zum Hauptinhalt
In Deutschland wollen mehr junge Menschen in der Wissenschaft arbeiten, als es Professuren und Dauerstellen gibt. Das kann man auch positiv sehen.

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Schmidt Ocean Institute

Unikarrieren: Das deutsche System ist nicht so schlecht, wie es manche machen

In Deutschland wollen mehr junge Menschen in der Wissenschaft arbeiten, als es Professuren und Dauerstellen gibt. Das kann man auch positiv sehen. Dass die Konkurrenz zu bösem Blut führt, sollte aber nicht verwundern.

Ein Gastbeitrag von Oliver Günther

Die Besetzung von deutschen Universitätsprofessuren verläuft seit Jahrhunderten nach einem durchaus bewährten Schema, das auf der Institution der Habilitation beruht. Wissenschaftlerinnen, die nach ihrer Promotion weitere Beiträge zur Forschung leisten, fassen diese in einer meist gewichtigen Habilitationsschrift zusammen. Nach bestandener Prüfung kann sich der frischgebackene Privatdozent auf Lebenszeitprofessuren bewerben.

Es liegt in der Natur der Sache – nämlich der Knappheit an Professuren im Vergleich zum Heer der Promovierten –, dass viele am Rand dieses steinigen Weges steckenbleiben. Dass die Zahl der Bewerbungen schnell zweistellig wird, ist keineswegs unüblich. Oft erfolgt der begehrte „Ruf“ – wenn überhaupt – erst jenseits der 40 Lenze, in einem Alter also, in dem Familien- und Karriereplanung eigentlich schon weit gereift, wenn nicht abgeschlossen sein sollten.

Diese extreme Unsicherheit zwischen Promotion und Professur war einer der Gründe, warum die damalige Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn mit Einführung der Juniorprofessur 2005 den Schwenk zu dem auch international üblichen Laufbahnsystem – dem „Tenure-Track-System“ – eingeleitet hat.

Dabei bewirbt man sich schon kurz nach der Promotion auf eine Junior- oder Assistenzprofessur. Auch diese Stellen sind knapp. Wenn man hierbei aber reüssiert, ist man auf Spur („Track“): Nach einigen Jahren Forschung und Lehre erfolgt eine umfassende Evaluation, die im Erfolgsfall zur Lebenszeitprofessur („Tenure“) führt. Eine Habilitationsschrift ist nicht mehr erforderlich, was auch dem Forschungsparadigma vieler Fächer entspricht, in denen nicht in Buchform, sondern in kürzeren „Papers“ veröffentlicht wird.

Derartige Tenure-Track-Stellen sind für frisch Promovierte ausgesprochen attraktiv, weil sie eine frühe Bindung an eine Hochschule ermöglichen, verbunden mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit auf Verstetigung. Wie hoch die Erfolgswahrscheinlichkeit in Deutschland ist, wird man sehen. An meiner amerikanischen Alma Mater, der UC Berkeley, schaffen es etwa fünf von sechs Assistant Professors. Dies lässt sich freilich nur bedingt auf Deutschland übertragen, zumal hier im Streitfall – wie gerade auch bei uns an der Uni Potsdam – auch die Verwaltungsgerichte bemüht werden. 

Eine Systemumstellung ist mit Nebenwirkungen verbunden. Wären schlagartig alle frei werdenden Professuren in Deutschland über Tenure-Track besetzt worden, hätte es eine „verlorene Kohorte“ gegeben. All die, die für eine Juniorprofessur „überqualifiziert“ waren, aber noch keine Lebenszeitprofessur ergattert hatten, wären ungerechterweise aus dem System gefallen.

Dieser Effekt wurde allerdings dadurch abgedämpft, dass die Systemumstellung sich nun schon über 20 Jahre hinzieht. Und auch heute sind wir weit davon entfernt, dass die Neubesetzung per Tenure-Track den Regelfall darstellen würde. Zahlreiche Professuren – bundesweit wohl mehr als die Hälfte – werden nach wie vor direkt auf Lebenszeit besetzt.  

