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Energie aus der Tiefe. Um das Gas aus Tonschiefern an die Oberfläche zu holen, ist ein gehöriger Aufwand vonnöten (Grafik links). Doch angesichts steigender Preise werden weltweit solche Vorkommen erkundet, etwa in Polen (Bild rechts). Foto: Reuters

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Wissen: Schmutziger Schatz

Erdgas aus neuen Lagerstätten kann zur Energieversorgung beitragen. Die Förderung birgt allerdings Gefahren

„Atomkraft – nein danke“, sagt nach aktuellen Umfragen die Mehrheit der Deutschen. Die klimaschädliche Kohleverbrennung ist ebenfalls umstritten, das Einfangen und Endlagern von Kohlendioxid an solchen Kraftwerken (CCS-Technik) erst recht. Umso schwieriger wird es, die Lücke zwischen dem Angebot erneuerbarer Energiequellen und dem realen Verbrauch zu schließen. Immer häufiger wird dafür Erdgas ins Spiel gebracht, und zwar eine bisher wenig bekannte Form. „Gas aus unkonventionellen Lagerstätten“, sagen Experten dazu. Es steckt auch im deutschen Untergrund und könnte deshalb die Abhängigkeit von Importen verringern. Doch die Förderung ist teuer und es gibt teils heftige Kritik dagegen: verunreinigtes Grundwasser, Angst vor Radioaktivität und eine schlechte Klimabilanz, wie eine aktuelle Studie zeigt (siehe Infokasten).

Dennoch haben Firmen wie Exxon Mobil längst mit der Erkundung begonnen, in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. „Auch in Süddeutschland könnte es unkonventionelle Gaslagerstätten geben“, sagt Harald Andruleit von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Die Behörde arbeitet an einer Übersicht solcher Vorkommen in Deutschland. Unter Russland, China und Australien werden noch größere Ressourcen vermutet.

In den USA ist man schon weiter. Das Land hat sich durch neu erschlossene Vorkommen unabhängig von Importen gemacht. Rund zehn Prozent des Gasverbrauchs werden dort inzwischen durch „Shale Gas“ gedeckt. Wörtlich handelt es sich um Gas in Tonschiefern, wenn man so will, um „stecken gebliebenes Gas“. Es befindet sich in den Sedimentschichten, in denen vor Jahrmillionen Plankton abgelagert wurde, aus dem dann Erdöl und -gas entstanden. „Muttergestein“, sagt man dazu. Bei konventionellen Lagerstätten ist das Gas bereits in ein poröses „Speichergestein“ gewandert, aus dem es relativ leicht zu gewinnen ist. Shale Gas hat diesen Schritt noch nicht gemacht. Es sitzt in winzigen Poren zwischen den Tonpartikeln, die untereinander kaum verbunden sind. Freiwillig gibt der Schiefer das Gas nicht her, die Techniker müssen deshalb einige Tricks anwenden, um es zu gewinnen.

Zunächst wird der Bohrmeißel abgelenkt, so dass er sich horizontal durch die interessante Schicht frisst, teilweise mehr als einen Kilometer weit. So wird die Kontaktfläche zwischen Gestein und Förderbohrung vergrößert, was den Ertrag steigern soll. Anschließend wird Wasser mit hohem Druck in das Loch gepresst, um kleine Spalten zu erzeugen, durch die das Gas strömen kann. „Hydraulic-Fracturing“, sagen die Bohrmeister dazu. Die Spülung wird zudem mit Sand versetzt, der die Spalten offen hält. Außerdem werden Chemikalien zugegeben, die unter anderem verhindern sollen, dass sich dort unten eingeschleppte Bakterien ausbreiten. Während das Wasser – pro Bohrung sind es einige Millionen Liter – wieder entnommen wird, strömt auch Gas nach oben.

Damit sind zugleich die wesentlichen Kritikpunkte an der Technik umrissen. Seit im Internet Videos aufgetaucht sind, die Flammen aus gewöhnlichen Wasserhähnen zeigen, ist vielen klar, dass das Gas mitunter ins Grundwasser gelangt. Eine, auch hierzulande publizierte, Erklärung besagt: Wer mit Hochdruck an die Lagerstätte rangeht, drückt das Gas bis ins Trinkwasserstockwerk. „Das ist bisher in keinem einzigen Fall nachgewiesen worden“, betonen Experten wie Anthony Gorody von einer Geo-Beratungsfirma in Houston. Zwischen der Lagerstätte und dem Grundwasser liegen mehrere hundert Meter Gestein: Diese Distanz könne nicht durch künstlich herbeigeführte Brüche überwunden werden, sagte er unlängst auf einer Fachkonferenz in Washington.

