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Potenzielle Gefahr. Bisher infiziert das Vogelgrippevirus vor allem für Federvieh. Doch wenige Mutationen könnten ausreichen, damit sich das Virus per Tröpfcheninfektion auch von Mensch zu Mensch verbreiten kann.

© dpa

Streit um Grippeforschung: Haltet das Virus

Die beiden kontroversen Studien mit mutierten Vogelgrippeviren zeigen: Nicht die Forscher sind die Gefahr, sondern die Natur.

Sie wussten, dass ihre Forschung Schlagzeilen machen würde. Im Juni 2011 hat das Team um Ron Fouchier von der Erasmus-Universität in Rotterdam nachgewiesen, dass sich das Vogelgrippevirus so verändern kann, dass es für Säugetiere über Niesen und Husten ansteckend ist. Die Natur hält somit für den Menschen ein Pulverfass bereit; eine Pandemie mit diesem gefährlichen Grippevirus ist möglich.

Alarmiert stellten die Forscher ihre Ergebnisse auf einer Grippekonferenz in Malta vor – und ahnten nicht, welche Reaktionen erste Presseberichte hervorrufen würden. Ehe sie sich versahen, saßen die Virusjäger um Ron Fouchier und ein zweites Team um Yoshihiro Kawaoka von der Universität Wisconsin-Madison auf der Anklagebank. Es folgte ein achtmonatiger Streit, ob man „Killerviren“ im Labor erzeugen darf und ob die Veröffentlichung der Ergebnisse Bioterroristen helfen könnte, die Menschheit anzugreifen.

Nun wurden die beiden kontroversen Studien mit allen Details in den Fachjournalen „Science“ und „Nature“ publiziert (der Tagesspiegel berichtete). Doch das freiwillige Moratorium zur Forschung an den mutierten Viren ist noch in Kraft. Ungelöst ist die Frage, ob ein internationales Gremium die Risiken von Experimenten abwägen sollte, deren Ergebnisse den Menschen schaden und nutzen können.

WARUM DAS VIRUS VERÄNDERT WURDE

Alles begann 1997, als ein Kind in Hongkong an der Grippe starb. Sein Blut wurde nach Europa verschifft, Monate später schauten sich Experten die Proben an. Sie entdeckten einen Vogelgrippestamm, den sie beim Menschen noch nie gesehen hatten und gegen den wir nicht immun sind: H5N1. Bald kam heraus, dass H5N1 auf Asiens Vogelmärkten kursierte. Unmengen Tiere wurde geschlachtet, der Ausbruch schien eingedämmt.

Es kam anders. Die Vogelgrippe grassiert mittlerweile unter dem Federvieh in Asien, Afrika und Europa. Ab und an infiziert sich ein Mensch, etwa 600 solcher Fälle sind bekannt. 60 Prozent der gemeldeten Patienten überlebten nicht. Auch wenn diese Zahl zu hoch gegriffen ist, kann es das Vogelgrippevirus im Falle einer Pandemie mit der Spanischen Grippe von 1918 aufnehmen. Sie hatte eine Sterblichkeitsrate von zwei Prozent. Damals starben 50 Millionen Menschen.

Die Experimente von Ron Fouchier haben einen achtmonatigen Streit ausgelöst.
Die Experimente von Ron Fouchier haben einen achtmonatigen Streit ausgelöst.

© Levien Willemse

Bisher ist H5N1 nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Einige Grippeforscher bezweifelten, dass eine Horror-Pandemie mit dem Virus überhaupt möglich ist. Darf man aufgrund theoretischer Annahmen kleinen Bauern ihre Lebensgrundlage nehmen, indem man ihr scheinbar gesundes Vieh keult? „Um solche politischen Entscheidungen zu treffen, braucht man Daten“, sagt Christian Drosten, Virologe an der Universität Bonn. „Die Weltgesundheitsorganisation muss wissen, wie bedrohlich das Virus für uns ist.“ Und so machten sich zwei Teams um weltweit führende Grippeforscher – Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka – in ihren Hochsicherheitslaboren ans Werk. Unterstützt mit staatlicher Forschungsförderung der USA versuchten sie, das Virus zu manipulieren.

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DAS EXPERIMENT

Die Forscher spielten zwei unterschiedliche Szenarien durch: Das Team um Yoshihiro Kawaoka baute ein mutiertes Oberflächenprotein (Hämagglutinin) von der Vogelgrippe in ein Schweinegrippevirus von 2009 ein. Das kann auch in der Natur passieren, wenn sich Vogelgrippe und Schweinegrippe in einem Wirt treffen. Sie infizierten Frettchen mit dem Kombivirus. Frettchen reagieren ähnlich empfindlich wie der Mensch auf die Grippe, sie sind das beste verfügbare Tiermodell. Am Ende dieses Experiments reichten vier Mutationen, um das Virus über die Luft übertragbar zu machen. Die Infektion war für die Tiere aber nicht gefährlicher als die Schweinegrippe von 2009, berichtete das Forscherteam im Fachjournal „Nature“.

