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Die deutsche Politik hält sich die Forderungen aus Athen derzeit mit legalistischen Argumenten vom Leibe.

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Reparationen für Griechenland: Deutschland sollte sich nicht drücken

Folgekosten der Geschichte: Griechenland fordert Reparationen von Deutschland und den Erlass seiner Kredite. Zu Recht, meint die Berliner Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel. Ein Gastbeitrag.

Jüngst haben Politiker der SPD und der Grünen dafür plädiert, griechische Forderungen nach Reparationen und Entschädigungen für die Besatzung durch Hitler-Deutschland nicht mehr strikt abzulehnen. Dabei war immer wieder zu hören, dies habe aber nichts mit dem griechischen Begehren nach einem Schuldenschnitt zu tun. Tatsächlich ist es aber unmöglich, die beiden Themen auseinanderzuhalten. Denn Deutschland hat sich in den 50er Jahren selber für die Wiedergutmachung als Königsweg der Vergangenheitsbewältigung entschieden. Damit wurde ein Prozess der Verrechnung von Schuld als Schulden in Gang gesetzt, dessen Dynamik nun nicht so leicht zu stoppen ist. Schon gar nicht mit einer strikt rechtlichen Haltung wie mit dem Hinweis der deutschen Regierung auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 und der Deutung, dass damit alle Reparationsfragen endgültig abgeschlossen seien.

Es geht um mehr als um Zahlungen

Dabei ist die prekäre symbolische und psychologische Ökonomie der Schuld-Schulden-Beziehung bisher weitgehend übersehen worden. Die Geschichte der Wiedergutmachung lehrt aber, dass es bei Entschädigungen stets um mehr geht als um Zahlungen. Die Entschädigung von Kriegsverbrechen durch Geld funktioniert über eine Verwandlung von historischer Schuld in monetäre Schulden, die niemals ganz aufgeht. Es bleibt etwas stehen auf dem Schuldkonto, etwas, das nicht zu verrechnen ist: der nicht-ökonomische Anteil einer unabgeltbaren Verschuldung. Von diesem „Rest“ wird die Politik immer wieder eingeholt. Gerade eine Vergangenheitspolitik, die komplexe Verfahren zur Verwaltung, Verrechnung und Verrechtlichung der Folgekosten ihrer Geschichte entwickelt hat, ist für diesen Teil am wenigsten gerüstet.

Die weit bedeutsamere Nachgeschichte ereignet sich jenseits rechtlicher Kontroversen. Dort zeigt sich, wie die Verwandlung von Schuld in Schulden zu einer Kontaminierung des nationalen Gedächtnisses durch die monetäre Logik führt. Indem sich die Nachkommen mit den Folgekosten und Zinsen unabgegoltener Schuld konfrontiert sehen, stiftet die Entschädigungspolitik auch ein Schuldenverhältnis zwischen den Generationen. So wird die Schuld in die Kredit-Logik hineingezogen: Mit der Weitergabe offener Entschädigungs-Schulden produziert auch die Schuld Zinsen.

Besatzungsanleihe in Höhe von 476 Millionen Reichsmark

Erschwerend kommt hinzu, dass im Schatten des Wiedergutmachungsprojekts vielfach „vergessen“ wurde, echte Schulden zu begleichen beziehungsweise entwendetes Eigentum zurückzugeben. Das zeigt nicht zuletzt das derzeit mit unbegreiflicher Verspätung verhandelte Problem der Raubkunst. Zu solchen vergessenen Schulden gehört auch die Besatzungsanleihe von 476 Millionen Reichsmark, die Griechenland 1942 an das „Dritte Reich“ zahlte.

Wenn nun in der gegenwärtigen Euro-Krise das deutsche Schuld(en)- Konto wieder eröffnet wird, geht es dabei nicht zuletzt auch um eine Wiederkehr dessen, was aus den Schuld-Schulden-Konversionen ausgeschlossen blieb. Verjährte oder erlassene Schulden zeichnen eine Dauerspur im Gedächtnis derjenigen, deren legitime Forderungen leer ausgingen.

Reparationszahlungen wurden gestreckt, um Deutschland zahlungsfähig zu erhalten

1827 veröffentlichte Balzac seine Satire „Die Kunst, seine Schulden zu zahlen und seine Gläubiger zu befriedigen, ohne auch nur einen Sou selbst aus der Tasche zu nehmen“ (1827). Der ernste Kern handelt von der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen Schuldnern und Gläubigern, die ein sorgendes Interesse aneinander begründe. Eine derartige wechselseitige Sorge scheint nur für das Schuldenverhältnis zwischen Personen zu gelten. Die Sorge um das Wohlergehen des Schuldners als Bedingung dafür, dass er eines Tages seinen Kredit wird zurückzahlen können, funktioniert auf zwischenstaatlicher Ebene nur sehr begrenzt, – zumindest im Zeitalter globaler Finanzmärkte.

Vor einem knappen Jahrhundert sah das noch anders aus. Das lehrt das Verhalten der USA gegenüber Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Einige Jahre nach Ende des Krieges war sichtbar, dass die Verpflichtungen der Reparationszahlungen aus dem Versailler Vertrag von 1919 das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland so stark behinderten, dass das Land seinen Verbindlichkeiten niemals würde nachkommen können. Daraufhin ergriffen die USA die Initiative zu einer modifizierten Regelung. Der in der Londoner Konferenz 1924 beschlossene Dawes-Plan sah nicht nur eine Streckung der Reparationszahlungen vor. Der ausstehende Teil wurde später, auf der Konferenz in Lausanne 1932, erlassen. Darüber hinaus enthielt der Dawes-Plan eine Finanzspritze in Form einer internationalen Anleihe von 800 Millionen Reichsmark, mit einer Laufzeit von 25 Jahren, also bis 1949.

