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Im Regenwald werden Brände gelegt um Land für landwirtschaftliche Nutzung zu gewinnen.

© Andre Penner/AP/dpa

Dürre, Hitze, Brände: Regenwald am Amazonas vor kritischer Schwelle

Regenwald-Gebiete am Amazonas erholen sich immer langsamer von Störungen. Auch in Deutschland sind Waldbestände betroffen, die als trockenresistent galten.

Der Regenwald am Amazonas steht möglicherweise schon nahe an einer kritischen Schwelle, ab der er sich in eine Savanne verwandelt. Auch völlig unberührte Waldgebiete erholen sich von Störungen wie Dürren und Bränden heute langsamer als früher. Das zeigt eine Auswertung von Satellitendaten eines internationales Forschungsteams. Demnach hat die Widerstandskraft gegen Störungen schon in drei Vierteln des Waldes abgenommen.

Diese Entwicklung sehen die Wissenschaftler als Warnsignal. Denn aus anderen Erdsystemen weiß man, dass ihr Gleichgewichtszustand instabiler wird, wenn sie träger auf kurze Störungen reagieren. Das hatten Analysen zum Eisschild Grönlands und zum Golfstrom gezeigt, schreibt das Team um Chris Boulton von der Universität Exeter im Magazin „Nature Climate Change“.

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Für ihre am Montag erschienene Arbeit nutzten die Forscher Daten vom Satellitensystem Copernicus zur Dichte des Waldes und Daten der amerikanischen Wetterbehörde NOAA zur Photosynthese.

Der erste Datensatz erlaubt Rückschlüsse auf die Menge der Biomasse und wie viel Wasser sie enthält. Die Messungen beruhen auf Mikrowellen, die auch durch dichte Vegetation dringen. Der zweite Datensatz bestimmt die Aktivität der Pflanzen anhand der Grüntöne der Vegetation.

Austrocknung des Amazonasgebiets vorhergesagt

Beiden Datensätze enthalten Werte für mehrere Tausend Gitterzellen, die virtuell über die Fläche des Amazonas-Regenwaldes gelegt wurden. Für jede von ihnen bildet das Forscherteam einen monatlichen Mittelwert.

Untersucht wurden ausschließlich solche Gebiete des Regenwaldes, die zu mindestens 80 Prozent mit Laubbäumen bestanden waren und in denen es im gesamten Untersuchungszeitraum von 1991 bis 2016 keine menschliche Aktivität wie Brandrodungen gab.

Eine Auswertung der Daten zeigt, dass es nach den Störungen immer länger dauerte, bis die Werte den ursprünglichen Zustand wieder erreichten. Der Einfluss des vom Menschen verursachten Klimawandels sei dabei bisher nicht eindeutig feststellbar, schreiben die Forscher.

Es gebe aber einen Zusammenhang mit geringeren Niederschlägen im Amazonasgebiet und drei verheerenden Dürren in der Region. Nicht überraschend: Trockenere Gebiete waren vom Verlust der Widerstandsfähigkeit stärker betroffen als feuchtere.

„Das ist alarmierend“, warnt Mitautor Niklas Boers von der TU München und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Denn als Reaktion auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung werde eine allgemeine Austrocknung des Amazonasgebiets erwartet.

Unerkannte Schwächung in der Tiefe

Wichtig ist, dass der Verlust der Widerstandsfähigkeit nicht mit einem Verlust der Waldbedeckung zusammenfällt. Der Wald könnte sich also einem Wendepunkt nähern, ohne dass sich sein mittlerer Zustand ändert, sagte Boulton.

Dieser „mittlere“ Zustand ist der, den man erhält, wenn natürliche Schwankungen weggefiltert werden. „Denn die Vegetationsdichte schwankt immer, zwischen den Jahreszeiten und zwischen verschiedenen Jahren“, erklärte Boers. Man sehe jedoch anhand der Daten, dass die mittlere Vegetationsdichte in den letzten Jahrzehnten abgenommen habe.

„Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass auch die Resilienz, also Widerstandsfähigkeit. der intakten Waldteile abgenommen haben muss“, erläuterte Boers weiter. Um Aussagen darüber treffen zu können, müsse man die Stärke und Dauer der Schwankungen und die Trägheit des Systems betrachten.

Wie stark das System auf externe Wetterschwankungen reagiert und wie schnell es danach wieder in seinen Gleichgewichtszustand kommt.

Das Ergebnis der statistischen Auswertung zeigte: Die unberührten Teile des Regenwalds reagieren sensibler auf Schwankungen, und brauchten länger, um sich davon zu erholen. Diese kritische Verlangsamung kann als eine Schwächung der Rückstellkräfte angesehen werden, die das System normalerweise nach Störungen wieder ins Gleichgewicht bringen.

Von globaler Bedeutung für das Klima ist der Amazonas-Regenwald, weil er riesige Mengen an Kohlenstoff speichert. Selbst bei einem nur teilweisen Absterben würde dieser als Kohlendioxid freigesetzt, was zur weiteren Erderwärmung beitragen würde.

Wann der Übergang vom Regenwald zur Savanne stattfinden würde, können die Forschenden bisher nicht sagen. „Wenn er dann zu beobachten ist, wäre es wahrscheinlich zu spät, ihn aufzuhalten“, warnte Boers.

Auch bisher nicht bedrohte Wälder sind betroffen

Ähnliche Ergebnisse hatte ein internationales Forscherteam vergangene Woche im Magazin „Annual Reviews in Plant Biology“ veröffentlicht. Waldexperten hatten dafür Baum- und Waldsterben nach Hitzeextremen oder Dürre in den vergangenen 20 Jahren weltweit analysiert.

Überraschenderweise waren davon mehr und mehr solche Wälder betroffen, die nach wissenschaftlicher Kenntnis bisher nicht als bedroht galten.

Kiefernsterben in Thüringen in der Nähe von Jena (Hintergrund)
Kiefernsterben in Thüringen in der Nähe von Jena (Hintergrund)

© Henrik Hartmann, Olaf Kolle/MPI-BGC

Untersucht wurden Wälder im Amazonas, in Costa Rica und den USA, aber auch in Spanien, Australien und Deutschland. „All diese Waldökosysteme befanden sich entweder in Regionen, in denen Klimaextreme bisher als eher unwahrscheinlich galten“, sagte Henrik Hartmann vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena.

Oder es waren Ökosysteme und Baumarten betroffen, die man als tolerant gegenüber extremer Trockenheit und Dürre eingeschätzt hatte.

So schnellten die Absterberaten der heimischen Waldkiefer, auch Föhre genannt, im Studiengebiet in Thüringen in die Höhe. Dabei war die Kiefer mit ihren tiefreichenden Wurzeln bislang dafür bekannt, Wassermangel gut zu überstehen. Sie kann aus tieferen Bodenschichten Wasser ziehen und einen Wassermangel der oberen Bodenschichten kurz- und mittelfristig ausgleichen.

Die klimatische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat aber vor allem in Ost- und Norddeutschland zu einem Austrocknen auch in tiefen Bodenschichten geführt. „Damit geht diese Überlebensstrategie der Kiefer nicht mehr auf, sie leidet unter Dürrestress und wird damit auch anfällig gegenüber Insektenbefall, der ihr den Gnadenstoß versetzen kann“, erläuterte Hartmann.

So resümierte Mitautor Craig Allen, Gründervater der globalen Erfassung des Waldsterbens, dass plötzliches und unerwartetes Absterben von Bäumen wahrscheinlich weiterhin auftreten werde, „demnächst ganz in Ihrer Nähe“.

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