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Die Bahn: Lizenz zum Pünktlichsein

Züge sollen schneller werden. Damit das gelingt, müssen sich Ingenieure auch um Energieverbrauch, Lärm und Sicherheit kümmern.

Vor 175 Jahren fuhr die erste Eisenbahn in Deutschland. Heute braust der ICE mit bis zu Tempo 300 übers Land. Obwohl viele Strecken stillgelegt wurden, nimmt das deutsche Bahnnetz im globalen Vergleich eine Spitzenposition ein. Die schnellsten Züge sind jedoch im Ausland zu finden. Nur Frankreich vertritt mit dem TGV, dem train à grand vitesse, und einer Höchstgeschwindigkeit von 320 Kilometern pro Stunde im Regelbetrieb die Europäer im internationalen Wettbewerb. Der Rekordhalter rollt demnächst zwischen Peking und Schanghai. 486,1 zeigte der Tacho des „CRH380A“ bei einer Testfahrt Anfang Dezember. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Xinhua ist das Rekord in der Klasse der nicht modifizierten, konventionellen Züge.

Der chinesische Hochgeschwindigkeitszug soll ab 2012 die Reisezeit auf der 1318 Kilometer langen Neubaustrecke auf fünf Stunden verkürzen. Zudem soll binnen drei Jahren das Schienennetz auf 13 000 Kilometern für dieses Tempo ausgebaut werden, berichtet das Fachblatt „China Securities Journal“. Investitionen von bis zu 70 Milliarden Euro pro Jahr sind dafür vorgesehen. Bis 2020 könnte so ein Schienennetz mit 120 000 Streckenkilometern entstehen. „Wenn die Chinesen nicht so stark ausbauen würden, sähe es für die europäische Eisenbahnindustrie deutlich düsterer aus“, sagt Peter Mnich, Leiter des Fachgebiets Bahntechnik an der TU Berlin.

Selbst Japan mit seinen berühmten „Shinkansen“-Schnellzügen, deren erste Varianten schon in den 60er Jahren die Eisenbahnwelt revolutionierten, kann mit dem Tempo im Reich der Mitte nur mühsam mithalten. „Tempo 300 ist die Höchstgeschwindigkeit auf japanischen Strecken im Linienbetrieb“, sagt Mnich. Ab 2011 sollen neue Züge mit bis zu 360 Kilometern pro Stunde fahren.

Allerdings könnte Japan mit dem schnellsten Magnetzug wieder an die Spitze stoßen. Mit 500 Kilometern pro Stunde soll der „Maglev“ – magnetische Levitation, auf gut deutsch Schweben – übers Land schießen. Im Unterschied zum deutschen Transrapid ist für den Maglev-Zug eine reale Verkehrsstrecke geplant. Bis 2027 könnten Reisende auf den etwa 500 Kilometern zwischen Tokio und Osaka in einer Stunde pendeln. Anders als beim Transrapid nutzen die Maglev-Konstrukteure supraleitende Magnete. „Diese Technik ist im Aufbau allerdings viel teurer und nur auf Strecken mit sehr hohem Fahrgastaufkommen sinnvoll“, sagt Mnich. Mit bis zu 130 Millionen Passagieren pro Jahr zwischen den japanischen Metropolen wird diese Bedingung aber sehr wahrscheinlich erfüllt.

Von der reinen Jagd nach Temporekorden haben sich deutschen Eisenbahner verabschiedet. Bei den vergleichsweise kurzen Strecken mit mehreren Zwischenstopps wäre der Sinn von Reisen über Tempo 350 ohnehin zweifelhaft. „Zudem nehmen Verschleiß und Fahrgeräusche mit der Geschwindigkeit stark zu“, sagt Mnich. Die Entwicklung weist in Zeiten knapper Ressourcen und teurer Energie eher in Richtung Effizienzsteigerung. So entspricht der Energieverbrauch des ICE 3 pro Fahrgast weniger als drei Litern Treibstoff auf 100 Kilometer. Um weiterhin gegen das Flugzeug und vor allem gegen das Auto bestehen zu können, soll der Zugverkehr noch sparsamer werden.

Daran wird unter anderem im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) geforscht. Mit neuen Konzepten zur Aerodynamik, zu Fahrwerken und Reisekomfort arbeitet man dort am deutschen Zug der Zukunft, dem „Next Generation Train“ (NGT). „In den kommenden 15 Jahren wird das Verkehrsaufkommen weiter stark wachsen“, sagt Joachim Winter, Leiter des NGT-Projekts am DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart. „Die Schiene kann ihren Anteil gegenüber Luft und Straße nicht nur halten, sondern auch auszubauen.“

Dafür soll nicht nur der Energieverbrauch pro Passagier verringert werden, sondern auch die zugelassene Spitzengeschwindigkeit langfristig auf Tempo 400 steigen. Gleichzeitig sollen die Passagiere in Ruhe arbeiten oder lesen können. Geräuschentwicklung und Rüttelbewegungen müssen trotz des hohen Tempos minimiert werden.

Erste Designstudien sind bereits fertig: Im NGT werden die Fahrgäste auf zwei Ebenen ihre Sitzplätze finden – ähnlich wie heute schon in einigen Regionalzügen. Die derzeit gebräuchlichen Fahrgestelle mit starren Achsen könnten im Zug der Zukunft einem Radsatz weichen, in dem die Räder in den Wagenkasten integriert und über Radnabenmotoren angetrieben werden. „Vor allem aber brauchen wir für den NGT einen neuen aerodynamischen Entwurf“, sagt Winter.

Daran arbeiten unter anderem die Wissenschaftler um Sigfried Loose vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen. Neben Strömungssimulationen nutzen sie einen der modernsten Windkanäle Europas. So sollen Züge entstehen, die trotz hoher Geschwindigkeiten sicher auf den Schienen rollen und zugleich die Lärmbelastung im Inneren gering halten. Eine wichtige Rolle spielt dabei die vor wenigen Monaten in Betrieb genommene Tunnelversuchsanlage. „Hier können wir reale Zugmodelle bei Tempo 360 und Seitenwind untersuchen“, sagt Loose. Wegen der Auftriebskräfte ist es gerade bei hohen Geschwindigkeiten gar nicht so einfach, den NGT auf den Schienen zu halten. Um die Bodenhaftung zu verbessern, könnten beispielsweise aktive, verstellbare Spoiler eingesetzt werden, sagt der Forscher.

„Diese Entwicklungen sind durchaus sinnvoll“, sagt Mnich. „Aber den großen Qualitätssprung für die Bahntechnik der Zukunft bieten sie nicht.“ Diese sieht der Berliner Ingenieur nach dem Intercity aus den 70er und den ICE aus den 90er Jahren weiterhin in der Magnetschwebe-Technik. Außer dem japanischen Maglev stünde mit dem Transrapid noch immer eine weit gereifte Technik zur Verfügung. Und diese könnte sogar mit einer etwa 120 Kilometer langen Strecke auf der Kanaren-Insel Teneriffa in den nächsten Jahren noch eine Chance bekommen. „Ohne teure Tunnel ist ein Transrapid das günstigste Bahnsystem für Teneriffa“, ist Mnich, der an einer Studie zu diesem Projekt beteiligt ist, überzeugt. Ob die Insel mit der Magnetschwebebahn zusätzlich zu Sonne, Stränden und dem Teide-Vulkan eine weitere Attraktion erhält, wird sich voraussichtlich kommendes Jahr entscheiden.

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