Umstrittener waren die Experimente von Ron Fouchier und seinen Kollegen. Sie nahmen ein komplettes H5N1-Virus aus der Natur und fügten dort drei Mutationen ein, die man bei Pandemien beobachtet hatte. So konnte es sich in den Atemwegen der Frettchen festsetzen. Danach verwendeten sie eine Methode, die der Evolution ihren Lauf lässt: Sie infizierten ein Frettchen und warteten, bis es krank wurde und das Virus im Wirt ganz natürlich mutieren kann. Die Viren aus dem kranken Frettchen setzten sie dann in die Nase eines gesunden – wo das Spiel aufs Neue begann. Nur zehn Mal mussten sie das wiederholen. Danach verbreitete sich das Virus in drei von vier Fällen über die Luft von Käfig zu Käfig. Keines der Tiere starb. Als die Forscher die über die Luft übertragbaren Viren analysierten, fanden sie jeweils neun Mutationen. Fünf der Mutationen waren bei allen gleich, schreiben sie im Fachblatt „Science“.

In beiden Versuchen konnten antivirale Mittel die Infektion in Schach halten. Auch die Vogelgrippe-Impfung wirkt.

DIE KONTROVERSE

Ob alle Details veröffentlicht werden können, war lange unklar. Auf Malta sprach Fouchier von einem „dummen Experiment“, bei dem er „die Vogelgrippe wie verrückt mutiert“ habe und ein „sehr, sehr gefährliches Virus“ entstanden sei. Dies sorgte für Missverständnisse. Fouchier spielte darauf an, dass der zweite Teil des Experiments einfach war und die in der Natur vorkommende Vogelgrippe durchaus eine Pandemie auslösen kann. In der Presse wurden seine Äußerungen so ausgelegt, dass er aus Neugierde ein „Killervirus“ erschaffen habe, das Bioterroristen missbrauchen könnten.

Ein US-Gremium für Biosicherheit (NSABB) votierte Ende 2011 dagegen, die Studien komplett zu veröffentlichten. „Möglicherweise haben sich die Nichtwissenschaftler in dem Gremium von den Medien beeinflussen lassen“, sagt Drosten. „Dabei würde ein Terrorist eher ein schon bestehendes Virus nutzen, gegen das es keinen Impfstoff gibt.“

Viele Wissenschaftler haben sich erst nach dieser Entscheidung in die Diskussion eingemischt – aus Angst vor einem Präzedenzfall. Binnen der nächsten zwei Monate war klar, dass es kein Verfahren gibt, bei dem nur bestimmte Teams an detaillierte Informationen kommen. „Wer soll die aussuchen?“, fragt Reinhard Burger, Präsident des Robert Koch-Instituts. „Außerdem arbeiten in den großen, international erfolgreichen Teams neben den renommierten Forschern vor allem Nachwuchswissenschaftler. Die wechseln natürlich irgendwann die Labore.“

Vincent Racaniello, Virologe an der Columbia University in New York, hält Einschränkungen für schädlich: „Man weiß nie, wer das entscheidende Experiment macht. Möglicherweise schaut jemand von außen auf die Daten und hat eine brillante Idee.“ Die Vorstellung, Hobby-Biologen könnten die Viren in der Garage nachbauen, findet er lächerlich: „Ich arbeite seit 30 Jahren in der Virologie, mit sehr guten Leuten und sehr guter Ausstattung. Trotzdem funktionieren unsere Experimente oft nicht so, wie wir es uns wünschen.“ Anfang April trat der NSABB erneut zusammen. Sein Ergebnis lautete nun: Veröffentlichen!

DIE NATUR ALS TERRORIST

Zwei der Mutationen, die Fouchier und Kawaoka bei ihren Experimenten fanden, kommen bereits sehr oft in der Natur vor – teilweise auch in Kombination. Das schreiben Derek Smith von der Universität Cambridge und seine Kollegen in „Science“. Ihren Simulationen zufolge kann das Virus in einem einzigen Wirt so weiter mutieren, dass es per Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragbar wird. „Wir können noch nicht sagen, wie wahrscheinlich das ist“, sagt Smith. „Aber wir wissen nun, dass wir auf einer Erdbebenspalte leben. Und sie ist aktiv.“

Bei der Überwachung der Vogelbestände soll nun besonders auf diese Mutationen geachtet werden, um einen Ausbruch früh zu erkennen. Das allein reiche nicht, betont Fouchier. „Wir müssen verstehen, was diese Mutationen bewirken und welche anderen Veränderungen im Erbgut zum gleichen Ergebnis führen. Dafür muss unsere Arbeit weitergehen.“

Bislang gilt weiter das Moratorium, das sich die Wissenschaftler Ende Januar auferlegten. „Wir haben erklärt, warum unsere Experimente sinnvoll sind. Nun liegt es an den einzelnen Staaten, welche Biosicherheitsbestimmungen sie für nötig halten.“ Die USA arbeiten gerade an neuen Bestimmungen. „Aber unsere Gremien dürfen nicht der ganzen Welt diktieren, was sie tun sollen“, sagt Racaniello. „Wir brauchen eine internationale Instanz.“ Zu strikt dürfen die Auflagen nicht geraten, mahnt Drosten. „Dann würde nur noch an wenigen Labors dazu geforscht. In solchen Elfenbeintürmen schläft man ein, weil man sein eigener Konkurrent ist. Das ist das beste Rezept, nicht auf die nächste Pandemie vorbereitet zu sein.“

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