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Elefanten bleiben lange in der mütterlichen Herde, die Weibchen oft lebenslang.

© REUTERS/Philimon Bulawayo

Nicht nur Mensch und Bonobo: Haben Elefanten sich selbst domestiziert?

Bislang gelten nur Menschen und Bonobos als selbstdomestiziert. Doch auch bei Elefanten gibt es Parallelen von Verhalten und Anatomie.

Von Walter Willems, dpa

Bisher ist es nur ein erlesener Kreis: Nach einer Theorie gelten zwei Arten als „selbstdomestiziert“, also ohne direkte Beteiligung einer anderen Spezies. Der Mensch (Homo sapiens) und Bonobos oder Zwergschimpansen (Pan paniscus) haben sich impulsive Aggressivität durch die Selbstzähmung weitgehend abgewöhnt.

Der nicht unumstrittene Vorschlag geht auf den Harvard-Anthropologen Richard Wrangham zurück und erklärt etwa die drastischen Verhaltensunterschiede zwischen Bonobos und den wesentlich aggressiveren Gemeinen Schimpansen (Pan troglodytes). Nun könnten eine weitere Art als erster Nicht-Primat zu dieser Gruppe stoßen.

Alle drei Arten des Elefanten, der Asiatische Elefant (Elephas maximus), der Afrikanische Elefant (Loxodonta africana) und der ebenfalls in Afrika heimische Waldelefant (Loxodonta cyclotis) sollen ebenfalls selbstdomestiziert sein. Das schlägt ein internationales Forschungsteam um Limor Raviv vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen in den „Proceedings“ der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften vor.

Äußere Einflüsse, innere Anpassung

Anhänger der Hypothese argumentieren, eine Domestizierung – auch bei Haustieren durch den Menschen – gehe mit der Entwicklung konkreter Merkmale von Anatomie und Verhalten einher. Dazu zählen unter anderem bestimmte Veränderungen von Schädel, Zähnen, Ohren oder Fell. Im Falle des Menschen begünstigte die nachlassende reaktive Aggressivität der Theorie zufolge Kooperation, Verständigung und den Gebrauch von Werkzeugen.

Während bei domestizierten Tieren der Mensch die Kriterien durch Züchtung auswählte, gilt die Selbstdomestizierung als von Umweltveränderungen angestoßener Prozess. Als Ursache diskutiert werden einerseits harsche Umweltbedingungen, die eine verbesserte Kooperation erfordern und andererseits günstigere Bedingungen, die aggressives Verhalten überflüssig machten.

An Veränderungen der Schädelform und der Anzahl der Zähne soll Selbstdomestizierung erkennbar sein.
An Veränderungen der Schädelform und der Anzahl der Zähne soll Selbstdomestizierung erkennbar sein.

© Patrick Eickemeier

Als Beispiel hierfür gelten Bonobos, die im Regenwald südlich des Flusses Kongo weitgehend ohne große Konkurrenz um Nahrung leben – anders als die Gemeinen Schimpansen nördlich des Flusses. Dies könnte dem Team um Raviv zufolge auch für Elefanten gelten. Diese hätten zum einen aufgrund von Größe und Stärke kaum Fressfeinde, und könnten zum anderen ein breites Nahrungsangebot nutzen.

Ausgedehnte Jugend und fürsorgliche Artgenossen

Zu den anatomischen Parallelen der Evolution von Mensch, Bonobo und Elefanten zählt das Team unter anderem eine Abflachung des Schädels, eine Reduzierung der Anzahl der Zähne, sensiblere Reaktionen des Stresshormons Cortisol auf soziale Veränderungen und das Verhältnis zwischen tatsächlicher und erwarteter Gehirnmasse – den sogenannten Enzephalisationsquotienten. Zudem ähnele sich bei den Arten das Vorkommen und die Verteilung spezieller, besonders großer Nervenzellen: der Spindelneuronen oder Von-Economo-Neuronen.

Als Parallelen im Verhalten nennt das Team verminderte Aggressivität, höhere Toleranz, ausgeprägte Kooperation auch über den eigenen Sozialverband hinaus, Fürsorge auch für den Nachwuchs von Artgenossen, ausgeprägte Kommunikation und Verspieltheit sowie eine ausgedehnte Kindheit und Jugend.

Letztlich mutmaßt das Team, dass Menschen, Bonobos und Elefanten nicht die einzigen selbstdomestizierten Arten sein könnten. Insgesamt sei Selbstdomestizierung kein entweder vorhandenes oder nicht-vorhandenes Merkmal, sondern ein Kontinuum, das mehr oder weniger ausgeprägt sein könne. „Die Tatsache, dass Züge der Selbstdomestizierung fast automatisch aus einer Verringerung reaktiver Aggression entstehen, deutet darauf hin, dass Selbstdomestizierung weiter verbreitet ist als gedacht.“ Mögliche Beispiele seien Delfine, andere Wale, Papageien, Sansibar-Stummelaffen und Feldmäuse.

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