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Dampfmaschine. Bei den e-Zigaretten wird eine nikotinhaltige Flüssigkeit verdampft - und inhaliert.

© dpa

e-Zigaretten: Quarzen ohne Qualm

Elektronische Zigaretten versprechen gesünderen Genuss. Aber Forscher, Gerichte und Behörden streiten über den richtigen Umgang mit dem Nachfolger des Glimmstängels.

Stellen wir uns einmal vor, Christopher Kolumbus und andere Seefahrer hätten uns nicht schon vor mehr als 500 Jahren mit den Tabakblättern bekannt gemacht und die Zigarette würde heute erst auf den Markt kommen. Die arzneilichen Qualitäten des Hauptinhaltsstoffes des Zigarettentabaks, Nikotin, träfen auf unsere viel zitierte Burn-out-Gesellschaft, die die entspannenden, Stress reduzierenden, stimmungsaufhellenden und antidepressiven Wirkungen dieser neuen, rezeptfreien Arznei begierig aufnähme. Fachleute würden das Rauchprodukt testen und seine süchtig machenden und krebserregenden Wirkungen erkennen, aber ihre Bedenken würden erst einmal ignoriert. Gerichte überböten sich im Unverstand, würden gar eine Warnung von Gesundheitsministerien vor diesem Arzneimittel, laut Gesetz ein harmloses „Genussmittel“, verbieten.

Unrealistisch? Tatsächlich läuft die Diskussion um ein modernes Produkt mit Nikotingehalt, die elektronische Zigarette, so ähnlich ab.

E-Zigaretten sind die modernen Nachfolger des einfachen Glimmstängels. Während normale Zigaretten Tabak verbrennen und so einen Rauch erzeugen, in dem Nikotin zwar Hauptbestandteil ist, in dem aber auch viele Nebenstoffe entstehen, bieten ihre elektronischen Nachfahren Nikotingenuss auf Knopfdruck. Ähnlich wie bei den Nebelmaschinen in Diskotheken wird in Propylenglykol oder anderen organischen Lösungsmitteln gelöstes Nikotin, dann als „Liquid“ bezeichnet, mit einer Heizspirale in Nikotindampf umgewandelt und vom Konsumenten inhaliert. Ist das Nikotin aufgebraucht, wird es aus der Flasche oder mit einer neuen Kartusche nachgefüllt.

Mit der e-Zigarette kann aber auch einer der über 100 verschiedenen im Handel befindlichen Aromastoffe ohne Nikotingehalt inhaliert werden, etwa Tiramisu, Pina Colada, Cuban supreme, Vanilla Bourbon, Espresso oder Apfel. Dazu noch die bei Kindern so beliebten Aromen Vanille und Erdbeere, damit auch die Kleinen mit dem Papa dampfen können.

Ob die e-Zigarette nun ein Glück für die Menschheit darstellt oder versteckte Gefahren in ihr lauern, darüber streiten derzeit Wissenschaftler, Juristen und Gesundheitsbehörden. Teilweise ziemlich heftig. Die e-Zigarette sei nicht nur einfach und praktisch, sondern auch gesund, sagen Befürworter. Passivrauchen sei passé, Brandgefahr ausgeschlossen, und billiger als der Zigarettenkonsum sei das „Dampfen“, wie man den e-Zigarettenkonsum nennt, allemal. Natürlich verdampft der e-Zigarettenkonsument mit dem Nikotin im Raum auch nichts Gesundes. Aber bei der Verbrennung von Tabak in herkömmlichen Zigaretten entstehen bis zu 10 000 Stoffe – 50 bis 100 davon können Krebs erzeugen.

Die Unsicherheit bei dem Thema ist dennoch groß: Vorsichtige Behörden verbieten erst mal Dampfen in öffentlichen Räumen. Das Landgericht Lüneburg schlug zur Einschätzung der e-Zigarette einen Kompromiss vor: Nicht sauber, wie ein e-Zigarettenhersteller behaupten wollte, sei die e-Zigarette, aber immerhin „sauberer“. Amerikanische Forscher haben 16 Studien ausgewertet, die sich mit den Inhaltsstoffen von e-Zigaretten befasst haben. Ihr Fazit: In dem Dampf sind etwa tausendmal weniger krebserregende Stoffe als im Tabakrauch.

