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Schild-Patt. So funktioniert Selektion zum Riesenwuchs: Nur große Schildkröten konnten die Angriffe von Riesen-Krokodilen überleben.

© Foto/Montage: Edwin Cadena, Jaime Chirinos

Riesig und dann auch noch mit Hörnern: Die größte Schildkröte aller Zeiten

In Kolumbien haben Forscher die Überreste einer 2,40 Meter großen Riesenschildkröte ausgegraben. Die Art lebte noch bis vor fünf Millionen Jahren.

Eine größere Schildkröte gab es wohl nie auf der Erde: 1145 Kilogramm schwer und mit einem Panzer von 2,40 Meter Länge schwamm Stupendemys geographicus bis vor fünf Millionen Jahren durch die Flüsse und Seen Südamerikas. Das schätzen Edwin Cadena von der Universidad del Rosario in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, und seine Kollegen in der Fachzeitschrift „Science Advances“.

Damit waren diese Süßwasserschildkröten fast doppelt so schwer wie die größten heute noch lebenden Verwandten: Lederschildkröten, die in den wärmeren Meeren bis hinauf an die Küsten Schottlands leben und ein Gewicht von 650 Kilogramm und einen Panzer von 2,13 Meter entwickeln. Nur drei größere Reptilienarten gibt es heute noch, allesamt Krokodile wie das sechs Meter lange und eine Tonne schwere Leistenkrokodil.

Riesige Schildkröte wegen riesiger Krokodile

Derartige Riesenkrokodile waren wohl auch der Grund für den Größenwuchs der Schildkröte Stupendemys geographicus. Weil damals bis zu zehn Meter lange Krokodile in den gleichen Gewässern lebten, konnten nur große Schildkröten deren Attacken überleben, vermuten die Forscher. Der Fund eines Krokodilzahns und von Bissspuren im Panzer verschiedener Riesen-Süßwasserschildkröten legen diesen Schluss nahe.

Völlig überraschend kommt der Riesenwuchs der Süßwasserschildkröten nicht: „Bereits 1976 war Stupendemys geographicus zum ersten Mal anhand von Funden in Venezuela beschrieben worden“, sagt der Schildkröten-Spezialist Uwe Fritz vom Museum für Tierkunde der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden.

Das Forschungsteam um Edwin Cadena (rechts) hat nicht nur in Kolumbien, sondern auch im Norden Venezuelas Fossilien einer riesigen Schildkröte ausgegraben.
Das Forschungsteam um Edwin Cadena (rechts) hat nicht nur in Kolumbien, sondern auch im Norden Venezuelas Fossilien einer riesigen Schildkröte ausgegraben.

© Edwin Cadena

Seither wurden in Südamerika allerdings nur Teile des Panzers dieser Art gefunden, mit denen die Forscher die Tiere zwar als riesig einordnen, aber ihre genauen Dimensionen nur schwer schätzen konnten.

In den vergangenen Jahren fand Cadenas Team in der Nähe von Urumaco im Nordwesten Venezuelas und in der Tatacoa-Wüste im Süden Kolumbiens einige weitere, zum Teil vollständige Panzer sowie einen Unterkiefer dieser Art und analysierte sie „sehr sorgfältig“, sagt Uwe Fritz, der an den Untersuchungen nicht beteiligt war.

Hörner am Panzer – zur Verteidigung oder zum Prahlen

Außer der Rekordgröße fiel dem Forschungsteam noch eine weitere Besonderheit der ausgestorbenen Schildkrötenart auf: Aus dem Panzer von Stupendemys geographicus wachsen rechts und links neben der Öffnung, aus der die Schildkröte ihren Kopf reckt, zwei ungefähr 30 Zentimeter lange Hörner nach vorne. Diese Fortsätze hatten eine ähnliche Form wie die von Kühen und könnten der Verteidigung gegen Angreifer und dem Schutz des besonders verletzlichen Halses gedient haben.

Statt den Kopf bei Gefahr in den Panzer zurückzuziehen, legte ihn diese Schildkrötenart seitlich unter den Rand des Panzers. Das ist auch heute noch bei Arten der Gattung der „Halswender-Schildkröten“ so, von denen noch heute einige in den Binnengewässern von Südamerika, Australien, Neuguinea, Madagaskar und Afrika leben. Der Schädel ist durch dieses Verhalten geschützt, der Hals jedoch nicht, sodass Hörner ein wirkungsvoller Schutz gewesen wären.

[Mehr zum Thema Riesenschildkröten hier und im Video: Riesenschildkröten wiederentdeckt]

Wenn diese Hypothese stimmt, dann hätten wohl alle Tiere solche Hörner haben müssen, während Cadenas Team sie bisher nur bei drei besonders großen Exemplaren gefunden hat. Die alternative Hypothese der südamerikanischen Forscher ist daher, dass es sich jeweils um Männchen gehandelt haben könnte, die mit solchen Panzerhörnern gegen ihre Rivalen gekämpft haben könnten. „Vielleicht haben die Tiere damit auch nur ihren Rivalen imponiert und das Männchen mit den größten Hörnern zog als Sieger aus diesem Wettbewerb“, sagt Fritz.

Wo heute nur noch Wüste ist, war vor fünf Millionen Jahren noch ein Netz von Flüssen und Seen, in denen neben Riesenschildkröten auch Riesenkrokodile lebten.
Wo heute nur noch Wüste ist, war vor fünf Millionen Jahren noch ein Netz von Flüssen und Seen, in denen neben Riesenschildkröten auch Riesenkrokodile lebten.

© Edwin Cadena

Der Lebensraum der Riesenschildkröte in Südamerika bestand aus einem riesigen Gewässersystem aus Sümpfen, Seen und langsam fließenden Flüssen. Vermutlich weideten die Schildkröten den Grund dieser Gewässer ab und ernährten sich von hartschaligen Tieren, die sie mit ihren mächtigen Kiefern aufbrechen konnten, schreiben Cadena und seine Kollegen.

Diese Nahrung ergänzten die Schildkröten ähnlich wie ihre heutigen Verwandten wahrscheinlich mit den energiereichen Früchten von Palmen und anderen Gewächsen. Da die Riesenschildkröten auch sehr große Früchte schlucken und deren Samen in einiger Entfernung wieder ausscheiden konnten, hatte Stupendemys geographicus wohl eine wichtige Verteiler-Rolle im Ökosystem.

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