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Vergängliche Schönheit. Mangrovenwälder schaffen am Übergang zwischen Land und Meer ein einzigartiges, artenreiches Ökosystem.

©  Neil Saintilan

Meeresspiegelanstieg in den Tropen: Mitwachsen oder untergehen: Mangroven im Klimawandel

Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht Mangrovenwälder und ihre Dienste für den Menschen.

Kinderstube, Küstenschutz, Kohlenstoffbinder: Mangrovenwälder sind Ökosysteme von vielfältigem Nutzen für den Menschen. Die Wälder zwischen Land und Meer, zwischen Ebbe und Flut, sind Laichgebiete für viele Meeresbewohner, sie schützen Küstengebiete vor Wellen und Stürmen und sie binden mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre als die meisten anderen natürlichen Lebensräume.

Dennoch sind sie auch vielfältig durch menschliche Aktivitäten bedroht. Nach einer aktuellen Studie könnte ihre Anpassungsfähigkeit schon in dreißig Jahren überfordert werden: durch den Meeresspiegelanstieg infolge des Klimawandels.

„Wie Mangroven auf den Meeresspiegelanstieg reagieren, ist bislang wenig verstanden”, schreiben die Forschenden um Neil Saintilan von der Macquarie University in Australien in der aktuellen Ausgabe von „Science“. Sie haben sich daher der Vergangenheit zugewandt und an 78 Standorten weltweit in den Sedimenten unter heutigen tropischen und subtropischen Mangrovenwäldern nach Antworten gesucht.

Als zum Ende des Eiszeitalters, vor mehr als 20 000 Jahren, riesige Gletscher zu schmelzen begannen, stieg der Meeresspiegel um mehr als 12 Millimeter pro Jahr. Für die Mangroven dieser Zeit war das zu viel. Sie konnten sich nur in kleinen Restgebieten oder weiter landeinwärts halten, breiteten sich in der Folgezeit aber wieder aus.

Millimeter pro Jahr

Vor etwa 10 000 Jahren, in den ersten Jahrtausenden des Holozäns, verlangsamte sich der Meeresspiegelanstieg allmählich bis vor etwa 7000 Jahren ein Höchststand erreicht wurde – vorläufig, wie sich derzeit andeutet. Das große Abtauen vollzog sich nicht überall auf der Welt gleichförmig. In der Karibik und dem Golf von Mexiko, in größerer Nähe zum Laurentidischen Eisschild auf dem nordamerikanischen Kontinent stieg der Meeresspiegel noch länger, wenn auch mit abnehmender Geschwindigkeit.

Aber die Mangroven durchliefen an den Untersuchungsstandorten, die rund um die Welt verteilt sind, eine ähnliche Entwicklung. Als das ansteigende Meerwasser flache Küstengebiete überflutete, sammelten sich unter den Mangrovenwäldern mehrere Meter starke Sedimentschichten an. Die Auswertung der Bohrkerne von Standorten in Afrika, Asien, Australien und Südamerika zeigt, dass die Sedimentbildung vor 8000 bis 10 000 Jahren begann, in der Karibik und im Golf von Mexiko vor etwa 6000 bis 8000 Jahren.

Wie schnell die Sedimentschichten wuchsen, hing eng mit der Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs zusammen, berichtet das Team um Saintilan. Im Gebiet des Ganges-Brahmaputra-Deltas in Indien begannen die Sedimentschichten zu wachsen, als der Meeresspiegel vor etwa 9800 Jahren nicht mehr um neun, sondern nur noch um sechs Millimeter pro Jahr stieg.

An anderen Standorten in Australien, Afrika, Süd- und Mittelamerika, und Asien stieg der Meeresspiegel seit etwa 8800 Jahren um weniger als sieben Millimeter pro Jahr. Dort wuchsen die Sedimente über 1000 Jahre praktisch im Gleichschritt: um etwa sechs Millimeter pro Jahr.

Lückenhaftes Wissen

Die Analyse aller gesammelten Daten, die ganz unterschiedliche Küstenlandschaften und Gezeiten repräsentieren, weist auf einen kritischen Grenzwert hin: „Wenn der Meeresspiegel schneller als 6,1 Millimeter pro Jahr steigt, können Mangroven wahrscheinlich keine Sedimente mehr ansammeln“, schreiben die Forscher. Sie beziffern den Wahrscheinlichkeitswert mit 90 Prozent. Ab 7,6 Millimeter Meeresspiegelanstieg pro Jahr fällt das Mangrovenwachstum mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit aus.

Matt Kirwan vom US-amerikanischen Virginia Institute of Marine Science interpretiert die Daten anders. „Ich stimme voll und ganz zu, dass Mangroven durch den Meeresspiegelanstieg gefährdet sind“, sagte er dem Tagesspiegel. Aber in der Studie werde das Überleben der Mangroven mit der Bildung von Sedimenten gleichgesetzt. „Die Anfälligkeit der Mangroven wird dadurch überschätzt“, sagt Kirwan. Sie seien wahrscheinlich in der Lage, Raten des Meeresspiegelanstiegs zu überleben, die viel höher sind als die Raten, in denen sie sich bilden könnten. Die wissenschaftliche Diskussion über die Widerstandsfähigkeit der Mangroven dauert also noch an.

