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LHC

© dpa

Supraleiter: Wechsel im Atomgitter erleichtert Stromleitung

Seit Jahrzehnten arbeiten Forscher an supraleitenden Werkstoffen: Materialien, die Strom nahezu verlustfrei übertragen können. Hans-Henning Klauss von der Technischen Universität Dresden und sein Team sind dem Stoff der Zukunft jetzt etwas näher gekommen.

Wie die Wissenschaftler online im Fachmagazin „Nature Materials“ berichten, entdeckten sie eine chemische Verbindung, die supraleitend ist und zudem einfach zu verarbeiten. Damit wäre das Material ein idealer Kandidat für Stromleitungen.

Denn bei den bisher in Hochspannungskabeln verwendeten Kupferdrähten bleibt viel elektrische Energie auf der Strecke. Zwar wurde bereits 1911 entdeckt, dass bestimmte Materialien elektrischen Strom praktisch ohne Widerstand leiten, wenn man sie nur stark genug abkühlt. Doch die als „Sprungtemperatur“ bezeichnete Grenze, unterhalb der dieses Phänomen auftritt, liegt so nahe am absoluten Nullpunkt bei minus 273 Grad Celsius, dass es für den großflächigen Einsatz viel zu teuer wäre, diese Kälte zu erzeugen. Auch als Johann Georg Bednorz und Karl Alex Müller in Zürich 1986 Supraleitung bei höheren Temperaturen von minus 135 Grad beobachteten, gelang dieser Technik kein Durchbruch. Denn alle diese Materialien enthalten viel Sauerstoff. Und der macht die Stoffe sehr spröde, so dass sich daraus keine Drähte ziehen lassen.

Als Anfang 2008 eine weitere Klasse von Supraleitern entdeckt wurde, die nur wenig beziehungsweise gar keinen Sauerstoff enthalten, war die Aufregung unter Festkörperphysikern groß. Hans-Henning Klauss nahm sofort Kontakt zum Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Villigen nahe Zürich auf. Denn dort steht einer von weltweit drei Teilchenbeschleunigern, die Myonen erzeugen können.

Mit den negativ geladenen Elementarteilchen lassen sich Supraleiter hervorragend untersuchen, weil sich Magnetismus und Supraleitung zueinander wie Feuer und Wasser verhalten: „Bei vielen Supraleitern muss erst der Magnetismus aus dem Material verschwinden, bevor es supraleitend wird“, sagt Klauss. Als Erstes nahmen er und Hubertus Luetkens vom PSI eine Substanz unter die Myonen-Lupe, die aus den Elementen Lanthan (La), Sauerstoff (O), Eisen (Fe) und Arsen (As) besteht. Von Chemikern wird die Verbindung deshalb als „LaOFeAs“ bezeichnet. Ersetzt man in dieser Substanz den Sauerstoff schrittweise durch das Element Fluor, nimmt der Magnetismus ab. Zwischen einem und vier Prozent ersetzten Sauerstoffatomen passiert diese Abnahme gleichmäßig. Als die Forscher schließlich fünf Prozent der Sauerstoffatome ersetzten, war der Magnetismus schlagartig verschwunden und das Material zum Supraleiter geworden.

Allerdings funktionierte die verlustfreie Stromübertragung nur bei Temperaturen von bis zu minus 247 Grad. Aus anderen Versuchen ist jedoch bekannt, dass die Sprungtemperatur deutlich ansteigt, wenn Lanthan durch Elemente ersetzt wird, die als „Metalle der Seltenen Erden“ bezeichnet werden. Durch diesen Austausch könnte Supraleitung bereits bei Temperaturen um minus 196 Grad, dem Siedepunkt flüssigen Stickstoffs, erreicht werden, hoffen die Forscher. Zwar schaffen das auch die von Bednorz und Müller untersuchten Oxide. „Die LaOFeAs-Verbindungen dürften aber weniger spröde und damit besser zu verarbeiten sein“, sagt Klauss.

Das schlagartige Verschwinden des Magnetismus und das ebenso rasche Auftauchen von Supraleitfähigkeit in der jetzt untersuchten Stoffgruppe können sich die Forscher nur mit einer Änderung des Kristallgitters erklären. Normalerweise sind die Atome in Kristallen in räumlichen Strukturen angeordnet, die sich kaum verändern lassen. Im Kochsalz etwa bilden Natrium- und Chloridionen jeweils würfelförmige Strukturen. Auch LaOFeAs hat ein solches Gitter, das aber ein wenig verzerrt ist. Werden fünf Prozent der Sauerstoffatome in dieser Substanz durch Fluor ersetzt, schnappt das Kristallgitter anscheinend schlagartig in die unverzerrte Form. Dabei verschwindet der Magnetismus. „Offensichtlich kann eine Veränderung des Kristallgitters Supraleitfähigkeit auslösen“, sagt Klauss. Das könnte wiederum eine neue Möglichkeit zur Herstellung von Supraleitern bedeuten: Indem man einfach Substanzen mithilfe von hohem Druck in das unverzerrte Kristallgitter zwingt.

Bis zu einem preiswerten Supraleiter, der auch bei gewöhnlichen Temperaturen funktioniert, ist es dennoch ein weiter Weg. Roland Knauer

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