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Über den Wolken. Die Raumstation (hier eine Aufnahme vom Mai 2011) rast mit 28 000 Kilometern pro Stunde um die Erde. Derzeit sind drei Russen, zwei Amerikaner und ein Japaner an Bord, die bis zum Jahresende zurückkehren müssen. Ob bis dahin neue Astronauten zur Station fliegen, ist unsicher.

© picture alliance / dpa

Raumfahrt: Geisterhaus im Orbit

Nach dem Absturz einer "Sojus"-Rakete droht der Internationalen Raumstation eine Zwangspause. Weil die Rückkehrkapseln ein "Verfallsdatum" haben, müssen die Astronauten womöglich zum Jahreswechsel vorübergehend das Licht ausmachen. Der Imageschaden ist bereits jetzt immens.

Es ist ein faszinierender Traum: Sechs Menschen leben und arbeiten in einem Labor, das 350 Kilometer über der Erde schwebt. Forschung in der Schwerelosigkeit, das Entwickeln und Testen von Raumfahrttechnik und nicht zuletzt ein sichtbares Zeichen grenzüberschreitender Kooperation, das sind die Ziele der Internationalen Raumstation ISS. Doch der Traum ist vor allem auch ein teurer. Allein der westliche Teil hat rund 120 Milliarden Dollar gekostet. Ob die Station in den kommenden Monaten entsprechend genutzt wird, ist fraglich. Womöglich wird sie zum Jahresende menschenleer sein und damit nutzlos.

Dieses Schreckensszenario geht zurück auf den Absturz einer unbemannten „Sojus“-Rakete vor knapp zwei Wochen. Aufgrund eines technischen Defekts in der Oberstufe erreichte sie nicht die geplante Umlaufbahn und ging in Südsibirien zu Boden. Sojus ist aber zugleich die Trägerrakete für bemannte Kapseln, in denen Astronauten zur ISS fliegen. Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos hatte daher vorerst alle Sojus-Flüge auf Eis gelegt. Erst wenn zwei unbemannte Starts gelingen – der erste ist nach derzeitigem Stand für Mitte Oktober avisiert – sollen wieder drei Astronauten gen Raumstation fliegen. Alternativen gibt es keine, seit die Amerikaner ihre Shuttles im Juli stillgelegt haben. Blieben theoretisch noch die Chinesen, denen bereits bemannte Flüge gelangen. Doch China und die westlichen Raumfahrtnationen trennen mehr als nur Sprache und technische Standards.

Die derzeitige Crew kann ihren Aufenthalt nur bedingt verlängern. Die zwei „Sojus“-Kapseln, die an der ISS ankern und mit denen die Astronauten zur Erde zurückkehren, haben ein „Verfallsdatum“. Weil die Batterien Leistung verlieren oder der Treibstoff die Gummidichtungen angreifen könnte. Darum muss die erste Kapsel noch im September die Station verlassen, die zweite Anfang Dezember. Kommt keine Ablösung, müssen die verbleibenden drei Astronauten erst mal das Licht ausmachen. Die Station wäre verwaist.

„Bei den Fristen ist ein Sicherheitsaufschlag enthalten, so dass die zweite Kapsel bis Ende Dezember, Anfang Januar an der ISS bleiben könnte“, sagt Andreas Schütz, Sprecher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Ich nehme an, dass diese Möglichkeit auch genutzt wird.“

Das Himmelslabor ohne Mannschaft. Das wäre ein Desaster in mehrfacher Hinsicht. „Es gibt ein größeres Risiko, die ISS zu verlieren, wenn sie unbemannt ist“, warnte der Nasa-Manager Michael Suffredini vergangene Woche und sorgte damit – sicher nicht unbeabsichtigt – für Aufsehen. Abstürzen wird die Station wohl kaum. Sie kann von der Erde aus gesteuert werden und verfügt über verschiedene Systeme, um ihre Position zu ändern. Sollte sie tatsächlich an Höhe verlieren, verglüht ein Teil in der Atmosphäre, und dass der Rest in bewohntem Gebiet einschlägt, ist eher unwahrscheinlich.

Trotz Fernsteuerung aus Houston und Moskau sei eine dauerhafte Besetzung für die Station wichtig, sagt Schütz. „Wenn sie etwa von Mikrometeoriten getroffen wird, braucht man jemanden vor Ort, der den Schaden rasch einschätzen kann und entscheidet, welche Schotts geschlossen werden, um den Druckverlust in den Griff zu bekommen.“ Nicht zuletzt müsse auch das Loch verschlossen werden.

Die zeitweilig unbemannte ISS wäre vor allem auch ein PR-Desaster. Milliardenbeträge wurden dafür aufgewandt, die betagten Spaceshuttles wieder und wieder auf die Startrampe gestellt, die Amerikaner haben die Mondflugpläne vorübergehend gestrichen und ihre bemannte Raumfahrt ebenso auf die Station fokussiert, wie es die Partnerländer längst getan hatten. Und nun ist man nicht in der Lage, die ISS am Leben zu erhalten?

Selbst wenn es nur zu einer kurzen Zwangspause kommt, und die Station diese heil übersteht, geraten die Raumfahrtagenturen in Erklärungsnot. „Es geht offensichtlich auch mit weniger Personal, vorübergehend sogar ohne“, werden Kritiker sagen. Warum sollten dann ständig sechs Leute da oben schweben zu Reisekosten, die in die Millionen gehen?

Hinter den Türen der Verantwortlichen herrscht Krisenstimmung. Die Nasa kämpft gegen das lädierte Image, seit sie vorübergehend aus der bemannten Raumfahrt ausgestiegen ist. Nun werden die verbleibenden Astronauten auch noch von den Russen am Boden festgehalten. Bis Privatfirmen wie „Space X“ den Personentransport in den erdnahen Raum anbieten können, werden nach Expertenschätzung noch mindestens vier Jahre vergehen.

Die Russen müssen Sojus und die ebenfalls pannengeplagte „Proton“-Rakete wieder flottkriegen. An Nachfolgeprojekte ist kaum zu denken, in der Branche herrscht seit Längerem Nachwuchsmangel. Hinzu kommen Effizienzprobleme im Raumfahrtprogramm, wie Roskosmos-Chef Wladimir Popowkin unlängst zugab. Nun will die Behörde sogar prüfen, ob die zivile Raumfahrt wieder näher an die militärische heranrücken könnte. (mit dapd)

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