zum Hauptinhalt
In einem Flüchtlingscamp auf Samos steht ein Mann hinter einem Zaun, an dem Wäschestücke zum Trocknen aufgehängt sind.

© Aris Messinis/AFP

Refugee Law Clinic der Humboldt-Uni: Rechtshilfe für Geflüchtete auf Samos

Studierende beraten Geflüchtete auf Samos – mit Workshops im Camp und mit einem Online-Tool. Helfen konnten sie etwa einer jungen Mutter mit Zwillingen.

Fast zwölf Monate lebte Saby Abraham (Name geändert) in einem Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Samos. In einem kleinen Zelt, ohne Zugang zu medizinischer Versorgung und zeitweise schwanger mit Zwillingen. Abraham ist vergangenes Jahr aus ihrem Heimatland Kamerun geflohen und kam über die Türkei nach Europa.

Wie aktuell etwa 5500 weitere Geflüchtete hat sie auf der Insel einen Asylantrag gestellt und dort auf ihr Verfahren gewartet.

„Die Insel ist abgeschottet von der Zivilgesellschaft, dadurch gibt es dort keinen Zugang zu unabhängiger, kostenloser Verfahrensberatung und es gibt viel zu wenig griechische Anwälte und Anwältinnen“, sagt Franziska Schmidt. Sie ist Gründungsmitglied der Refugee Law Clinic (RLC) Berlin, einem studentischen Verein an der Humboldt-Universität.

Zwillinge geboren - und zurück ins Lager

Seit 2014 bietet die RLC kostenlose Rechtsberatung für Geflüchtete in Berlin an – und seit rund zwei Jahren auch Rechtsinformationen für Geflüchtete auf Samos. Auf der Insel halten die Ehrenamtlichen Workshops, bereiten Geflüchtete auf Anhörungen vor oder begleiten sie im Verfahren auf Familienzusammenführung.

Eine wichtige Aufgabe sei es außerdem, besonders schutzbedürftige Menschen wie Saby Abraham dabei zu unterstützen, von den griechischen Behörden eine sicherere Unterkunft zugeteilt zu bekommen. „Um das zu schaffen, stellen wir beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz“, sagt Schmidt.

[Wie sich die Refugee Law Clinic der Universität Hamburg im Projekt "Sichere Häfen" engagiert, lesen Sie hier: 60 Kommunen gründen Bündnis für Flüchtlinge]

Vereinfacht könne man sich das so vorstellen: Die Refugee Law Clinic weist den Gerichtshof darauf hin, dass durch die menschenunwürdige Behandlung der Geflüchteten in den Camps eine Menschenrechtsverletzung drohe. Wenn der EGMR dem zustimmt, weist er die Behörden an, die geflüchtete Person unverzüglich ihrem Gesundheitszustand entsprechend unterzubringen.

Folgeantrag beim Gerichtshof für Menschenrechte

Auch Saby Abraham konnte so zunächst in ein Apartment auf Samos ziehen. Im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft hat sie ihre Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht – in einer Klinik auf der Insel. Kurz nach der Geburt sei sie allerdings schon wieder ins Camp geschickt worden, ebenso die frühgeborenen Säuglinge nach einem etwas längeren Klinikaufenthalt, sagt Schmidt.

„Wir haben daraufhin einen Folgeantrag beim Gerichtshof eingereicht, in dem wir begründet haben, dass ein überbelegter Container in einem Flüchtlingscamp ohne adäquate sanitäre Anlagen nicht den gesundheitlichen Bedürfnissen einer jungen Mutter mit Zwillingen entspricht – schon gar nicht während einer Pandemie.“ Im Juni konnte Abraham schließlich mit ihren Kindern nach Athen gebracht werden.

Ein Nachtbild der beleuchteten Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität.
Die juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin am Bebelplatz.

© mauritius images

Mit dem Ausbruch von Corona musste das Team die Vor-Ort-Arbeit auf Samos vorerst aussetzen. Daher entwickelte der Verein kurzerhand ein Online-Tool: Unter www.ihaverights.eu (I have rights: ich habe Rechte) erhalten Geflüchtete Informationen zu ihrer rechtlichen Situation und können in einem Formular Angaben zu ihrer Situation machen.

Das Tool prüft dann, ob ein Antrag auf vorläufige Maßnahmen vor dem EGMR aussichtsreich wäre und bietet potenziellen Antragstellenden die Möglichkeit mit dem Team der RLC Berlin in Kontakt zu treten, um einen Antrag zu stellen. Mittlerweile konnte ein Teil des Teams auch wieder nach Samos zurückkehren.

In Berlin geben zurzeit rund 80 Ehrenamtliche an zehn Orten kostenlose Rechtsberatung für Geflüchtete. Seit dem Wintersemester 2014/2015 bietet die Law Clinic dafür einen einjährigen Ausbildungszyklus an. Teilnehmer besuchen eine Vorlesung, ein Seminar, und machen ein Praktikum in einer Kanzlei für Asyl- und Aufenthaltsrecht.

Mutter und Kinder in Athen, Vater auf Samos

Durch die enge Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität fülle die Law Clinic auch eine Lücke im universitären Lehrplan: „Trotz der enormen gesellschaftlichen Bedeutung wird an den Berliner Universitäten Asyl- und Aufenthaltsrecht nicht angemessen behandelt“, kritisiert Greta Wessing. Sie ist seit knapp zwei Jahren Vorstandsmitglied des Vereins und berät selbst in einer Gemeinschaftsunterkunft in Marienfelde.

Die Fortbildung, an der im vergangenen Jahr knapp 300 Menschen teilgenommen hätten, stehe nicht nur Studierenden, sondern allen Interessierten offen. Bei der Refugee Law Clinic hätten sich weitaus mehr Personen um einen Platz als Rechtsberater oder -beraterin beworben, als sie aufnehmen könne, sagt Wessing.

Auch dieses Jahr werde wieder ein Kurs stattfinden. Aber: „Ehrenamtliche können nicht dauerhaft staatliche Missstände auffangen. Unser langfristiges Ziel ist deshalb unsere eigene Abschaffung.“ Die Verwaltungspraxis in Deutschland und an der europäischen Außengrenze sei nach wie vor mangelhaft, so Wessing.

Das zeige auch der Fall von Saby Abraham. Mit der Hilfe der Law Clinic konnte sie zwar nach Athen gelangen, dort lebt sie aber ohne jegliche Hilfe mit den Zwillingen in einer Flüchtlingsunterkunft. Der Vater der Kinder ist weiterhin dazu verpflichtet, auf Samos zu bleiben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false