Also alles gesund? Kritiker widersprechen: Das Bundesinstitut für Risikobewertung, die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und die Deutsche Herzstiftung warnen vor den Hilfsstoffen, dem Vernebelungsstoff Propylenglykol und den Aroma- und Duftstoffen, die dem Liquid zugesetzt werden. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA findet bedenkliche Produkte, wie die Krebs verursachenden Nitrosamine in den für die e-Zigarette verwendeten Liquiden.

Und Forscher warnen, die Zuführung des Liquids über die Lunge sei problematisch und nicht ausreichend erforscht. In einer Studie haben sie 30 gesunde Nichtraucher untersucht. Schon nach einer einzigen fünfminütigen Dampfsitzung hatte sich die Lungenfunktion verschlechtert. Ob das auch medizinisch bedenklich ist, lässt sich aus dieser kleinen Studie mit nur einmaliger Verabreichung des Nikotins allerdings nicht schlüssig sagen. Von Arzneimitteln ist bekannt, dass sich Nebenwirkungen nach Erstanwendung vermindern können oder ganz verschwinden, wenn das Mittel dauerhaft angewendet wird.

Der Streit konzentriert sich aber auf den wichtigsten Inhaltsstoff, das Nikotin. Es ist ein hochwirksamer Arzneistoff, der vielfältige Wirkungen hat: Nikotin steigert die Herz- und Atemfrequenz, verengt die Gefäße und führt zu einem Anstieg des Blutdrucks, es kühlt die Haut ab und führt so zu Durchblutungsstörungen. Es lässt durch gestörten Sauerstofftransport die Atemtiefe sinken, steigert die Magensaftproduktion und Darmtätigkeit. Es setzt das stoffwechselsteigernde und fettabbauende Stresshormon Adrenalin frei, beschränkt sich aber bei Weitem nicht auf dieses Hormon.

Wenige Arzneistoffe sind so breit an Zellen, am Tier, aber eben auch am Menschen untersucht worden, wie Nikotin. Der Stoff wurde bei Parkinson, Tourette-Syndrom, Depression, Schizophrenie und vielen anderen Erkrankungen geprüft, ebenso wie als Mittel zur Gewichtsabnahme. Eine aktuelle Arbeit im Fachblatt „Neurology“ belegt eine gute Wirkung von Nikotin bei 6-monatiger Behandlung von 74 Patienten mit leichter kognitiver Funktionseinschränkung. Ob Nikotin eines Tages sogar bei der Behandlung der Alzheimer’schen Erkrankung helfen könnte oder ob sonst eine Indikation des Nikotins herausgearbeitet wird, die therapeutisch einen Fortschritt bedeutet, ist schwer vorherzusagen.

Hochleistungssportler jedenfalls schätzen die Wirkungen von Nikotin. Bei Untersuchungen des Urins von Sportlern aus 43 Sportarten konnte der Nikotinabbaustoff Cotinin nachgewiesen werden. Der Sportler schätzt die entspannende Wirkung ebenso wie die Stress reduzierenden Eigenschaften, erhöhte Vigilanz, verbesserte kognitive Fähigkeiten, Verbesserung der Stimmung und Gewichtsreduktion. Die Zigarette kommt aufgrund ihrer negativen Wirkung auf das Bronchialsystem und damit körperlichen Leistungsfähigkeit nicht als Nikotinversorgung infrage. Die e-Zigarette oder Snus („Kautabak“) hingegen sehr wohl.

Die österreichische Arzneimittelbehörde bezeichnet Nikotin in den Liquiden zur Anwendung in der e-Zigarette deshalb als Arzneimittel, wie andere Länder auch. Manche, wie zum Beispiel Kanada, Brasilien oder Australien, untersagen den Vertrieb der e-Zigarette. In Deutschland erfordern Nikotinpräparate, die zum Zwecke des Nikotinentzuges verwendet werden, eine Zulassung gemäß des Arzneimittelgesetzes (AMG). Die Argumente der „Dampfer“, ihnen ginge es beim e-Zigarettenkonsum ja gar nicht um den Nikotinentzug, widerlegen die User selbst. In Foren, die sie als „Dampferhimmel“ bezeichnen, liest man das Gegenteil: Viele verwenden die e-Zigarette als Arzneimittel zum Nikotinentzug.

