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Alles fließt. Immer noch.

© Nicole Richter / Deutsches Geoforschungszentrum

Vulkanologentreffpunkt La Palma: Am unberechenbaren alten Hügel

Schlote, Krater, Eruptionen: Cumbre Vieja lässt weiter die Lava fließen. Was dort unter der Oberfläche vorgeht, darüber weiß man ziemlich wenig.

Seit fast 80 Tagen spuckt die Cumbre Vieja auf La Palma Gestein, Gas und Asche aus. Schon jetzt ist es der größte Ausbruch seit Beginn der Aufzeichnungen vor mehr als 500 Jahren. Der Berg ist nun auch zum Treffpunkt von Vulkanologen aus aller Welt geworden.

„La Palma gehört jetzt zu den bestüberwachten Vulkanregionen weltweit“, sagt Thomas Walter vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ), der die Insel seit September mehrfach besucht hat. „Aber es gibt noch sehr viele offene Fragen.“

Erdstöße

Am 30. November erreichte die Zahl der Erdbeben dort mit 371 binnen 24 Stunden ihren bisherigen Höhepunkt. Solche Erdstöße entstehen, wenn Gestein in der Tiefe unter dem Druck des aufsteigenden Magmas und der darin enthaltenen Gase zerbricht, wie Thor Hansteen vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel erläutert. Im September durchbrach das Magma erstmals die Erdoberfläche, inzwischen klaffen ein halbes Dutzend neue Krater.

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Seit Beginn des Ausbruchs mussten sich 7000 Bewohner in Sicherheit bringen. Bis Anfang Dezember zerstörte die Lava in der südwestlichen Inselhälfte fast 2800 Gebäude und über 70 Kilometer Straße. Mehr als 1150 Hektar sind von einer meterdicken Lavaschicht bedeckt – eine Fläche von rund 1600 Fußballfeldern. Und vor der Westküste schuf die Lava eine fast 50 Hektar große neue Landzunge.

„In der Vergangenheit waren die Ausbrüche auf La Palma meist nach etwa zwei bis vier Wochen vorbei“, sagt Walter. Selbst nach zwei Monaten sei derzeit aber kein Ende abzusehen. Generell zeigten die Kanarischen Inseln die ganze Bandbreite des Möglichen, was die Intensität angeht: So war etwa 1909 der letzte Ausbruch auf Teneriffa am Chinyero, einem Schlackenkegel am Pico del Teide, nach wenigen Tagen vorbei. Dagegen verwüstete ein anderer Ausbruch vor etwa 180 000 Jahren die gesamte Insel, die fast dreimal so groß ist wie La Palma.

Typen

Die derzeitigen Eruptionen an der Cumbre Vieja gehören zu zwei Typen: Recht regelmäßig sind die Geysir-artigen sogenannten Strombolianischen Eruptionen: Dabei platzen alle paar Minuten im Magma aufsteigende Gasblasen und der Berg spuckt Lavafontänen aus. Kaum vorhersehbar sind dagegen plötzliche Veränderungen, etwa Explosionen, bei denen mächtige Aschewolken über der Insel kilometerweit in die Höhe steigen. „Der Ausbruch kann derzeit innerhalb weniger Stunden sein Gesicht völlig verändern“, sagt Walter. „Was diesen Übergang bewirkt, wissen wir noch nicht.“

Rätselhaft sei auch die Bildung neuer Krater: Seit September haben sich die Eruptionsorte Hunderte Meter verlagert. Inzwischen sind im Gipfelbereich des neuen, zuletzt 1124 Meter hohen Kegels mindestens sieben Krater entstanden.

Im Fachblatt „Science“ beschreibt der Vulkanologe Marc-Antoine Longpré von der City University in New York, wie sich der Ausbruch anbahnte. Auch er betont, wie schwer sich die Aktivität der Cumbre Vieja vorhersagen lasse. Bei ständig aktiven Vulkanen wie dem Ätna auf Sizilien oder dem Kilauea in Hawaii könne man spezielle Muster ausmachen, die eine bevorstehende Eruption ankündigen. Bei der Cumbre Vieja mit ihren langen Ruhephasen sei das unmöglich.