Den Weg ins Grundwasser finde das Gas eher durch mangelhafte Zementhüllen, die das Bohrloch im oberen Teil gegen die Umgebung abdichten sollen, erläuterte Gorody. Entweder sei der Zement schlecht verarbeitet oder durch wiederholte Bohrungen aufgerieben.

Auch wenn das Einzelfälle sind, angesichts von 2400 Shale-Gas-Bohrungen, die binnen vier Jahren allein in den Untergrund des US-Bundesstaates Pennsylvania getrieben wurden, steigt das Gesamtrisiko für Umweltschäden.

Dabei spielen auch die eingesetzten Chemikalien eine Rolle: Biozide etwa oder organische Verbindungen, die Schwefelwasserstoff binden sollen. Sie machen meist weniger als zwei Prozent der in die Tiefe gepressten Flüssigkeit aus, doch angesichts der großen Wassermenge kommt einiges zusammen. Abermals hat der Zement im oberen Teil eine wichtige Schutzfunktion, die er nicht immer erfüllt. Es gab außerdem Fälle, in denen Pumpwasser aus oberirdischen Lagerbehältern leckte und in die Landschaft floss. Neben den eigens zugesetzten Chemikalien finden sich darin auch radioaktive Elemente, die in den Tonsteinen gehäuft vorkommen und teilweise vom Wasser aufgenommen werden.

Deshalb muss die Flüssigkeit, die wieder zutage tritt, gereinigt werden. Die Ölfirmen behaupten, sie können das. Das amerikanische „Time“-Magazin, das die energiegeladenen Schiefer kürzlich sogar auf den Titel hob, schreibt aber, dass einige Abwasserwerke in den USA nicht in der Lage wären, alle Verunreinigungen aus der Bohrflüssigkeit abzuscheiden.

Der Gasrausch wurde dort vielerorts von Resignation abgelöst. Farmer, die für wenig Geld Zugang zu ihrem Land gewährten, werden nun von zahlreichen Bohrtrupps förmlich überfahren. „Vor allem wissen die Leute viel zu wenig darüber, was die Firmen eigentlich tun, so entstehen diffuse Ängste“, sagt die Soziologin Abby Kinchy von der Rensselaer Universität in Troy (New York), die die Auswirkungen des Booms auf die Bevölkerung untersucht. „Man sollte sie von Anfang an besser in die Entscheidungen einbinden“, empfiehlt sie für Aktivitäten im Ausland.

Das dürfte gerade in Deutschland nötig sein. Einzelne Initiativen verfolgen jede Wendung in Sachen Shale Gas. Groß war der Jubel, als der Bundesstaat New York das Hydraulic-Fracturing vorübergehend untersagt hat. Groß war der Aufschrei, als ein Bericht publik wurde, wonach zwischen 2005 und 2009 in den USA drei Milliarden Liter Chemikalien in die Bohrlöcher gedrückt wurden.

Aus Sicht des BGR-Experten Andruleit wird die Shale-Gas-Produktion in Deutschland nicht die Größe erreichen wie in den USA. „Nach derzeitiger Einschätzung könnte sie in etwa den Rückgang bei der Förderung aus konventionellen Vorkommen ausgleichen“, sagt er. Die nahm 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent ab, auf 13,6 Milliarden Kubikmeter.

Die Diskussion über die möglichen Auswirkungen der neuen Technik kennt er. „Die Verfahren sind mittlerweile ausgereift“, sagt Andruleit. „Das Hydraulic-Fracturing beispielsweise wird auch in Norddeutschland seit fast 40 Jahren zur Stimulierung von Gaslagerstätten eingesetzt.“ Die Technik habe man im Griff. Ebenso wie eine solide Abdichtung der Bohrlochwand, um das Grundwasser zu schützen. „Solche Dinge sind auch im deutschen Bergrecht klar vorgeschrieben“, fügt er hinzu. Nicht zuletzt sei es auch im Interesse der Betreiber, jeglichen Schaden zu vermeiden. Schließlich hat die Kohlenwasserstoffbranche keinen leichten Stand in der Öffentlichkeit. Andruleit: „Aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es – wie bei jedem technischen Verfahren – natürlich nicht.“

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