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Aufspaltung eines Elektrons in zwei Quasiteilchen: das „Orbiton“ (vorn) und das „Spinon“ (hinten).

© David Hilf

Physik: Das geteilte Elektron

Physiker beobachten, wie sich die Elementarteilchen in zwei Teile aufspalten. Diese "Quasiteilchen" tragen jeweils eine bestimmte Eigenschaft des Elektrons.

Elektronen gelten als unteilbare Elementarteilchen. Sie umkreisen – vereinfacht gesagt – Atomkerne wie Planeten ihren Mutterstern. Unter besonderen Bedingungen kann es aber passieren, dass sich Elektronen in zwei Teile aufspalten. Davon berichtet ein internationales Wissenschaftlerteam um Justine Schlappa vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie im Fachjournal „Nature“. Dieser verblüffende Mechanismus könnte den Forschern zufolge künftig womöglich bei der Entwicklung von Supraleitern genutzt werden.

Elektronen haben bestimmte Eigenschaften wie eine elektrische Ladung und den „Spin“. Die Ladung ist negativ und macht die Teilchen damit zu den Grundbausteinen der gesamten Elektronik. Der Spin beschreibt die Eigenrotation des Elektrons, die jedes Teilchen zu einem winzigen Stabmagneten mit Nord- und Südpol macht. Das ist wichtig für die Materialeigenschaften: Zeigen etwa die Nordpole aller Elektronen in die gleiche Richtung, ist der Stoff magnetisch.

„Normalerweise sind Ladung und Spin in jedem Elektron untrennbar miteinander verbunden“, sagt Ralph Claessen von der Universität Würzburg, der in „Nature“ einen Kommentar zu der Studie verfasst hat. „Wenn in einem Draht ein Strom fließt, bewegen sich alle Elektronen mit ihrem Spin und ihrer Ladung in die gleiche Richtung.“ Das ändert sich aber, wenn der Draht extrem dünn wird und sich die Teilchen nur noch vor- oder rückwärts bewegen können. „Dann treten quantenmechanische Effekte auf“, sagt der Physiker. „Sie führen dazu, dass Spin und Ladung voneinander getrennt werden und sich als Quasiteilchen unterschiedlich schnell durch den ,Nanodraht’ bewegen.“

Dieser lange vermutete Effekt wurde vor einigen Jahren erstmals experimentell belegt. Schlappa und Kollegen wiesen nun eine weitere Form der Elektronenteilung nach. Dabei entsteht einerseits das bekannte Quasiteilchen, das die magnetische Information trägt („Spinon“ genannt). Das zweite heißt „Orbiton“ und trägt die Information über die Bewegung des Elektrons um den Atomkern.

Für ihren Versuch haben die Forscher einen besonders dünnen Nanodraht genutzt. Er besteht aus einzelnen Kupferatomen, die perlenschnurartig in Strontium-Kupfer-Oxid (Sr2CuO3) angeordnet sind. Dieses Material wurde auf minus 259 Grad Celsius gekühlt und am schweizerischen Paul-Scherrer-Institut mit intensivem Röntgenlicht bestrahlt.

Auf diese Weise erhielten einzelne Kupferelektronen zusätzliche Energie. „Sie wurden dadurch in andere Umlaufbahnen – sogenannte Orbitale – gebracht, in der sie den Atomkern schneller umkreisen“, erläutert Jeroen van den Brink vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden. Nach dieser Anregung spalteten sich die Elektronen auf in die zwei Quasiteilchen, das Spinon und das Orbiton, die sich unterschiedlich schnell durch den Nanodraht bewegten. Das Material verlassen können die neuen Teilchen jedoch nicht.

Anders als bei Zellen unter dem Mikroskop lassen sich einzelne Elektronen und ihre Teilung nicht direkt beobachten. Dafür sind sie viel zu klein. Die Forscher stützen ihre Aussage auf Detektoren, die Spuren von Tausenden solcher Zerfälle registrieren. „Wir messen wie sich die Energie und der Impuls der Röntgenstrahlung verändern, wenn sie auf das Material trifft“, erläutert van den Brink. Daraus lassen sich die Eigenschaften der neu entstandenen Teilchen ableiten. Und die stimmten ziemlich genau mit den theoretisch vorhergesagten überein, wie der Dresdener Physiker feststellte.

Über Anwendungen der Entdeckung lässt sich bisher nur spekulieren. Nach Ansicht der Forscher könnte sie in der Hochtemperatur-Supraleitung hilfreich sein. Dort geht es darum, weit über dem absoluten Nullpunkt elektrischen Strom verlustfrei zu übertragen. Da sich die Elektronen in Supraleitern auf Kupferbasis ähnlich verhalten wie in Strontium-Kupfer-Oxid, hoffen die Physiker auf neue Erkenntnisse, um dem Traum vom widerstandslosen Stromleiter näher zu kommen.

Ein anderes Feld bringt Ralph Claessen ins Spiel. „In der Mikroelektronik geht die Miniaturisierung immer weiter“, sagt er. Irgendwann würden Transistoren und die verbindenden Leitungen in den Computerchips so klein, dass quantenmechanische Effekte wirksam werden könnten. „Wie das Experiment von Schlappa und Kollegen zeigt, verhalten sich die Elektronen dann nicht mehr so, wie wir es kennen“, sagt Claessen. „Ob der Effekt des ,Zerfalls’ dieser Teilchen für die Herstellung neuer Schaltelemente genutzt werden kann, ist eine spannende Frage für zukünftige Forschungen.“

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