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Meeresforschung: Versunkene Observatorien

Messparks, die vor den Küsten Kaliforniens und Kanadas installiert werden, ermöglichen es, das Meer vom Schreibtisch aus zu studieren.

Mars, Venus und Neptun sind nicht nur am Himmel zu finden, sondern auch im Pazifischen Ozean. Denn so heißen Unterwasser-Observatorien, die vor den Küsten Kaliforniens und Kanadas entstehen und teilweise schon in Betrieb sind. Anstatt mit einem U-Boot für nur wenige Stunden in die ewige Dunkelheit vorzudringen, ermöglichen es die Geräte mit den kosmischen Namen, den abgelegenen Lebensraum lange Zeit zu studieren.

Dazu dienen etwa Kameras, Unterwassermikrofone oder Strömungssensoren. Die Verbindung zum Festland besteht aus einem dicken Kabel. Wie eine Nabelschnur versorgt es die Messgeräte mit Strom und die Forscher mit Daten.

Gewissermaßen vom Schreibtisch aus haben kanadische Meeresbiologen herausgefunden, dass bodennahe Fische die oberste Schicht am Meeresgrund binnen kurzer Zeit regelrecht umgraben. Für die Langzeitbeobachtung nutzten die Wissenschaftler Messgeräte von „Venus“ (Victoria Experimental Network Under the Sea), die sich rund 100 Meter unter der Wasseroberfläche der Straße von Georgia befinden, die den Westen Kanadas von Vancouver Island trennt.

Pro Tag und Quadratmeter stießen die Tiere während ihrer Nahrungssuche mehr als 100-mal in den Schlick. Allen voran die Flundern. Wie das Team um Gitai Yahel im Fachjournal „Marine Ecology Progress Series“ (Band 372, Seite 195) berichtet, wird der Meeresboden alle zweieinhalb Tage komplett umgewühlt. Dadurch werden organische Verbindungen aus dem Schlick freigesetzt, die oxidieren und damit den Sauerstoffpegel in der unteren Wasserschicht absenken. „Durch die Aktivität der Fische gelangen rund 40 Prozent des abgelagerten und bereits fixierten Kohlenstoffs wieder in die Wassersäule und tragen zur Versauerung bei“, schreiben die Forscher.

Die Messpunkte in der Straße von Georgia sind seit knapp zwei Jahren in Betrieb, die erste Plattform in der nahen Saanich-Bucht bereits seit drei Jahren. Das Konzept der verkabelten Messfelder ist erfolgreich und findet Nachahmer.

So entsteht an der kalifornischen Küste ein weiteres Tiefsee-Observatorium. Im Projekt „Mars“ (Monterey Accelerated Research System) installieren die Wissenschaftler in 900 Meter Wassertiefe einen ganzen Park von Messgeräten, um das Leben in der Dunkelheit zu studieren. Das Herz der Anlage ist ein Verbindungsmodul, das einerseits Strom über ein 52 Kilometer langes Kabel vom Festland zu den Sensoren bringt und andererseits Messdaten in Echtzeit auf die Computer der Forscher im Labor überträgt. Nach einem Fehlstart im vergangenen Frühjahr ist die Verbindung zwischen Meeresgrund und Festland seit November stabil. Nun verankern die Forscher schrittweise Messstationen am Boden.

Bereits angeschlossen ist eine Spezialkamera, die das Leben der Tiefseebewohner verfolgt. Und das funktioniert, obwohl dort unten ewige Dunkelheit herrscht. Der Grund: Viele Tiere senden Licht aus. „Biolumineszenz“ sagen Wissenschaftler zu dem Effekt, den man auf dem Festland von Glühwürmchen kennt.

Da die Tiefseekamera fest installiert ist und nicht wie ein Tauchboot Geräusche und Schwingungen verursacht, hoffen die Forscher, die Meeresbewohner lebensnah filmen zu können. Um die Szenerie besser auszuleuchten, gibt es rote Lampen, die von den meisten Meeresbewohnern nicht wahrgenommen werden können und den Forschern jene Körperteile zeigen, die nicht selbst leuchten.

Weiterhin sind mehrere Sonden montiert worden, die kontinuierlich wichtige Messwerte aus der Tiefe aufzeichnen, etwa Temperatur, Salzgehalt, elektrische Leitfähigkeit und chemische Kenngrößen. Diese Sensoren sollen Experimente unterstützen, in denen die Auswirkungen der Ozeanversauerung erforscht wird. Dazu wollen die Forscher erstmals Kohlendioxid in die Tiefsee pumpen und direkt beobachten, wie die Tiere am Meeresboden darauf reagieren.

Das mehr als 13 Millionen Dollar teure Projekt enthält auch Seismografen, die Erschütterungen des Untergrunds messen. Die Gegend um Monterey, wo „Mars“ aufgebaut wird, liegt nahe der San-Andreas-Störung, an der starke Erdbeben auftraten. Auf dem Festland haben Geowissenschaftler das Puzzle der verschobenen Gesteinsblöcke intensiv erforscht und sogar in zwei Kilometer Tiefe durch die San-Andreas-Störung hindurchgebohrt, um die Beben genau zu studieren.

Aus der angrenzenden Montereybucht, in der eine Parallelstörung verläuft, gab es bisher nur wenige Daten, weil die Seismografen batteriebetrieben waren. Falls es ein Beben gab, musste man wochenlang warten, um beim Batteriewechsel an die entsprechenden Daten heranzukommen. Indem die Geräte nun teilweise an eine Stromversorgung angeschlossen sind, können die Geoforscher das Zittern der Erde genauer verfolgen.

Noch nicht so weit ist der Aufbau von „Neptune Canada“. Es soll zum größten Meereslabor der Welt heranwachsen. Die Planungen sehen vor, bis zu 300 Quadratkilometer Pazifikboden vor Vancouver Island mit Messgeräten zu überwachen. Das Gebiet liegt direkt am Kontinentalhang, so dass die Sensoren die Wasserwelt zwischen 600 und 2600 Meter Tiefe beobachten können.

Die Benennung der Observatorien nach fernen Planeten ist übrigens kein Zufall. „Tiefseeforschung und Raumfahrt haben viele Gemeinsamkeiten“, sagt Peter Girguis vom Monterey Bay Aquarium Research Institute. Beide suchten nach Leben unter Extrembedingungen. Und beide seien aufwendig und teuer.

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