Nach Kriegsende bestanden noch erhebliche alte Schulden

Da Hitler die Zinszahlungen für diesen Kredit eingestellt hatte, standen nach Kriegsende noch erhebliche alte Schulden auf dem deutschen Schuldenkonto. Gleichzeitig fielen erneut Reparationszahlungen an die Alliierten und die von Hitler besetzten Länder an. Im Londoner Schuldenabkommen 1953 wurden die alten „Vorkriegsschulden“ gestreckt und die Zinsen gesenkt. Die Reparationen hingegen, die über die zwischen 1945 und 1953 bereits erfolgten Leistungen hinausgingen, wurden aufgeschoben – bis zu einer „endgültigen Regelung“ im Zusammenhang eines Friedensvertrags mit dem wiedervereinigten Deutschland.

Die Bundesrepublik hat bis 2010 alle Verpflichtungen beglichen, die sie als Schulden aus Vorkriegs-Krediten der USA und anderer Länder anerkannte. Die Frage der aufgeschobenen Reparationen dagegen wurde auf rechtlichem Wege abgewickelt. Denn Reparationszahlungen sind nicht vorgesehen im Zwei-plus-Vier-Vertrag, der 1990 anstelle eines Friedensvertrages geschlossen wurde. Der damit de facto erfolgte Schuldenschnitt wird in Deutschland gern als Besiegelung eines Schlussstrichs unter die monetäre Vergangenheitsbewältigung verstanden. In der Logik der Konversion von Schuld und Schulden hat man ihn zugleich auch als Schuldschnitt gewertet.

Eingrenzung auf "Härteleistungen"

Auf diesem Wege hat sich das Schlussstrich-Begehren mit der Wiedervereinigung auf einem verschobenen Schauplatz, dem der Reparationszahlungen, erneut Geltung verschafft. Die Politik der moralischen Entschuldung für die Nazi-Verbrechen aber wird auf dem eingeübten Weg der Wiedergutmachung fortgesetzt. So formuliert der Artikel 2 des Einigungsvertrages, dass auch das wiedervereinigte Deutschland „für eine gerechte Entschädigung materieller Verluste der Opfer des NS-Regimes“ eintrete: „In der Kontinuität der Politik der Bundesrepublik Deutschland“ sei „die Bundesregierung bereit, mit der Claims Conference Vereinbarungen über die zusätzliche Fondslösung zu treffen, um Härteleistungen an die Verfolgten vorzusehen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland bisher keine oder nur geringfügige Entschädigungen erhalten haben“. Mit dieser Eingrenzung auf „Härteleistungen“ wird die Formel der „gerechten Entschädigung“ erheblich relativiert.

In der aktuellen Euro-Krise tritt die Bundesrepublik im internationalen Rahmen als Gläubiger auf. Dabei wird sie nun von den genannten nicht-ökonomischen Aspekten ihrer Verschuldung eingeholt. Und auch die nicht zurückgezahlten Schulden werden wieder virulent. Im Falle Griechenlands betrifft das – neben ausgebliebenen Reparationen – den Kredit aus der deutschen Besatzung. Die Schätzungen über den heutigen Wert inklusive der Zinsen schwanken im Bereich ein bis zweistelliger Milliardenhöhe stark. Hinzu kommt der Streitpunkt ausstehender Entschädigungszahlungen. Zumindest für das Massaker von Distomo im Juni 1944 (eine Vergeltungsaktion der SS, bei der sämtliche 218 Einwohner ermordet wurden) wäre das Kriterium der „Härteleistung“ mehr als angemessen. Von einem griechischen Gericht wurde dafür eine Entschädigung von 37,5 Millionen Euro festgelegt.

Verweis auf Entschädigungsvertrag mit Griechenland von 1960

Die offizielle deutsche Politik hält sich die sowohl finanziell als auch moralisch motivierten Forderungen derzeit mit legalistischen Argumenten vom Leibe – auch mit Verweis auf ihren Entschädigungsvertrag mit Griechenland von 1960. Doch beweist sie damit nur, dass sie die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Schuld und Schulden nicht bedacht oder nicht verstanden hat – oder nicht verstehen will. Zudem wird die Verweigerung eines Schuldenschnitts durch einen Staat, der selbst mehrfach von Schuldenerlass und -aufschub profitiert hat, dem Pathos wechselseitiger Gerechtigkeit nicht entkommen.

Man stelle sich nur vor, Deutschland wäre zu Beginn der griechischen Finanzkrise dem Land mit der Rückzahlung des Besatzungskredits und mit Entschädigungszahlungen entgegengekommen. Vielleicht wären dann nicht nur Angebote zum Aufbau einer effektiveren Steuerpolitik und andere Ratschläge anders aufgenommen worden. Womöglich wäre es im Endeffekt sogar billiger geworden. Und die EU hätte sich die derzeitigen Verwerfungen und unwürdigen nationalistischen Ränke ersparen können.

Die Autorin ist Direktorin des Berliner Zentrums für Literatur- und Kulturforschung. Zum Thema erscheint demnächst ein Buch von Sigrid Weigel: Geld und Genealogie. Schuld und Schulden in Gegenwart und Kulturgeschichte. Fink Verlag, München.

Sigrid Weigel

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