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Öffentlich. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) stellte seine Arbeit am Dienstag online.

© dpa

Plagiatsvorwürfe gegen Norbert Lammert: Universität Bochum prüft Doktorarbeit

Bundestagspräsident Norbert Lammert habe bei seiner Doktorarbeit weniger gelesen, als er behauptete. Das wirft ihm ein anonymer Plagiatsjäger vor. Die Uni Bochum prüft die Arbeit nun.

Wie stichhaltig sind die Plagiatsvorwürfe gegen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU)? Die Ruhr-Universität Bochum jetzt hat ein Verfahren in Gang gesetzt, um die Doktorarbeit Lammerts zu prüfen. Das teilte die Universität am Dienstag mit. Lammert hatte die Uni zuvor am Montag um eine Überprüfung seiner Arbeit gebeten, die er mit dem Titel „Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung – Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet“ 1974 eingereicht hatte.

Anlass für die Prüfung ist ein Plagiatsvorwurf eines anonymen Bloggers, der sich „Robert Schmidt“ nennt. Dieser hatte bereits die Plagiatsvorwürfe gegen die ehemalige Wissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) im Internet öffentlich gemacht. Die Fakultät stimmte für die Aberkennung des Titels, Schavan klagt dagegen.

Beanstandet werden Passagen auf 42 Seiten

Nun hat „Robert Schmidt“ die Webseite „Lammertplag“ freigeschaltet. Dort beanstandet er auf 42 Seiten der insgesamt 224-seitigen Arbeit Passagen, an denen er „Unregelmäßigkeiten“ festgestellt haben will. Lammert stellte am Dienstag seine Arbeit ins Internet, um „interessierten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu geben, sich einen eigenen und vollständigen Eindruck von der Dissertation zu verschaffen“, wie es auf seiner Homepage heißt. Lammert hält in Bochum seit dem Wintersemester 2005/2006 Lehrveranstaltungen an der Fakultät für Sozialwissenschaft, wo er seit 2008 eine Honorarprofessur innehat.

Die Vorwürfe scheinen allerdings deutlich weniger schwerwiegend zu sein als einst die gegen Ex-Verteidigungsminister Guttenberg und auch geringer als die gegen Schavan. In einer E-Mail an den Tagesspiegel erklärt „Robert Schmidt“ selbst, dass Lammert „weniger direkt abschreibt“ als Schavan. Er beanstande an Lammerts Dissertation vor allem, dass dieser in seinen Fußnoten sehr viel Literatur angebe, die er offenbar gar nicht gelesen habe. Lammert täusche so eine Literaturrezeption vor, „die er in diesem Umfang nicht selbst erbracht hat“. „Robert Schmidt“ wertet das als eine „andere, etwas schwieriger darstellbare Art von Plagiat“.

Der Vorwurf: Lammert täuscht den wissenschaftlichen Diskurs vor

Tatsächlich geht es bei „Lammertplag“ weniger um direkte Plagiate, also eine ungekennzeichnete Textübernahme von Fremdautoren. Typisch ist vielmehr eine Passage auf den Seiten 3 und 4 der Arbeit – zwei von zehn Stellen, die auf der Webseite als „bemerkenswert“ gewertet werden. Lammert referiert dort verschiedene deutsche und amerikanische Ansätze zur Parteienforschung und verweist dabei in zahlreichen Fußnoten auf unterschiedliche Werke. Unter diesen Referenzen befindet sich auch ein Aufsatz des Politikwissenschaftlers Hans-Otto Mühleisen. „Robert Schmidt“ kritisiert nun, Lammert habe eigentlich nur Mühleisen gelesen. Die weiteren Fußnoten habe er dann alle von Mühleisen übernommen, um eine Auseinandersetzung mit den anderen Autoren vorzutäuschen. Der Blogger macht seinen Vorwurf daran fest, dass Lammert zwei von Mühleisen fehlerhaft geschriebene Namen in den Fußnoten falsch übertragen habe. Um seine Abhängigkeit von Mühleisen zu verwischen, habe Lammert dessen Text stark umformuliert.

Überhaupt habe Lammert wiederholt Fehler in den Literaturangaben mitkopiert. So zitiere er in einer Fußnote den US-Psychologen Bernhard P. Indik in der gleichen Schreibung wie bei Mühleisen. Der Vorname schreibe sich aber „Bernard“ – ohne „h“.

Zweimal verweise Lammert sogar auf Bücher, die gar nicht existierten. Bei zumindest einer dieser Stellen scheint die Kritik von „Robert Schmidt“ aber ziemlich fragwürdig. Lammert verweist dort auf Aussagen von S. M. Lipset. Diese sind laut Fußnote in einer „Einführung zur englischen Ausgabe von Robert Michels’ Soziologie des Parteiwesens, New York 1962“ erschienen. Ein Buch mit diesem deutschen Titel gebe es gar nicht, kritisiert „Lammertplag“. Womöglich meinte Lammert aber nur, dass Lipset die Einführung zur englischen Ausgabe geschrieben hat? Diese Möglichkeit hat „Robert Schmidt“ zunächst nicht in Erwägung gezogen. „Selbst wenn das so wäre, hätte Lammert an dieser Stelle als Quelle den Titel zur englischen Ausgabe nennen müssen“, schreibt der Blogger in seiner E-Mail.

Reichen Beanstandungen zu weiterführender Literatur aus?

Reichen Beanstandungen in Hinweisen zu weiterführender Literatur überhaupt aus, um einen Plagiatsvorwurf zu konstruieren und diesen öffentlich zu machen? Für „Robert Schmidt“ schon: „Ich würde die Übernahme von Literaturhinweisen ohne Prüfung als eine Form von Plagiat bezeichnen.“

Für die Plagiatsexpertin Debora Weber-Wulff (HTW Berlin) ist fraglich, ob man bei den beanstandeten Stellen wirklich von Plagiat sprechen kann. Allerdings könne es sich durchaus um eine andere Form von wissenschaftlichen Fehlverhalten handeln, sagte Weber-Wulff auf Anfrage: „Wer wissenschaftliche Diskurse vortäuscht, handelt auch fehlerhaft.“ Für problematischer halte sie allerdings die 48 Plagiatsfälle, die auf der Plattform „VroniPlag Wiki“ dokumentiert seien. Viele würden von den betroffenen Hochschulen verschleppt. „Anders als bei berühmten Politikern handelt es sich hier um Forscher, die oft noch aktiv sind. Das bedroht die Wissenschaft in viel höherem Maße, wenn das nicht geahndet wird.“

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