher ist, dass das Bild gefälscht ist.“ Im Zweifel siegt der Glaube an die Echtheit. Denn der Wert der Ware und mit ihm der Verdienst der Händler schwindet dahin, wenn sich ein Werk als Plagiat herausstellt.

Einzig die Kunstlabore und die Hochschulprofessoren bemühen sich ernsthaft, die Flut von Fälschungen einzudämmen. Art Access & Research zum Beispiel arbeitet an neuen Methoden. Infolge der Atomwaffentests in den 1950er und den folgenden Jahren ist beispielsweise der Gehalt an schwerem Kohlenstoff in der Atmosphäre gestiegen. Wenn Experten den Gehalt dieses Kohlenstoffs in der Farbe der Bilder messen, können sie feststellen, in welchem Jahr ein modernes Gemälde wirklich entstanden ist.

In Köln hat Robert Fuchs begonnen, eine Sammlung alter und moderner Farben anzulegen. Bis dato weiß man oft nicht genau, mit welchen Pigmenten ein Maler pinselte. Zurzeit versucht der Forscher deshalb, mögliche Fälschungen von Herbert Zangs zu analysieren. Der Vertreter der „Minimal Art“ verwendete in den sechziger Jahren simple Baumarktfarben, deren Zusammensetzung nicht mehr genau bekannt ist. Fuchs recherchiert nun bei Herstellern und analysiert die Bilder chemisch, um Zangs Zutaten zu katalogisieren.

Fälschungen verwässern die Wissenschaft

Ausgerechnet Kunsthistoriker lernen im Studium nicht, wie man eine Fälschung entlarvt. Dabei sind sie es, die stilkritische Gutachten schreiben und damit einem Monet oder Macke Echtheit bescheinigen. „Sie sind nicht auf den Kunstmarkt vorbereitet. Das ist das Prekäre“, sagt Keazor. Dabei liege der Anteil der Fälschungen Schätzungen zufolge bei zehn bis dreißig Prozent. 2014 organisierte Keazor deshalb für Studenten erstmals eine Summer School. Außerdem richtet er ein Archiv für Fälschungen an der Heidelberger Hochschule ein. Anschauungsmaterial.

Die Kunstwissenschaft habe methodische Schwächen, sagt der Forscher. Gutachter ignorierten die Rückseite eines Gemäldes, so dass gefälschte Herkunftsaufkleber nicht auffallen. Rahmen und Bespannung interessieren sie weniger als die Anekdoten des Besitzers. Bei den Campendonk-Kopien bemerkten sie nicht einmal, dass Beltracchi sie regelrecht mit Nadelbäumen dekorierte – ganz anders als der Meister. „Wir müssen den Studenten beibringen, viel kritischer zu sein“, sagt Keazor. „Fälschungen verwässern die Wissenschaft. Die Sekundärliteratur und die Werkverzeichnisse sind schon jetzt voller Fehler.“ Ohne eine Fälschungswissenschaft, die unechte Kunst aufarbeitet, entferne sich die Kunstgeschichte immer weiter vom Wahrhaftigen. Schlimmer: Sie mache sich zum Handlanger der Kriminellen.

Unterdessen hechelt der Kunstmarkt ungebrochen dem großen Gewinn hinterher. Die öffentliche Wahrnehmung des Millionenbetrugs als „lustige Räuberpistole, die die Richtigen trifft“, bremst den ohnehin schwachen Veränderungswillen, bedauert Keazor. Dabei hat der Fall massenhaft Steuergelder verschlungen und das Ansehen von Kunst und Wissenschaft beschädigt. „Und der nächste Beltracchi kommt bestimmt.“

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