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Bleiern. Wer schwer depressiv ist, muss sich zu allem zwingen - auch zu schönen Dingen.

© dpa

Suizid und Depression: "Patienten können Suizidabsichten verheimlichen"

Der Kopilot von Flug 4U9525 litt an Depressionen und galt früher als suizidgefährdet. Wie verbreitet sind psychische Erkrankungen und wie kann Betroffenen geholfen werden?

Acht Tage ist es her, dass Flug 4U9525 an einer Felswand zerschellte. Es waren Tage, in denen neben der Trauer die Suche nach Ursachen im Vordergrund stand. Nachdem die französischen Ermittler den Verdacht geäußert hatten, der Kopilot Andreas Lubitz könnte die Maschine mit Absicht in den Berg geflogen haben, wurden viele Details aus dem Leben des 27-Jährigen bekannt. Er soll mehrfach wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung gewesen sein – auch wegen Depressionen. In der Vergangenheit galt er als suizidgefährdet.

Wie können Ärzte und Therapeuten erkennen, dass ein Patient suizidgefährdet ist – und kann er das vor ihnen verbergen?

Im Nachhinein stellt sich oft heraus, dass man es hätte wissen können. Nur in der Minderzahl der Fälle gab es keinerlei Anzeichen und Ankündigungen, bevor ein Mensch sich das Leben nahm. Das zeigen Studien, für die nach einem Suizid die Fälle in einer „psychologischen Autopsie“ rekonstruiert wurden. Sie belegen auch, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung sich um ein Vielfaches häufiger mit dem Gedanken tragen, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Vor allem bei schweren Depressionen. „Einen Patienten nicht immer wieder danach zu fragen, ist ein Kunstfehler“, sagt der Psychiater Thomas Bronisch, der am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München seit Jahrzehnten zum Suizid forscht. Ein Ziel der Behandlung ist es, Menschen von dem Wunsch abzubringen, sich selbst etwas anzutun. Im akuten Krisenfall ist eine stationäre Aufnahme meist unumgänglich. Neben psychotherapeutischer Krisenintervention kommen Medikamente zum Einsatz.

„Allerdings können Patienten dem Arzt ihre Suizid-Absichten auch verheimlichen“, gibt Bronisch zu bedenken. Ein weiteres Problem: Ein Patient, den der Psychiater schon lange kennt und von dessen Suizidgedanken er weiß, kann den Anschein erwecken, dass sich sein Befinden plötzlich gebessert hat. „Es gibt Situationen, in denen der Patient ganz entspannt wirkt, und kurz danach nimmt er sich das Leben. Durch den Entschluss ist offensichtlich eine Last von ihm gefallen, so dass er ruhig und gelassen geworden ist.“

Kann die Umgebung auf den Entschluss Einfluss nehmen?

Hat ein Mensch den Entschluss zum Suizid gefasst, so engt sich bei ihm oft die Sichtweise radikal ein. Als „Röhrensicht“ beschreibt es Suizidologe Bronisch. Das Vier-Augen-Prinzip, das einige Airlines schon eingeführt haben und das demnächst in allen Cockpits gelten könnte, kann seiner Ansicht nach auch in dieser Hinsicht hilfreich sein: Weil es die Möglichkeit eröffnet, im Gespräch den Blick wieder zu weiten – auf die konkreten Umstände und die Menschen im Umfeld.

Bleibt die Suizidneigung ein Leben lang?

Auf keinen Fall dürfe eine Suizidgefährdung einem Menschen ein Leben lang anhängen, warnt Bronisch. Auch wenn es Fälle gebe, in denen Menschen „chronisch suizidal“ bleiben. Meist könne die psychische Erkrankung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt die suizidale Absicht hervorrief, erfolgreich behandelt werden. „Dass ein Mensch in einer bestimmten Phase die Absicht hatte, sich zu töten, ist auf jeden Fall kein Grund, ihn von vorne herein von einer beruflichen Laufbahn auszuschließen.“

Wie gefährlich sind psychisch Kranke eigentlich für ihre Umgebung?

Umfragen zeigen, dass psychisch Kranke einem Fünftel der Bundesbürger als „gefährlich“ erscheinen, der Hälfte immerhin als „unbeherrscht“. In Wirklichkeit sind sie weit häufiger Opfer als Täter von gewalttätigen Handlungen. Für eine Erhebung aus Chicago wurden im Jahr 2005 fast 1000 Personen mit verschiedenen psychiatrischen Diagnosen zu Gewalterfahrungen befragt. Sie waren, je nach Art des Übergriffs, im Vergleich mit Gesunden sechs- bis 23-mal so oft die Leidtragenden solcher Taten.

