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Am Ende des Vermehrungszyklus in einer infizierten Zelle (blau) schnüren sich neue Virenpartikel von der Zelloberfläche ab.

© NIAID

Tricks der Coronaviren: Wie Sars-CoV-2 die Abwehrkräfte des Körpers unterläuft

Nicht nur das Stachelprotein des Covid-19-Erregers ist wandelbar. Weitere Mutationshotspots beeinflussen Infektiösität und Krankheitsverläufe.

Viren führen in den Augen von Biologen ein Leben auf Pump: Da sie sich aus eigener Kraft nicht vermehren können, kapern sie einen Wirt und programmieren diesen so um, dass er sehr viele neue Viren produziert. Dafür müssen die Erreger sehr gut an den Wirt angepasst, der Prozess optimiert sein.

Dabei können Mutationen helfen. Immer wieder treten Veränderungen des Erbguts auf. Die folgenden Veränderungen des Virus sind in den allermeisten Fällen eine Verschlechterung gegenüber der Ursprungsversion. Solche Mutanten verschwinden bald wieder.

Nur sehr wenige der Mutationen sind Treffer, die beim Covid-19-Erreger Sars-CoV-2 zum Beispiel das Spike-Protein auf seiner Oberfläche ändern. Das Protein ist eine Art Schlüssel, der verschiedene Zellen in der Nase, im Rachen und in anderen Organen öffnen kann und so dem Erreger den Weg bahnt. Die britische und die südafrikanische Mutante von Sars-CoV-2 tragen Mutationen, die das Spike-Protein effektiver und diese Virusvarianten ansteckender machen.

[Mehr zum Thema:Angst vor Corona-Mutanten - was man jetzt über die neuen Virusvarianten wissen muss]

Schutzhülle für das Erbgut

Virologen wie Konstantin Sparrer von der Universität Ulm untersuchen über 180.000 Sequenzen des Viruserbguts, die bislang von Sars-CoV-2 registriert sind. Die Änderungen konzentrieren sich nicht auf das Spike-Protein. Es gibt eine Reihe weiterer Mutations-Hotspots, die andere Virus-Bestandteile betreffen. Die Vermutung liegt nahe, dass auch die Veränderungen an diesen Hotspots die Infektiosität des Erregers verstärken und den Krankheitsverlauf beeinflussen könnten.

Einige dieser Mutationen könnten den Viren helfen, die Abwehrkräfte des Immunsystems auszubremsen und zu unterlaufen. Sparrers Team untersucht den Einfluss der Viren auf das angeborene Immunsystem, das eine erste Barriere gegen eine Infektion bildet und gleichzeitig eine spätere, maßgeschneiderte Abwehr der Infektion durch das erworbene Immunsystem einleitet.

„Einer dieser Hotspots ist das N-Protein“, erklärt der Virologe. „N“ steht für „Nukleokapsid“. So wird die Hülle aus Proteinen genannt, die das Erbgut von Sars-CoV-2 vor seiner Umwelt und vor dem Immunsystem schützt. Für Coronaviren ist sie enorm wichtig, weil ihr Erbgut anders als bei Menschen, Tieren und Pflanzen nicht aus umeinander gedrehten Ketten von DNA, sondern aus einzelnen Strängen der ein wenig anders gebauten RNA besteht. „Außerhalb des Zellkerns signalisiert eine solche RNA daher eine Gefahr, die das angeborene Immunsystem alarmiert“, erklärt Sparrer. So wird die Produktion sogenannter Interferone angekurbelt, die Proteine aktivieren, die Virus-Infektionen bekämpfen.

Verbirgt das Nukleokapsid die Virus-RNA, erkennt das Immunsystem die Gefahr weniger gut und seine Reaktion fällt deutlich schwächer aus. „Das ist für Sars-CoV-2 besonders wichtig, weil diese Viren relativ empfindlich auf die Interferon-Antwort des Immunsystems reagieren“, sagt Sparrer.

Verändern nun Mutationen das N-Protein ein wenig, könnten einzelne dieser Änderungen die Virus-RNA besser vor dem angeborenen Immunsystem verbergen. Dadurch fällt die Immunantwort schwächer aus, die Viren können sich besser vermehren und mehr Erreger dann auch andere Menschen leichter anstecken – zumindest in der Theorie.

In der Praxis wissen die Forscher bisher nur wenig darüber, wie die Mutationen die Reaktionen zwischen den Zellen und dem N-Protein beeinflussen. Einen wichtigen Hinweis aber gibt es: Im Erbgut für das N-Protein finden Forscher gleich mehrere Hotspots der Veränderungen. „Genau das aber deutet darauf hin, dass diese Varianten einen wichtigen Vorteil haben“, sagt Sparrer: Sie scheinen Infektiosität und Krankheitsverlauf zu beeinflussen.

Neue Infektionszyklen

Weitere Mutations-Hotspots finden die Forscher im Virus-Protein ORF3a, das eine wichtige Rolle bei der Vermehrung der Erreger spielt. Die Viren docken mit ihren Spike-Proteinen an „ACE2“ genannte Oberflächenstrukturen an, die auf einigen Zellen des Menschen zu finden sind. Dann wird das Erbgut der Viren in die Zellen eingeschleust. Die gleichen Mechanismen, die dort normalerweise Proteine für den eigenen Organismus herstellen, produzieren jetzt nach Anleitung der Virus-RNA ein Polypeptid genanntes Super-Eiweiß des Virus.