Anbahnung

Der derzeitige Ausbruch habe sich über Jahre angebahnt. Nach langer Ruhe bebte die Erde unter La Palma gehäuft ab Oktober 2017. Rückblickend markierten diese einzelnen „Erdbebenschwärme“ wohl das „früheste Anzeichen vulkanischer Unruhe“, schreibt Longpré. Der eigentliche Ausbruch kündigte sich dann mit etwa einer Woche Vorlauf an. Was dann – sichtbar – geschah, ist bekannt.

Doch was genau unter der Erde passiert, ist weitgehend unklar. Eine Magmakammer in wenigen Kilometern Tiefe scheint es unter der Cumbre Vieja im Gegensatz zu vielen anderen Vulkanen nicht zu geben. Vom spanischen Nationalen Geografischen Institut (IGN) veröffentlichte Daten deuteten Anfang Dezember darauf hin, dass die meisten Erdstöße sich in zwei Bereichen konzentrieren: in deutlich über 30 Kilometern Tiefe, also noch im Erdmantel, und in etwa 12 Kilometern Tiefe. Offenbar sammelten sich dort große Mengen Magma an. „Das System wird periodisch nachgefüttert“, sagt Hansteen.

Auch über die Magmaschlote weiß man kaum etwas. «Die Störungen in den beiden Arealen unter La Palma laufen anscheinend kreuz und quer durcheinander», sagt Walter. «Und in den noch flacheren Zonen sehen wir quasi keine Beben. Bis in acht Kilometer Tiefe ist Funkstille. Das ist bei dieser Eruptionstätigkeit sehr schwer zu erklären.»

Um mehr Einblick zu erlangen, reiste ein Team um Walter Anfang Dezember erneut nach La Palma - mit viel Ausrüstung im Gepäck: Seismometer sollen kleinste Erschütterungen registrieren und dazu beitragen, ein möglichst genaues Modell der unterirdischen Aktivitäten zu erstellen. Satellitenbilder und bodengestützte GPS-Stationen erfassen kleine vertikale und horizontale Veränderungen der Erdoberfläche, und sogenannte Tiltmeter erkennen winzigste Neigungsveränderungen.

Kratergeburt

Aus den Verformungen - etwa dem Winkel von Hebungen - lassen sich Rückschlüsse etwa zur Tiefe der ursächlichen Veränderungen ableiten. Und zu der Schlüsselfrage, auf welchem Weg das Magma aus dem Erdinneren zu den Kratern aufsteigt. Das könnte Aufschluss geben, wann und wo sich neue Austrittsspalten öffnen könnten. Und das wiederum hätte Einfluss auf den Verlauf weiterer Lavaströme.

«Ich wäre nicht überrascht, wenn sich die Eruptionen wieder verlagern würden», sagt Walter. Erst Anfang Dezember war ein aus einer neuen Spalte austretender Lavastrom an den bis dahin verschonten Ort La Laguna bis auf 800 Meter herangeflossen.

Grund zur Sorgen gibt es: Ein neuer Krater könnte sich auf dem Hauptkamm oder östlich davon öffnen. Dann würde Lava auch die Ostseite der Insel hinab fließen. Sie könnte den Süden La Palmas vom Rest der Insel abschneiden – wie bei dem Ausbruch von 1949.

„Wir sind mit unseren Prognosen sehr vorsichtig geworden“, sagt Walter. „Man darf auf La Palma nichts ausschließen.“

Sicher ist nur, dass, wenn alles vorbei ist, der neue Kegel am "Alten Hügel", wie Cumbre Vieja übersetzt heißt, auch einen neuen Namen bekommen wird. (Walter Willems, dpa)

Walter Willems

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