Eine angemessene Behandlung nutzt nicht nur dem Betroffenen

Weltweit leidet fast ein Fünftel aller Menschen zumindest einmal im Leben an einer Verdüsterung der Stimmung, die die Kriterien einer Depression erfüllt. Allein in Deutschland leiden Schätzungen zufolge fünf Prozent der Bevölkerung aktuell daran. Während diese Tendenz eher steigt, nehmen zum Beispiel Tötungsdelikte in Deutschland deutlich ab. Man wisse heute allerdings, dass es einzelne Störungsbilder gibt, die – wenn sie nicht angemessen behandelt werden – mit einem im Vergleich zur Normalbevölkerung höheren Risiko für gewalttätiges Verhalten einhergehen, sagt der forensische Psychologe und Kriminologe Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. Das stimme allerdings nur, wenn weitere Risikofaktoren hinzukommen: „So ist beispielsweise das Risiko gewalttätigen Verhaltens bei Personen, die an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt sind, dann erhöht, wenn die notwendigen Behandlungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden können.“ Rettenberger fürchtet, dass genau das passiert, wenn Betroffene begründete Angst haben, wegen ihrer Störung stigmatisiert zu werden: Sie haben es in einem solchen gesellschaftlichen Klima schwerer, sich ihre Krankheit einzugestehen und zu einer angemessenen Behandlung zu kommen.

Wie äußert sich eine Depression?

Viele Betroffene können selbst nicht einordnen, was mit ihnen los ist. Ihre Stimmung ist gedrückt, sie sind lustlos und reizbar, bis zur Hoffnungslosigkeit. Oft glauben sie, sie müssten sich nur zusammenreißen. Wenn das nicht klappt, kommen Schuldgefühle hinzu. Auch körperliche Symptome können auf eine Depression hindeuten: Schlafprobleme, wenig Appetit oder Schmerzen wie Druckgefühle auf der Brust. Solche Anzeichen können sich über Monate verschlimmern, bis sich die Betroffenen zu allem zwingen müssen – auch zu angenehmen Dingen. Ihre Mimik und Gestik wird starr.

Depression ist dabei nicht gleich Depression. Das Spektrum reicht von leicht bis schwer, von akut bis chronisch. Bei bipolaren Störungen kommen manische Episoden hinzu. 70 bis 80 Prozent der Depressiven leiden zusätzlich unter Angstgefühlen, teilweise bis hin zu Panikattacken. Bei 15 Prozent kommt es zu Anzeichen psychotischer Wahnideen.

Was gilt als Ursache einer Depression?

Da Depressionen familiär gehäuft auftreten, geht man davon aus, dass eine erbliche Vorbelastung wesentlich dazu beiträgt, dass eine Stoffwechselstörung im Gehirn auftritt. Wie sehr die Botenstoffe aus dem Gleichgewicht geraten, ist individuell unterschiedlich. Antidepressiva sollen das ausgleichen. Doch die Genetik ist nicht der einzige Faktor. Auch die Lebensgeschichte kann Elemente haben, die bei erneuten Krisen den Ausbruch einer Depression fördern. Auslöser können auch Ereignisse wie eine Scheidung oder der Verlust eines Angehörigen sein.

Wie wird eine Depression diagnostiziert?

Anders als bei Diabetes oder Krebs gibt es keinen eindeutigen Test. Die Ärzte führen ausführliche Gespräche, dabei helfen standardisierte Fragebögen. Andere Ursachen werden ausgeschlossen. Außerdem muss die Krankheit von Schizophrenien und Angststörungen abgegrenzt werden.

Diese fein säuberliche Einteilung geistiger Leiden in Krankheitsbilder ist jedoch nicht unproblematisch. „Reine Lehrbuchfälle sind selten“, sagt Rainer Hellweg, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. „Die meisten unserer Patienten leiden an einem ganzen Bündel von Symptomen.“ Und Forscher, die diese Symptome mit modernen Methoden untersuchen, stellen immer häufiger fest, dass biologische Befunde mit den klassischen Kategorien nur schlecht übereinstimmen.

Wie gut ist eine Depression behandelbar?

Eine Therapie kann 80 Prozent der Betroffenen helfen. „Nicht jede psychische Erkrankung muss in einer Katastrophe enden, man kann sie unbeschadet überstehen“, betont Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité. Ob eine Depression erkannt wird, hängt allerdings sehr vom Wohnort des Betroffenen ab. So ist in Bayern die Zahl der spezifizierten Diagnosen fast doppelt so hoch wie in Sachsen-Anhalt, ergab der „Faktencheck Gesundheit“ der Bertelsmann Stiftung. Zwischen 2010 bis 2012 wurden mehr als die Hälfte der schwer Depressiven unzureichend behandelt, 18 Prozent gar nicht. Bei einer chronischen Depression erhalten nur zwölf Prozent die empfohlene Kombination aus Antidepressiva und Psychotherapie.

Wie stigmatisiert sind seelische Erkrankungen im Arbeitsleben?

In Deutschland droht Menschen mit psychischen Erkrankungen nach wie vor der Ausschluss vom Arbeitsmarkt. Psychisch Kranke sind doppelt so häufig unter Empfängern von Arbeitslosengeld II wie Gleichaltrige. Sie steigen mit durchschnittlich 48 Jahren aus dem Erwerbsleben aus, 41 Prozent der Frühberentungen sind auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen, heißt es in einem Dossier des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit. Dieser Ausstieg ist insofern problematisch, als Struktur, Anerkennung und Auskommen wegfallen. Wenn einem Kollegen oder Vorgesetzten auffällt, dass ein Mitarbeiter sich zurückzieht oder kaum leistungsfähig ist, sollte man ihn behutsam darauf ansprechen, empfiehlt das Aktionsbündnis.

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