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Im November besetzten Klimaaktivisten einen Hörsaal an der TU.

© Sophie Dune Korth / Sophie Dune Korth

Uni-Besetzungen: Mit Klimaaktivisten reden, anstatt die Polizei zu rufen

Eine Hörsaalbesetzung scheint in Deutschland unverzeihlich. Doch es ist richtig, mit Klimaaktivisten in den Dialog zu gehen, anstatt gleich die Uni von der Polizei räumen zu lassen.

Ein Kommentar von Geraldine Rauch

Geraldine Rauch ist Präsidentin der Technischen Universität Berlin.

„Möchten Sie einen Kaffee?“ So werde ich begrüßt, als ich den besetzten Hörsaal der TU Berlin betrete. Ich bekomme eine Tasse Kaffee mit Hafermilch und wir setzen uns im Kreis auf die Bühne, auf der sonst die Lehrenden ihre Vorlesungen halten.

Ungefähr dreißig junge Menschen sitzen um mich herum, wir kommen ins Gespräch. Es geht um Zukunftsängste, Probleme der nächsten Generationen, Benennungen von Handlungsfeldern. Die große Sorge um unsere gemeinsame Welt ist greifbar. Das Unverständnis darüber, dass wir sehenden Auges darauf zulaufen, unseren Lebensraum zu zerstören – obwohl wir wissen, was zu tun wäre.

Einige tippen eifrig die Argumente mit, Vorschläge und Forderungen werden verlesen, editiert und überarbeitet. Es wird diskutiert, wer worauf Einfluss hat und wer welchen Beitrag leisten kann und sollte. Handlungsvorschläge und weitreichende Utopien werden benannt, manches scheint sehr konkret, anderes eher ideologisch. Zwischendurch immer wieder Abfragen zur Zustimmung oder Ablehnung in der Gruppe.

Zwei Stunden später verlasse ich den Hörsaal mit dem Eindruck, gerade an einer Art Workshop zum Thema Klimagerechtigkeit teilgenommen zu haben.

Fünf Tage später verlassen die Aktivisten den Hörsaal freiwillig, räumen auf und fegen. Der Hausmeister schickt uns ein Video unter dem Motto „Alles in Ordnung, alles heile, alles sauber“.

TU-Präsidentin Geraldine Rauch.
TU-Präsidentin Geraldine Rauch.

© TU Berlin/PhilippArnoldt

Wieder einen Tag später erreichen mich die ersten E-Mails, mit empörten Rufen, dass ich den Hörsaal von der Polizei hätte räumen lassen müssen. Vermengt mit Worten wie „Klimachaoten“, „Erpressung“, „Kartoffelbrei“, „Klebstoff“ und „härtere Strafen“.

Während wir in anderen Ländern der Welt Protestierende darin bestärken auf die Straße zu gehen, scheint eine Hörsaalbesetzung in Deutschland ein Vergehen, dass unverzeihlich ist.

Als erste Antwort die Polizei rufen – was ist das ein Verständnis von sozialer Verantwortung?

Um das Szenario einmal zu Ende zu denken, stelle ich mir die Situation also wie folgt vor:

„Möchten Sie einen Kaffee?“ „Nein, aber ich hätte gerne ihre Personalien. Und bitte folgen Sie den Polizisten freiwillig.“

Was ist das für ein Verständnis von sozialer Verantwortung und Diplomatie, wenn die erste Antwort auf einen Konflikt sein soll, die Polizei zu rufen? Warum bezeichnen wir argumentativ begründete „Forderungen“ von ein paar Studierenden als Erpressung? Und was tun wir alle wirklich gegen den Klimawandel?

Kleben für das Klima ist verpönt, während das sträfliche Nicht-Handeln beim Klimaschutz nur ein Achselzucken hervorruft.

Geraldine Rauch, TU-Präsidentin

Natürlich ist das Werfen von Kartoffelbrei gegen Bilder keine Maßnahme, die direkt gegen den Klimawandel wirkt. Aber seien wir ehrlich – so manches politische Zugeständnis ist nicht nur keine Maßnahme gegen, sondern sogar ein Treiber des Klimawandels. Über ersteres herrscht Empörung, über letzteres wird politisch verhandelt. Kleben für das Klima ist verpönt, während das sträfliche Nicht-Handeln beim Klimaschutz nur ein Achselzucken hervorruft.

Wir leben alle in derselben Welt, die gerade kaputt geht

Der Weg der TU Berlin wird es weiterhin sein, erst zu reden, dann konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel anzugehen und zwar im konstruktiven Dialog, gemeinsam mit Politik und Gesellschaft.

Dabei können uns neue Netzwerke, wie das Climate Change Center Berlin Brandenburg, helfen, aber auch die noch stärkere Integration von Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz in unsere Studiengänge oder eben auch eine vegane Mensa. Mit unseren Energiesparmaßnahmen sparen wir im laufenden Präsenzbetrieb mehr als 30 Prozent unseres bisherigen Wärmeverbrauchs ein und leisten damit einen konkreten Beitrag zum Klimaschutz.

Und dennoch, auch die TU Berlin tut ganz sicher noch nicht genug für Klimagerechtigkeit. Deshalb ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und sich selbst zu hinterfragen. Gute Argumente und Vorschläge werden wir uns dabei immer anhören. Sie können aus der Uni oder von außen kommen, von Studierenden, der Zivilgesellschaft oder der Politik.

Denn wir leben alle in derselben Welt, die gerade kaputt geht. Genug getan haben wir erst dann, wenn unsere Welt für uns alle lebenswert bleibt, egal wo wir herkommen und auf welchem Kontinent wir leben. Wir haben nur ein Klima.

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