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Der Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher in einem zeitgenössischen Porträt.

© imago/Leemage

Zum 250. Geburtstag von Friedrich Schleiermacher: Romantiker der Religion

Der Berliner Theologe Friedrich Schleiermacher brachte das Gefühl in den Protestantismus und prägt die Kirche bis heute. Eine Würdigung zum 250. Geburtstag.

Religion ist nicht nur etwas für die Dummen, sie will in ganz besonderer Weise den intellektuell-feinnervigen Menschen ansprechen. Das ist die Botschaft von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Im kleinkarierten dogmatischen und orthodoxen Pfaffengezänk weist er ihr einen ganz besonderen Platz zu – im Gefühl. Als Pastor war er an der Charité tätig, als Professor wirkte er an der Seite von Wilhelm von Humboldt und Freiherr von Stein an der Gründung der Friedrich-Wilhelm-Universität mit und war dort von 1810 bis an sein Lebensende Ordentlicher Professor für Theologie. Er gilt im evangelischen Lager als der dritte Große nach Luther und Melanchthon. Die Kirchengeschichte wertet ihn als Begründer des Kulturprotestantismus.

Seine „Reden über die Religion“, in denen er sich gleichermaßen gegen dogmatisches und orthodoxes Pfaffengezänk abgrenzt, ziehen weite Kreise, schwappen in die literarischen Salons der Henriette Herz und der Rahel Varnhagen in Berlin. Goethe befasst sich mit diesem ganz neuen theologischen Ansatz und lehnt ihn ab, andere führende Köpfe seiner Zeit stärken dem romantisch-patriotischen Theologen den Rücken. Gegen Ende seines Lebens resigniert der streitbare Gottesmann, um 1830 sagt er, seine früheren „Reden seien heute nicht mehr nötig. Jetzt gehe es darum, „Reden zu schreiben an Frömmelnde und an Buchstabenknechte, an unwissend und lieblos verdammende Aber- und Übergläubige“.

Seine „Reden“ ein derartiges Feuer, das noch heute zündet - und an das man sich gerade in diesen Tagen anlässlich seines 250. Geburtstages erinnert. Worum geht es diesem Theologen? - Schleiermacher leidet darunter, dass immer mehr Menschen sich von der Religion nicht nur abwenden, sondern sie bewitzeln. Selbst philosophisch durch sein Studium bestens gewappnet, lässt er sich auf die Sprache der Gottlosen zunächst ein, stellt sich auf die Ebene ihrer Zweifel und versucht, das Phänomen Religion zu ergründen Er wagt eine Analyse des Verstehens.

Diskussionen mit Schlegel und Henriette Herz

„Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche“, schreibt er und zieht die Diskussion darüber ganz bewusst von der Verstandes- auf die Gefühlsebene herüber. Von hier aus entwickelt er systematisch eine eigene Hermeneutik, bedient sich nun aber wieder erkenntnistheoretischer Manier, indem er den Gottesbegriff unter den Oberbegriff Religion subsumiert. Diese komparatorische Subsumption - so zeigt er - scheitert an der Gestalt Jesu Christi. Ihm schreibt er eine „urbildliche Würde“ zu.

Natur, Kultur, Körper, Geist und Seele, Gott und Mensch müssen im Denken und Glauben zum Einklang finden. Das ist Schleiermachers großes Ziel. Denn diese Einheit ist längst dahin, merkt er schon während seines Studiums.

In platonisch-sokratischer Manier diskutiert der Theologe mit Friedrich Schlegel und Henriette Herz im Frühjahr 1798 über das große Thema Religion. Seine Antworten auf ihre Fragen legt er in seinen „Reden“ nieder, einer Kampfschrift, die den Gebildeten unter ihren Verächtern eben diese Religion zurückgeben soll. Religion sei nicht Moral und Lehre, sondern Anschauung und Gefühl, ein „heiliger Instinkt“, die „zarteste Blume der Phantasie“. Das mystische Einswerden mit dem Universum, sagt er, ist der heilige Moment der Religion.

Schleiermachers romantischer Ansatz

Es ist ein durch und durch romantischer Ansatz, mit dem Schleiermacher aufgeklärten Denkern begegnet. Er sucht sozusagen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner mit den Verächtern, er nimmt Religion in Schutz vor allem, was nicht zu ihr gehört. Deshalb nennt er seine erste und wohl wichtigste Rede die Apologie: „Als Mensch rede ich zu euch von den heiligen Mysterien der Menschheit nach meiner Ansicht, von dem was in mir war, als ich noch in jugendlicher Schwärmerei das Unbekannte suchte, von dem, was, seitdem ich denke und lebe, die innerste Triebfeder meines Daseins ist und was mir auf ewig das Höchste bleiben wird, aus welche Weise auch noch die Schwingungen der Zeit und der Menschheit mit bewegen mögen.“ Er spricht den nüchternen Aufklärer ebenso an wie den Schwärmer, der sich leeren Idealen verschreibt. Sich selbst sieht er als Priester und Mittler des Höchsten und hofft auf die Zeit, da „keiner bedürfen wird, dass man ihn lehre, weil alle von Gott gelehrt sind“. Dann wäre sein Amt verzichtbar.