Belastbare Zahlen gibt es nicht, aber es dürfte gut die Hälfte aller Dampfer sein, die den Arzneimittelcharakter der Liquide und der e-Zigarette (miss)braucht. Umso verwunderlicher, dass das Oberverwaltungsgericht in Münster dem Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen jüngst verboten hat, vor den Liquiden als „Arzneimittel“ zu warnen, weil diese eben nicht als Arzneimittel genutzt würden, da „nicht die Entwöhnung vom Nikotinkonsum oder die Linderung einer Nikotinabhängigkeit im Vordergrund stehe“.

Der Gesetzgeber hat Nikotin keineswegs als harmloses Arzneimittel eingestuft, unterstellte es ab einer Tagesdosis von mehr als 64 mg nach der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) sogar der Verschreibungspflicht. Beim erwachsenen Menschen können laut Lehrbuch schon 40–60 Milligramm Nikotin tödlich sein. Der Handel hingegen stellt Liquide zur Verfügung, in denen sich satte 360 Milligramm in einem kleinen Volumen von 10 Millilitern oder in der höchsten Dosis bis 3800 Milligramm pro Fläschchen à 100 Milliliter befinden. Jederzeit leicht in einem Laden oder dem Internet zu erhalten.

Auch über die Umweltverträglichkeit streiten sich Gegner und Befürworter der e-Zigarette. Konventionelle Zigaretten hinterlassen in ihren Filtern ein scheußlich giftiges Gemisch aus der Tabakverbrennung. Beim kleinen Wunderwerk der e-Zigarette geht es aber auch nicht gerade umweltfreundlich zu, denn schließlich wird dort nach Gebrauch elektronisches Gerät weggeworfen, in dem sich allerlei Metalle und die in Zukunft für rohstoffarme Länder so wichtigen Seltenen Erden befinden. Weitere Bestandteile: Metallgeflechte, Glasfaserdocht und eine Heizspirale. Dazu ein Lithium-Ionen-Akku der dem Verdampfer immerhin eine Leistung von 7 bis 12 Watt gewährleisten muss, damit dem „Dampfer“ einen Tag lang die lästige Aufladung des Akkus, z.B. per mitgeliefertem USB-Ladekabel, erspart bleibt. Längst zeichnet sich ab, dass e-Zigaretten rauchen Lifestyle ist und der Gebrauchsgegenstand e-Zigarette zu einem Konsumartikel wird. Der etwas zahlungskräftigere „Dampfer“ braucht alle paar Monate ein neues, schickeres Produkt, und so fällt – wie bei den zum Lifestyle gewordenen Mobiltelefonen, Smartphones und Tableaus massenhaft Elektroschrott an.

Hinzu kommt eine ganz andere Nebenwirkung der e-Zigarette. Sie eignet sich theoretisch, um verschiedenste Stoffe zu verdampfen. So kann sie genutzt werden, um gefährliche Moleküle dorthin zu bringen, wo sie nichts verloren haben und fürchterliche Wirkungen verursachen können: die Lunge. Kokain wäre da so ein Beispiel, die Kokainliquide mit e-Zigarette als Crack-Ersatz. Völlig überzogenes Gefahrenpotenzial, Beispiele weit hergeholt? Mitnichten. Schon vor zwei Jahren tauchte ein Liquid mit einem Potenzmittel auf. Wenn’s schnell gehen muss mit der sexuellen Befriedigung ist die Verabreichung über die Lunge eine ideale Form. Dumm nur, dass sich in dem Liquid nicht das als Arznei zugelassene Potenzmittel befand, sondern eine chemische Abwandlung, deren Wirkungen keiner jemals studiert hat. Tödliche Folgen nicht ausgeschlossen, gerade wenn man den aus einer Internetanzeige nicht erkennbaren Ursprung der Ware in Betracht zieht. So mancher spielt mit der e-Zigarette dann russisches Roulette mit chinesischen Produkten.

Fritz Sörgel ist Pharmakologe und Leiter des Instituts für Pharmazeutische und Biomedizinische Forschung in Nürnberg.

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