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Geehrt. Karin Hausen 2017 bei der Verleihung der Louise-Schröder-Medaille des Landes Berlin.

©  Thomas Platow/Landesarchiv

Zum 80. Geburtstag von Karin Hausen: Pionierin der Frauen- und Geschlechterforschung

Karin Hausen wurde als eine der ersten Nachkriegshistorikerinnen auf eine ordentliche Professur berufen - und gilt als eine der Pionierinnen der Frauen- und Geschlechterforschung. Heute feiert sie ihren 80. Geburtstag.

Was weiß die Zigarre über Männer und Frauen? Eine ganze Menge, ist Karin Hausen überzeugt. Zwar ist die Historikerin, die am Sonntag ihren 80. Geburtstag feiert, selbst erklärte Nichtraucherin. Aber in den letzten Jahren hat sie sich intensiv mit Zigarren, Zigaretten und Tabak beschäftigt. Denn am Beispiel der Zigarre lässt sich zeigen, wie im 19. Jahrhundert die Handlungs- und Spielräume von Männern und Frauen neu definiert wurden. Männer rauchten Zigarren, Frauen nicht, und wenn eine Frau es doch tat, wie etwa die Französin George Sand, so wurde das als ein demonstratives Überschreiten der Geschlechterordnung von vielen – Männern wie Frauen – abgelehnt.

Hinzu kam: Da nur Männer Zigarren oder Pfeife rauchten, dies aber nicht in Gegenwart von Frauen ihrer Klasse tun sollten, zogen sie sich zum Rauchen auch innerhalb des Hauses in eigene Räume zurück. Die Wiener Schriftstellerin Caroline Pichler beklagte in der Mitte des 19. Jahrhunderts die zunehmende „Absonderung der Geschlechter“: Das Niveau der Unterhaltung habe durch diese Trennung bei beiden Gruppen stark nachgelassen. Karin Hausen, die bereits in ihrem wegweisenden Aufsatz von 1976 „Die Polarisierung der ,Geschlechtscharaktere‘ “ der Aufspaltung der Sphären nachgespürt hat, sieht im Tabakrauchen eine „kulturelle Zeichensprache und bedeutungsvolle Grenzmarkierung“.

Scheinbar abseitige Themen, die da das große Ganze erhellen

Scheinbar abseitige Themen wie dieses, die aber das große Ganze erhellen, haben die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin immer fasziniert. Hausen hat etwa über die „Sozialgeschichte der Nähmaschine“, über den Muttertag in der Zwischenkriegszeit oder über den technischen Fortschritt am Beispiel der „großen Wäsche“ geschrieben. Dabei bevorzugt sie die kleine Form, Aufsätze, die in Sammelbänden und Festschriften erschienen. 2012 hat sie Texte aus drei Jahrzehnten in dem Buch „Gesellschaftsgeschichte als Geschlechtergeschichte“ versammelt. Der rote Faden, der alle Studien durchzieht, ist das Bemühen, Geschlecht als unverzichtbare Kategorie für die historische Analyse durchzusetzen, die Geschlechterverhältnisse in ihrer Geschichtlichkeit zu begreifen, statt sie als angeblich natürlich gegeben hinzunehmen.

Damit diese Fragestellungen produktiv werden können, braucht es Menschen, die sie in die Institutionen der Wissenschaft hineintragen. Karin Hausen wurde 1978 als eine der ersten Nachkriegshistorikerinnen auf eine ordentliche Professur berufen und lehrte zunächst als Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Institut für Geschichtswissenschaft der TU Berlin. Wenn sie heute als Pionierin der Frauen- und Geschlechterforschung geehrt wird, bezieht sich das nicht nur auf ihre wissenschaftliche Tätigkeit, sondern auch auf ihren Beitrag zu deren Institutionalisierung. Als langjährige Vorsitzende der Förderkommission des „Förderprogramms Frauenforschung“ des Berliner Senats und als Herausgeberin von Fachzeitschriften setzte sie Akzente. Und 1995 gründete Hausen an der TU das „Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG)“, das sie bis zu ihrer Pensionierung 2003 leitete, nun auch dem Titel nach als Professorin für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung.

Widerstände in der Universität

Mit Dankbarkeit erinnert sie sich heute an die Unterstützung, die sie innerhalb der TU etwa durch den Historiker Reinhard Rürup erfuhr. Aber es gab auch Widerstände in der Universität und in der Zunft, die vom „allgemeinen Wahlrecht“ auch dann sprach, wenn es nur ums allgemeine Wahlrecht für Männer ging, und die es beim „Streik der Textilarbeiter“ für nicht erwähnenswert hielt, dass die Mehrzahl der Arbeitenden weiblich war. Noch heute, sagt Hausen, treffe sie auf die „eigentümliche Gewissheit, dass Intellektuelle stets Menschen männlichen Geschlechts sein müssen“.

Hier den Blick zu schärfen und zu öffnen, das ist Karin Hausens Anliegen seit jeher. Dabei hängt sie ihr Tun „nicht an die große Glocke“, wie sie bei der Verleihung der Louise-Schröder-Medaille des Landes Berlin im Juni 2017 sagte, sondern übt sich lieber im „Leisetreten“. Auf ihre leise Art hat sie dazu beigetragen, dass die historische Frauen- und Geschlechterforschung heute innerhalb der Geschichtswissenschaft ein etabliertes Feld ist und von Wissenschaftsorganisationen wie der DFG gefördert wird, und sie hat Nachwuchswissenschaftlerinnen inspiriert. Die Wissenschaftshistorikerin Helga Satzinger etwa, damals wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZIFG, erinnert sich an „höchst vergnügliche Kolloquien“ im ZIFG. Wenn sich eine Teilnehmerin in hochtheoretischen, schwer verständlichen und womöglich inhaltsleeren Ausführungen verlor, dann ließ sich Karin Hausen mit einem knappen „Das leuchtet mir nicht ein“ vernehmen.

Das Wort "Gender"? Hausen bevorzugt "Geschlecht"

Auch heute sieht sie manches kritisch. Gendersternchen, Unterstriche, das ist ihre Sache nicht. Überhaupt das Wort „Gender“: „Ich bevorzuge das deutsche Wort Geschlecht. Es ist so hinreißend vieldeutig, Menschengeschlecht, Adelsgeschlecht, Geschlechtskrankheiten ...“ Die neue Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre sei stärker an Geschichte interessiert gewesen als die heutige, die „Gier nach Geschichte“ habe nachgelassen. Alles in allem erinnert sie sich an die Zeit zwischen Mitte der 70er bis zu ihrer Pensionierung als an eine „beflügelnde Zeit der optimistischen Auf- und Umbrüche“.

Zurück zur Zigarre. Karin Hausen hat ihre Spuren bis in die Oper – „Carmen“ ist eine Tabakarbeiterin – und in die Literatur, zu Vicki Baums rauchenden Romanfiguren, verfolgt. Vielleicht, so hofft sie, gelingt es noch, auch ihre Aufsätze rund ums Rauchen in Buchform zu gießen – wenn ihr als aktiver Großmutter dazu genug Zeit bleibt. Raucherinnen und Nichtraucher aller Geschlechter würden sich freuen.

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