Religion lebe nicht im Denken und Handeln, sondern in Anschauung und Gefühl des Universums. Insofern proklamiert er eine Art globale Frömmigkeit. Religion jedes Einzelnen sei nur ein Teil eines Ganzen. Jeder sei auf seine Weise religiös, erfasse immer nur eine ganz bestimmte Perspektive ein- und derselben Religion. Religion sei als „edle Anlage“ in jedem Menschen begründet.

Er findet keine Zustimmung in der Amtskirche

Dass Schleiermacher mit dieser Beschreibung - eine Definition kann man das alles nicht nennen - nicht gerade Zustimmung in der Amtskirche findet, versteht sich von selbst. Aber die jungen Intellektuellen strömen ihm zu: Studenten und Offiziere in allererster Linie. Es wird schick, die Gedanken dieses Religions-Virtuosen nachzudenken, sich mit ihm zu geistig zu messen - auf einer ganz anderen Ebene als derjenigen, auf der der aufgeklärte Geist bis dahin über Theologen gelächelt hat. Es gibt kein Tabu auf dieser Ebene. Schleiermacher will sogar zugeben, „dass eine Religion ohne Gott besser sein kann, als eine andre mit Gott“.

Der jugendliche Heißsporn - Schleiermacher ist gerade gut 30 Jahre alt, als er die „Reden“ schreibt - protestiert gegen die Verquickung von Kirche und Staat, fordert als Basis der Kirche nichts weiter als eine „fromme Häuslichkeit“. Kirche müsse auf alle Privilegien verzichten, müsse sozusagen Privatkirche werden.

Abstand zur Lehre der Ordensbrüder

Zwei Jahre nach den ersten „Reden“ erscheint Schleiermachers erste Predigtsammlung - mit einer völlig anderen Diktion. Was er in den „Reden“ das Universum nennt, das heisst in den Predigten ganz unbefangen Gott. Ansonsten spürt er den unendlichen Abstand zur Lehre seiner „Ordensbrüder“: „Ich bin mir bewußt, daß ich in allem, was ich Euch zu sagen habe, meinen Stand völlig verleugne.“

Für diesen Bruch mit der herkömmlichen Theologie ist Schleiermacher Zeit seines Lebens persönlich eingestanden. Seinen Ansatz hat er später in seinem dogmatischen Werk „Der christliche Glaube“ konkretisiert und modifiziert, aber nichts hat er zurückgenommen von dem, womit er die Gebildeten unter ihren Verächtern der Religion hat zurückgewinnen wollen.

Er beginnt früh sich von den Dogmen der Kirche zu distanzieren

Am 21. November 1768 in Breslau geboren, stirbt er am 12. Februar 1834 in Berlin. Der Sohn eines reformierten Feldpredigers besucht seit 1783 das Pägagogium der Herrnhuter Brüdergemeinde in Niesky und wechselt zwei Jahre später in das Seminar diese Unität in Barby. Doch er beginnt früh, sich von den dogmatisch-positiven Formen der Kirche zu distanzieren, bricht auch mit den Herrnhutern. Er studiert Evangelische Theologie an der Universität Halle, wird dort mit der Wolffschen Philosophie bekannt und beschäftigt sich mit Immanuel Kant. Drei Jahre schlägt er sich als Hauslehrer durch und bekommt seine erste Stelle als Hilfsprediger in Landsberg/Warthe. 1796 landet er als Prediger an der Charité in Berlin, gewinnt dort Kontakte zu den literarischen Salons und zu Friedrich Schlegel.

1802 – die „Reden“ haben einen innerkirchlichen Skandal verursacht – muss er diese Stellung verlassen und geht als Hofprediger nach Stolp. Hier hat er Muße, gemeinsam mit Schlegel die Platon-Übersetzung zu vollenden und die Einleitungen zu dessen „Dialogen“ zu verfassen.

Schleiermacher engagiert sich für die Gründung der Berliner Universität

Die Universität Halle ist stolz auf ihren früheren Studenten und beruft ihn 1804 zum außerordentlichen Professor der Theologie und der Philosophie. Zwei Jahre später ist er Ordinarius. Als die Universität kriegsbedingt nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt beschlossen wird, geht Schleiermacher nach Berlin zurück, ist seit 1809 immer wieder als bedeutender und einflussreicher Prediger in der Dreifaltigkeitskirche zu erleben. Er engagiert sich für die Gründung der Friedrich-Wilhelms-Universität und wird 1810 ihr ordentlicher Professor. Bis zu seinem Lebensende lehrt er dort Theologie.

Es ist paradox: Einerseits bekämpft Schleiermacher die verkrustete Kirche, andrerseits liebt er die Gemeinde und versucht, sie geistvoll zu formen. Mit dieser Intention hat er den Kulturprotestantismus begründet, der die lutherische Kirche bis heute prägt.

Martin Teske

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