Das große Molekül beginnt, sich selbst in eine Reihe kleinerer Virus-Proteine zu zerlegen. Ein weiterer, RNA-Polymerase genannter Protein-Komplex übernimmt die Vermehrung der Virus-RNA. An der Oberfläche der Zelle setzen sich anschließend die frisch hergestellten Virus-Proteine und das Virus-Erbgut zu neuen Viren zusammen, die anschließend durch die Zellmembran ausgeschleust werden.

Sechs bis sieben Stunden nach der Infektion einer Zelle tauchen dort dann neu produzierte Viren auf, die neue Infektionen verursachen können. Beim Ausschleusen dieser neuen Viren spielt das ebenfalls aus dem Polypeptid entstandene Virus-Protein ORF3a eine wichtige Rolle. Verbessern Mutationen an diesem Protein das Ausschleusen, können auch mehr Viren freigesetzt werden und so ihre Verbreitung beschleunigen.

ORF3a beeinflusst aber auch das angeborene Immunsystem und drosselt dort nicht nur die Produktion von Interferonen, sondern auch einen „Autophagie“ genannten Prozess. Dabei bauen die Zellen nicht mehr benötigte Bestandteile ab und recyceln ihre Bestandteile für weitere Verwendungen. Dieser Prozess verdaut auch eingedrungene Viren, Bakterien und schädliche Proteine. Eine verringerte Autophagie verbessert demnach auch die Vermehrung der Viren und damit die Infektiosität. Zudem könnten Veränderungen am ORF3-Erbgut, das in mehreren Varianten vorkommt, auch die Erkrankung schwerer verlaufen lassen: „Bei zwei schweren Covid-19-Fällen in Ecuador hat unser Kooperationspartner Kei Sato von der Universität Tokio ORF3b-Mutanten gefunden, die anscheinend die Pathogenität verschlimmern“, erklärt Sparrer.

Gestörter Zellstoffwechsel

Einen weiteren Mutations-Hotspot finden die Forscher in der Bauanleitung eines anderen Proteins, das ebenfalls aus dem Virus-Polypeptid entsteht: NSP1. Dieses spielt für die Infektiosität nicht nur von Sars-CoV-2, sondern auch beim Sars-Erreger Sars-CoV-1 und beim auf der Arabischen Halbinsel verbreiteten Mers-CoV eine zentrale Rolle.

Bereits im September 2020 berichteten Sparrer und seine Kollegen im Fachjournal „Science“, dass sich NSP1 an Ribosomen bindet. In den Ribosomen werden nach den Vorgaben von mRNA genannten kurzen Abschriften aus dem Erbguts einer Zelle Proteine hergestellt. Dabei wird die mRNA durch einen Kanal im Ribosom gezogen.

Roland Beckmann und seine Mitarbeiter an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität konnten mit Elektronenmikroskopie zeigen, wie das Virus-Protein NSP1 wie ein Stöpsel in diesem Kanal steckt und ihn dicht verschließt. So blockierte Ribosomen können keine Proteine mehr herstellen, und schalten so einen erheblichen Teil des angeborenen Immunsystems aus. Diese Blockade scheint an der Infektiosität von Sars-CoV-2 beteiligt zu sein. Und sie wirft eine weitere Frage auf: Es wird ja auch das Polypeptid von Sars-CoV-2 in Ribosomen hergestellt. Werden diese von NSP1 blockiert, bremst das Virus sich ja selbst aus. „Möglicherweise hebt das Virus den Stöpsel ein wenig an, die Virus-RNA kann in den Kanal gleiten und das Ribosom kann die Bauanleitung für das Polypeptid ablesen“, nennt Sparrer einen möglichen Ausweg. „Oder NSP1 blockiert nur bestimmte Ribosomen, die unter anderem Proteine für das angeborene Immunsystem produzieren, lässt andere Typen aber unbehelligt, in denen dann das Polypeptid hergestellt wird“. Ob das Virus eine dieser Möglichkeiten nutzt, müssen die Forscher aber noch untersuchen.

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Nach einer Studie von Jing-wen Lin von der Sichuan-Universität im chinesischen Chengdu und ihrer Kollegen beeinflusst auch eine mutationsbedingte Verkürzung der Aminosäurenkette, aus der NSP1 besteht, das angeborene Immunsystem. Dadurch sollen die mutierten Viren der Immunabwehr besser ausweichen, sich aber auch nur langsamer vermehren können. Bislang ist unklar, ob die Vor- oder die Nachteile überwiegen. „Wir versuchen daher das Verhalten dieser NSP1-Mutanten in Ulm weiter aufzuklären“, erklärt Sparrer.

„Offensichtlich können neben Veränderungen am Spike-Protein also auch eine ganze Reihe weiterer Mutationen die Infektiosität von Sars-CoV-2 erhöhen“, kommentiert der Virologe Bernhard Fleckenstein von der Universität Erlangen diese Ergebnisse. „Der Erreger der Covid-19-Pandemie hat also noch reichlich Möglichkeiten für neue Überraschungen“. Allerdings gibt es auch eine gute Nachricht: „Alle Impfstoffe konzentrieren sich auf das Spike-Protein, Überraschungen an anderen Stellen des Virus-Erbguts sollten also die Impf-Erfolge nicht allzu sehr beeinflussen“, hofft der Erlangener Forscher.

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