zum Hauptinhalt
Carl Djerassi, Miterfinder der Pille

© Reuters/Heinz-Peter Bader

Nachruf: Drei Männer und kein Baby

Carl Djerassi, einer der Entdecker der Pille, ist tot. Er hat das Leben unzähliger Frauen verändert.

Manch eine Revolution beginnt in einem kleinen Labor, irgendwo auf der Welt. So wie am 15. Oktober 1951. In Mexico City war es drei Forschern der Pharmafirma Syntex gelungen, ein weibliches Sexualhormon so zu verändern, dass man es als Pille schlucken konnte statt es zu spritzen. Progesteron wird im Körper einer schwangeren Frau in besonders großen Mengen produziert und verhindert den Eisprung. Das von ihnen synthetisierte Progestin namens Norethisteron eignete sich daher zur Verhütung. Carl Djerassi, Luis Miramontes Cárdenas und George Rosenkranz ebneten damit den Weg für die Pille, jenes Medikament, das Sex und Reproduktion entkoppelte und damit erheblich zur Selbstbestimmung der Frau beitrug.

Die Entdeckung machte ihn berühmt, immer wieder wurde er als „Vater der Pille“ bezeichnet. Djerassi mochte das Etikett nicht, das über 50 Jahre an ihm klebte. Er sei eher die Mutter, betonte er in Interviews. Er hatte die Grundsubstanz für die Entwicklung der Pille erschaffen, das Ei. Der Biologe Gregory Pincus leitete die Experimente, ob und wie man damit verhüten kann. Er war der Vater. Und der Arzt John Rock überwachte die ersten klinischen Studien am Menschen. Er war die Hebamme. Gemeinsam haben sie das Leben unzähliger Frauen verändert. 1960 kam die Pille auf den Markt, in Deutschland 1961.

Nun sind sie alle tot, auch Carl Djerassi. Er starb in der Nacht zum 31. Januar an einem langen Krebsleiden, umringt von seiner Familie und Freunden. Der Chemiker, Autor und Kunstförderer wurde 91 Jahre alt. Er hinterlässt einen Sohn, ein Enkelkind und eine Stieftochter aus dritter Ehe.

"Mir war früh klar, dass Frauen mehr können als Kinder, Kirche und Küche."

In Wien am 29. Oktober 1923 geboren verbrachte er seine frühe Kindheit in Sofia, Bulgarien. Als die Ehe seiner Eltern – beide waren jüdische Ärzte – scheiterte, zog die Mutter zurück in ihre Heimatstadt Wien. Sie praktizierte als Zahnärztin, während ihr Sohn Carl das Gymnasium besuchte, an dem bereits Sigmund Freud seine Schulzeit verbracht hatte. „Meine Mutter hat mich zu einem Feministen gemacht“, sagte Djerassi. „Mir war früh klar, dass Frauen mehr können als Kinder, Kirche und Küche.“

Als der nationalsozialistische Wahn 1938 in Österreich begann, kehrte der Vater für kurze Zeit zu seiner Familie zurück. Gemeinsam emigrierten sie in die USA. Sie standen vor dem Nichts, mussten ohne finanzielle Rücklagen von vorn anfangen.

Der Wiener Akzent - oder zumindest Spuren davon - blieb Carl Djerassi zeitlebens, obwohl er bereits als Teenager in Amerika ankam. Als Sohn von Flüchtlingen habe er ununterbrochen das Gefühl gehabt, sich behaupten zu müssen, sagte Djerassi. „Wir mussten die Besten sein, um in der amerikanischen Gesellschaft anzukommen.“ Mit 16 schrieb er an Eleanore Roosevelt und bat sie um ein College-Stipendium. Mit 19 hatte er seinen Bachelor-Abschluss in der Tasche, mit 22 schloss er seine Dissertation an der Universität von Wisconsin ab. Bald meldete er das Patent auf das erste Antihistamin an. Mit 28 Jahren machte er in Mexiko seine bekannteste Entdeckung. Ihm ging es dabei nicht um Geburtenkontrolle. Er wollte Menstruationsbeschwerden mit einem Medikament behandeln, Unfruchtbarkeit beheben und bestimmte Formen von Gebärmutterhalskrebs bekämpfen.

Manche meinten, die Abkürzung stehe für "Sexy Man Invents Pill"

Es kam anders. Und weil Djerassi früh Anteile der Firma Syntex gekauft hatte, machte die Pille ihn reich. Er erstand ein fast fünf Quadratkilometer großes Anwesen bei San Francisco und sammelte Kunst – Klee, Giacometti, Picasso, Moore. Etwa 150 Werke von Paul Klee gehörten ihm bis zu seinem Tod. Sie gehen nun in den Besitz des San Francisco Museum of Modern Art über.

Dass er zusätzlich eine Künstlerkolonie gründete, hatte persönliche Gründe. Seine Tochter aus zweiter Ehe war als Künstlerin nicht erfolgreich, sie plagten Depressionen. Nach ihrem Selbstmord im Jahr 1978 wollte er anderen Talenten ihren Weg erleichtern. SMIP hieß sein Anwesen fortan. Syntex Made It Possible. Andere meinten, die Abkürzungen stehe wohl eher für „Sexy Man Invents Pill“.

Die Auswirkungen, die die Pille auf die Gesellschaft hatte, machten den Chemiker im Laufe der Zeit immer mehr zu einem Philosophen und Autor. Er verfasste Sachbücher, Romane, Theaterstücke und Gedichte über das Spannungsfeld zwischen den Sphären. Die Weltbevölkerung wuchs trotzdem unaufhörlich, in den 90 Jahren seines Leben vervierfachte sie sich beinahe.

„Ich bin keine zufriedene Person, ich will immer mehr“, sagte Djerassi über sich selbst. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, sich zur Ruhe zu setzen, weil er genug Geld hatte. In 50 Jahren gab er sein Wissen als Professor an Universitäten wie Stanford an unzählige Studenten weiter. Er verfasste etwa 1200 Fachartikel und bekam eine hohe Ehrung nach der anderen. „Die Forschung ist die einzige Olympiade, in der es nur Gold gibt. Der Zweite Platz ist schon der letzte“, hat Djerassi einmal gesagt. Auf den Nobelpreis wartete er vergebens.

Zur Startseite