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Als Fundort dieser aus Mammutelfenbein geschnitzten Frauenstatuette wurde die Hohle-Fels-Höhle bei Schelklingen (Alb-Donau-Kreis) von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt.

© Marijan Murat/dpa

Durchhalte-Statuetten: Üppige Venus-Figuren waren Idealbild in Hungerzeiten

Fruchtbarkeitssymbol, Göttin oder steinzeitliches Pin-up-Girl? Forscher sehen im damaligen Klima den Schlüssel zum Verständnis alter Venus-Figuren.

Sechs Zentimeter Größe, 33 Gramm Gewicht: die Entdeckung einer mindestens 35.000 Jahre alten Frauenstatuette in der Höhle „Hohle Fels“ auf der Schwäbischen Alb war eine Sensation. Der Tübinger Archäologe Nicholas Conard hat das Kunstwerk aus Mammutelfenbein im Jahr 2008 entdeckt. Es gilt als eines der ältesten der Welt.

In der detailreichen Darstellung des gedrungenen Frauentorsos sind Brüste und Vulva stark vergrößert. Anstelle des Kopfes trägt die Figur einen Ring, an dem sie vermutlich als Anhänger getragen wurde. Conard vermutete, dass es sich bei der Figur um ein Fruchtbarkeitssymbol handeln könnte, aber worin ihre Bedeutung vor 35.000 Jahren lag, ist eine offene Frage.

Die 100 Jahre zuvor in Österreich entdeckte und knapp 30.000 Jahre alte „Venus von Willendorf“ ist ein weiteres Beispiel für üppig geformte Frauenfigürchen unbekannter Bedeutung. Frauenfiguren mit dickem Bauch und großen Brüsten waren von Frankreich bis Russland verbreitet.

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Maße genommen

Ein Forscherteam um Richard Johnson von der University of Colorado sieht den Schlüssel zum Verständnis nun im Klimawandel und der Ernährung jener Zeit. Die Kunst habe mit den Figuren das betont, was zum Überleben unter zunehmend strengen klimatischen Bedingungen nützlich war: die Fähigkeit, rasch Fett anzusetzen.

„Einige der frühesten Kunstwerke der Welt sind diese mysteriösen Figuren übergewichtiger Frauen aus der Zeit der Jäger und Sammler in der europäischen Eiszeit, wo man Übergewicht überhaupt nicht erwarten würde“, so Johnson. „Wir zeigen, dass diese Figuren mit Zeiten extremer Nahrungsknappheit korrelieren.“

Der frühe moderne Mensch betrat Europa während einer Erwärmungsperiode vor etwa 48.000 Jahren. Die Gruppen jagten Rentiere, Pferde und Mammuts mit Speeren, fingen Fische und sammelten Beeren, Nüsse und andere Früchte. Mit einer beginnenden Kaltzeit wurde das Nahrungsangebot allerdings knapper. Gerade während dieser Hungerzeiten seien die fettleibigen Venus-Figuren aus Stein, Elfenbein, Horn oder gelegentlich Ton aufgetaucht, erläutern die Forscher im Fachjournal „Obesity“.

Die Wissenschaftler maßen für ihre Analyse das Verhältnis von Taille zu Hüfte und Taille zu Schulter der Statuen. Einbezogen wurden zudem Klima-Daten und Verhaltensmodelle der Anthropologie. Die vordringenden Gletschern nächstgelegenen Statuen sind verglichen mit den weiter entfernt gefundenen rundlicher.

Von Mutter zu Tochter?

Die Forscher vermuten daher, dass die Figuren einen idealisierten Körpertyp für die schwierigen Lebensbedingungen darstellten. Rasch Fett anzusetzen, also Nahrung gut für sich verwerten zu können, sei in Zeiten des Mangels von großem Vorteil gewesen. Eine solche Frau habe ein Kind besser durch eine Schwangerschaft tragen und über lange Zeit stillen können als eine unterernährte.

Bis zur Entwöhnung vom Stillen hätten die Frauen ihre Kinder wohl durch zwei Winter bringen müssen, heißt es in der Studie. „Frauen brauchen mehr Fett als Männer, etwa 17 Prozent Körperfett zur Unterstützung der Menstruation und 22 Prozent Körperfett zur Unterstützung einer idealen Schwangerschaft.“ In Hungerphasen benötige eine mittelgroße Frau etwa 16 Kilogramm Fett, um die nötigen Kalorien für eine Schwangerschaft und das Stillen über mehr als drei Monate aufbringen zu können.

Womöglich hätten die Figuren als eine Art Fetisch oder magischer Zauber gedient, der eine Frau durch Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit helfen sollte. Viele seien abgenutzt, was darauf hindeute, dass sie über Generationen weitergegebene Erbstücke waren. (dpa)

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