Die Habilitation steht vor dem Ende

So weit, so gut – oder etwa nicht? Nun ja, die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) macht der Habilitation wohl endgültig den Garaus. Diese sieht nämlich vor, dass Promovierte nach der Promotion nur noch höchstens vier Jahre befristet beschäftigt werden dürfen. Dies reicht für eine Habilitation nicht aus. Habilitieren kann man sich also in Zukunft nur, indem man noch vor der Habilitation eine unbefristete Stelle ergattert, auf der man weiter forschen kann, oder indem man sich als Privatgelehrter aus anderen Quellen finanziert – was nur wenigen möglich sein dürfte.  Dies dürfte den Trend zu Tenure-Track deutlich beschleunigen.

Im Ergebnis wurde durch die WissZeitVG-Reform zwar das Ziel erreicht, die Entscheidung über einen lebenslangen Verbleib in der Wissenschaft vorzuverlegen. Vier Jahre nach der Promotion muss man eine Juniorprofessur oder eine Dauerstelle in einem Institut oder einer Hochschule ergattert haben, sonst ist das Spiel aus.

Eine bittere Wahrheit führt zu bösem Blut

Dass diese bittere Wahrheit von vielen jüngeren Wissenschaftlern als Pyrrhussieg empfunden wird und zu viel bösem Blut führt, kann nicht verwundern. Sie liegt allerdings in der einfachen Arithmetik begründet, wonach von den etwa 28.000 frisch Promovierten pro Jahr nur etwa 3.000, also knapp elf Prozent, eine Chance auf eine Dauerbeschäftigung in der Wissenschaft haben.

300
Millionen Euro mehr würden 2600 zusätzliche Dauerstellen im ersten Jahr kosten

Dieser Flaschenhals ließe sich nur auf zwei Arten ausweiten. Zum einen, indem man weniger Leute promoviert. Dadurch würde das Verhältnis von Promovierenden zu Dauerstellen abgesenkt, was die Chancen auf einen Verbleib in der Wissenschaft erhöhen würde. Eine gewisse Absenkung wäre sicherlich sinnvoll, da wahrlich nicht alle Promotionen einen wirklichen Erkenntnisgewinn beinhalten. Gleichwohl würde dies bedeuten, dass weniger junge Menschen als heute überhaupt die Möglichkeit zur Promotion hätten. Das heißt: Der Flaschenhals würde nur nach vorne verlegt werden, nämlich auf den Wettbewerb um die knapperen Doktorandenstellen.

Zum anderen kann man das Gesamtsystem besser ausfinanzieren. Wollte man zum Beispiel 20 statt elf Prozent der jährlich Promovierten in der Wissenschaft halten, würde dies pro Jahr etwa 2600 Professuren oder Dauerstellen zusätzlich erfordern. Das dürfte im ersten Jahr mindestens 300 Millionen Euro mehr kosten, im zweiten Jahr 600 Millionen mehr und so weiter. Das lässt sich nicht lange durchhalten. Und auch dann müssten sich 80 Prozent bald nach der Promotion aus der Wissenschaft verabschieden.

Unis sollten früh alternative Wege aufzeigen

Letztlich beißt die Maus keinen Faden ab: Derzeit wollen mehr junge Menschen in der Wissenschaft arbeiten, als es Stellen gibt und auch in den kommenden Jahrzehnten geben wird. Das ist zunächst einmal erfreulich und zeigt, dass die Wissenschaft als guter Arbeitgeber wahrgenommen wird. Umso wichtiger ist aber, dass wir Universitäten unseren Promovierenden auch früh attraktive Alternativen zu einer wissenschaftlichen Tätigkeit aufzeigen.

Bei alldem sollte man das Ziel jeglicher Reform nicht aus dem Auge verlieren. Ziel einer Reform sollte ja nicht sein, die Wünsche lautstarker gesellschaftlicher Gruppen zu erfüllen (auch wenn die politischen Realitäten eine andere Sprache sprechen).

Ziel ist die Förderung des Gemeinwohls. Dem Gemeinwohl förderlich ist eine wissenschaftliche Personalstruktur, die es für die Besten nach wie vor attraktiv macht, in der Wissenschaft zu arbeiten, auch wenn dies mit einem harten Wettbewerb und gelegentlich auch mit materiellen Einbußen gegenüber einer Karriere in der Privatwirtschaft verbunden ist. Das deutsche System schneidet dabei im internationalen Wettbewerb gar nicht so schlecht ab, wie manche Protagonisten nicht müde werden zu beteuern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false