Auch Fragen zum Meeresspiegelanstieg sind offen. Saintilans Team geht von Abschätzungen des Weltklimarats IPCC aus. „Die Zahlen sind durchaus realistisch. Allerdings gibt es nach oben hin erhebliche Unsicherheit“, sagte der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung dem Tagesspiegel. Vor allem könnten Eismassen in der Antarktis ins Meer rutschen. Ihr Beitrag zum erwarteten Anstieg ist schwer berechenbar. „Viele Meeresspiegelexperten befürchten einen erheblich rascheren Meeresspiegelanstieg als der IPCC“, sagt Rahmstorf.

Für die tropischen Mangrovenwälder kommt ein weiterer Faktor hinzu: Da die Eismassen in Polnähe abnehmen, und damit auch die Anziehungskraft auf das Meerwasser, bewegt es sich von den Polen weg. „Das ist einer der Gründe, warum wir einen um zehn bis zwanzig Prozent stärkeren Meeresspiegelanstieg in den Tropen erwarten“, sagt Rahmstorf.

„Wenn das Wissen über ein System lückenhaft ist, sind Grenzwerte für Entscheidungsträger überaus nützlich“, schreibt Catherine Lovelock von der australischen University of Queensland in einem Kommentar zu Saintilans Studie. Bislang sei unklar gewesen, wie viel Meeresspiegelanstieg Mangroven vertragen können. Dass die Studie einen Grenzwert zwischen sechs und sieben Millimetern Anstieg pro Jahr benenne, sei eine extrem wichtige Information für den Schutz der Mangrovenwälder, die rund 200 Millionen Menschen weltweit mit „ökosystemaren Dienstleistungen“ versorgten, so Lovelock.

Rohstoffe, Nahrung und Küstenschutz

Aber warum sind Mangroven überhaupt so wichtig? Die Wälder, die auf tropische und subtropische Regionen beschränkt sind, bestehen aus salztoleranten Baum- und Straucharten. In Anpassung an ihren Lebensraum in der Gezeitenzone bilden sie so genannte Stelwurzeln, die am Baumstamm entspringen und zum Boden wachsen, wo sie unterirdisch Wurzeln bilden.

Verwurzelt. Wie auf Stelzen stehen Mangroven, um dem Meer zu trotzen.
Verwurzelt. Wie auf Stelzen stehen Mangroven, um dem Meer zu trotzen.

©  Neil Saintilan

Damit können sie Sedimente zurückhalten, zum Beispiel herabfallende Blätter, die im Wasser nur langsam verrotten. Das Wurzelwerk ist aber auch Lebensraum für zahlreiche Wasserlebewesen, aber auch wichtig für landlebende Tiere.

Die Ökosysteme sind enorm produktiv: Mangrovenwälder entziehen der Atmosphäre drei bis fünf Mal mehr Kohlendioxid als Wälder an Land. Im frühen Holozän waren es 85 Gigatonnen Kohlenstoff, schätzen Saintilan und sein Autorenteam.

Über den Klimaschutz hinaus umfassen die ökosystemaren Dienstleistungen für Menschen Rohstoffe, Nahrung und Schutz vor Sturm und Wellen. Ein intakter Mangrovengürtel kann sogar Tsunamis abschwächen.

Doch die laut der Naturschutzorganisation WWF weltweit verbliebenen Mangrovenbestände von knapp 14 Millionen Hektar werden stetig kleiner. Sie weichen Becken für Garnelenzucht, Bau- und Ackerland oder werden gerodet, um das Holz zu nutzen. Seit den 1980er Jahren wurde laut WWF rund ein Drittel der Mangrovenwälder zerstört.

Klimaschutz und Anpassung

Die größte Gefahr dürfte vor dem Hintergrund der aktuellen Studie jedoch im aktuellen Klimawandel liegen. Derzeit steigt der Meeresspiegel durch den Zustrom von Schmelzwasser vom Land und auch durch die Erwärmung und Ausdehnung des Meerwassers laut Weltklimarat IPCC um 3,6 Millimeter pro Jahr an. Der Anstieg beschleunigt sich: im vergangenen Jahrhundert waren es im Mittel nur 2,1 Millimeter.

„In den Tropen und Subtropen wird der Meeresspiegel selbst bei verringerten Emissionen von Treibhausgasen bis zum Jahr 2100 jährlich um voraussichtlich fünf Millimeter steigen“, berichtet das Team um Saintilan. Bei weiterhin hohen Emissionen liege der erwartete Wert schon in dreißig Jahren bei zehn Millimetern pro Jahr und damit deutlich über dem für Mangroven kritischen Grenzwert von sechs bis sieben Millimetern.

Die Wissenschaftler schließen mit einer nüchternen Empfehlung: „Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, das Ausmaß des Meeresspiegelanstiegs zu begrenzen und sicherzustellen, dass Anpassungsmaßnahmen an der Küste die Ausdehnung der Mangroven ins Hinterland ermöglichen.“

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