zum Hauptinhalt

Einig im Teilen: Bürger wollen höhere Ausgaben fürs Soziale

Je stärker Ungleichheit wahrgenommen wird, desto größer ist die Umverteilungsbereitschaft der Deutschen. In einer Studie fordern viele Befragte eine ordentliche Erhöhung der Sozialquote.

Die Deutschen wünschen sich deutlich mehr staatliche Umverteilung. Dies ist das überraschend klare Ergebnis einer Studie der Universität Bayreuth. „Nahezu einhellig“ hätten sich die Befragten für eine höhere Sozialquote ausgesprochen, sagte der Finanzwissenschaftler Christian Pfarr – und zwar „quer durch alle Bevölkerungs- und Einkommensgruppen“. Aus Sicht der Befragten sollte der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, der in die gesetzliche Sozialversicherung und in sozialen Transfer fließt, auf mindestens 41 Prozent steigen – was einer Erhöhung um gut elf Prozentpunkte entspräche.

Für eine solche Umverteilung wären die Befragten nach eigenen Angaben auch zu finanziellen Einbußen bereit. Sie würden auf rund 0,6 Prozentpunkte ihres Bruttoeinkommens verzichten, wenn im Gegenzug die Mittel für den Sozialtransfer um einen Prozentpunkt stiegen, berichtete Pfarr. Allerdings bliebe in diesem Fall eine Finanzierungslücke von 700 Millionen Euro. Und um die Sozialquote so stark wie gewünscht steigen zu lassen, wären gar mehrere Milliarden nötig, so der Wissenschaftler. Die Konsequenz wäre folglich entweder eine höhere Staatsverschuldung oder eine stärkere Belastung der Unternehmen.

Die Untersuchung kommt politisch zum passenden Zeitpunkt. Am kommenden Mittwoch will das Kabinett den umstrittenen Armuts- und Reichtumsbericht beschließen, der nach heftigem Streit zwischen Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Sozialministerin Ursula von der Leyen mehrfach verschoben und am Ende durch Weglassungen geschönt wurde. Die Privatvermögen seien in Deutschland sehr ungleich verteilt, hatte es ursprünglich in dem Text noch geheißen. Und dass die Regierung deshalb prüfe, wie „privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“. Beide Sätze wurden auf Druck der Liberalen aus dem Bericht gestrichen.

Der Berliner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, kritisierte genau das, was die Regierenden bloß nicht Schwarz auf Weiß haben wollten: die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland. Es dürfe nicht sein, dass mehr als die Hälfte des Privatvermögens im Besitz von nur zehn Prozent der Bevölkerung sei, sagte Wölki der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) – und dass man fragen müsse, ab wann Ungleichheit zu Ungerechtigkeit werde. Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt, warf der Regierung vor, das Ausmaß der Armut in Deutschland verschleiern zu wollen. So sei der Anteil der Armen in dem Bericht mit 15 Prozent angegeben, sagte Göring-Eckardt der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Diese Zahl sei geschönt. „Wenn ich alles zusammenzähle, ist bis zu einem Viertel der Bevölkerung von Armut betroffen.“

In der Bayreuther Studie, für die mehr als 1500 Personen von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) interviewt wurden, zeigten sich vier von fünf Befragten überzeugt, dass die Schere zwischen Arm und Reich in den vergangenen fünf Jahren weiter auseinandergegangen ist. Die Wahrnehmung steigender sozialer Ungleichheit, sagt Pfarr, trage „entscheidend dazu bei, dass die Menschen starke Sympathien für mehr sozialstaatliche Umverteilung entwickeln“.

Am geringsten ausgeprägt ist der Umverteilungswunsch dabei in der Mittelschicht. Sobald sich das eigene Gehalt dem Durchschnittseinkommen nähere, werde die Forderung schwächer, so Pfarr. Sie steige dann aber wieder bei denen, die sich wirtschaftlich sicher fühlten. Es sei „ein Irrtum, den Angehörigen hoher Einkommensklassen in Deutschland pauschal zu unterstellen, sie würden aus egoistischen Motiven eine hohe Sozialquote und einen leistungsstarken Sozialstaat ablehnen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false