zum Hauptinhalt
Aufgeräumt: Der Wäscheständer nach der Sortierung von Ursus Wehrli

© Kein & Aber Zürich

Zu Hause: Ordnung ist das halbe Leben

Er ist der Aufräumer unter den Künstlern: Ursus Wehrli sortiert Kandinsky nach Formen und Wäsche nach Farben. Ein Hausbesuch

Aufräumen nervt eigentlich immer. Wenn man es gründlich tut, alles in Schubladen und Schränken verstauen möchte, endet es meist damit, dass man spätestens beim Sortieren des CD-Regals hängen bleibt und zu gar nichts mehr kommt. Macht man eine, wie das bei Putzfirmen so schön heißt, „Sichtreinigung“, dann geht die zwar schnell und sieht super aus, aber für den Preis, dass alles in die Schränke und Schubladen gestopft ist. Und das Schlimmste am Aufräumen: Es bleibt nie aufgeräumt.

Da wundert es einen, dass das Aufräumen erst jetzt von der Kunst entdeckt wurde. Wo doch alles da ist, wovon die Kunst lebt: der Frust am Unvollendeten genauso wie die Möglichkeit der Perfektion. Dazu der Irrsinn, immer wieder nach dieser Perfektion zu suchen. Genau darum geht es auf den Bildern von Ursus Wehrli. Und das sieht dann so aus: Links ein Teller Buchstabensuppe, rechts derselbe Teller, nur dass sich die Buchstaben jetzt in Reihen von A, C, E oder H befinden, und untendran noch eine Reihe mit den Möhrenstückchen aus der Suppe. Oder der Schulhof: Links Kinder, die herumrennen, Bälle werfen, Himmel und Hölle spielen, rechts liegen sie dann alle, nach Farben geordnet, auf dem Boden. Gut ist auch die Wäscheleine (zu sehen auf den obigen Bildern): Links trocknet die Wäsche bunt durcheinander, rechts sind Hemden und Hosen schön nach Farben sortiert. Selten waren die Schönheit und Anmaßung jeder menschlichen Ordnung so komisch auf den Punkt gebracht.

„Die Kunst, aufzuräumen“ hat Wehrli seinen Fotoband genannt, der gerade im Verlag Kein & Aber erschienen ist. Wobei Kunst das Erste war, was er aufgeräumt hat. Da hat er Bilder berühmter Maler genommen, die durcheinandergewürfelten Formen von Kandinsky oder Matisse, die bunten Flächen von Keith Haring oder die zarten Striche von Miró. Die hat er auseinandergepuzzelt und sortiert: nach Größe und Farben, in Reihen und Häufchen. „Kunst aufräumen“ hieß das Buch aus dem Jahr 2002, das sich 500 000 Mal verkauft und Wehrli weltweit bekannt gemacht hat. Wegen seines Humors und der Chuzpe. Dass da einer der Komplexität moderner Kunstwerke dadurch begegnet, dass er sie ordnet wie eine Sockenschublade.

So einen Aufräumkünstler will man natürlich zu Hause besuchen. Aber nur unter einer Bedingung, sagt Wehrli. Dass er nichts aufräumen müsse. Er bekomme ohnehin schon die seltsamsten Angebote, Einladungen zu Putzfachtagungen etwa. Ursus Wehrli wohnt in einer der unordentlicheren Ecken von Zürich, im Kreis 5, dort, wo die Stadt laut und industriell ist. Wehrlis Haus wäre allein schon eine Geschichte wert, ein modernes Hochhaus, in dem alle Wohnungen für WGs angelegt wurden, manche haben bis zu 13 Zimmer. Im Erdgeschoss sind kleine Läden und Büros, dazwischen Fahrradkeller, dementsprechend wuselig geht es zu.

Ursus Wehrli, der mit Frau und Kind in einer Maisonettewohnung lebt, bittet in sein Arbeitszimmer. Das ist auf den ersten Blick bis unter die Decke vollgestopft: mit Büchern, CDs, Stiften, Papierstapeln, Kinderzeichnungen. Doch in sich ist alles penibel geordnet. Die vielen gelben Post-its über dem Schreibtisch sind in geraden Reihen aufgeklebt, die Plastikhüllen auf der Ablage nach Farben sortiert, die Schlüssel nach der Größe. Auf einem Haken hängen Krawatten übereinander, auf einem anderen die Bitte-nicht-stören-Schilder aus diversen Hotels. Für Ursus Wehrli sieht so der Idealzustand aus: „Chaotisch, aber geordnet.“ So wie in der Natur, in der jedes Durcheinander einen Sinn habe. Gut zu beobachten auf Wehrlis Bild, das ein aufgeräumtes Gänseblümchen zeigt. Die Ästhetik ist dahin, sobald die Blütenblätter in einer Reihe liegen. Das sei auch der Grundfehler der künstlich hergestellten Ordnung, sagt Wehrli. Dass sie gegen das Leben sei.

Wehrli, Jahrgang 1969, sitzt mit gekreuzten Beinen auf einem Sessel. Er trägt Jeans und T-Shirt, nicht den dunklen Anzug, in dem er als Teil des Komikerduos „Ursus & Nadeschkin“ auftritt. Was er hauptberuflich tut, zum Beispiel vom 1. bis zum 13. November im Berliner Tipi. Oder eben bei seinen Aufräumaktionen. Wenn er, ein Megafon in der Hand wie ein Regisseur auf einem Filmset, ein Freibad in Ordnung brachte, samt Schwimmern, Liegen und Handtüchern. Die 100 Freiwilligen hat er über eine Anzeige in der Zeitung gefunden.

Die Aufräumideen gehen Wehrli nach Ausflügen in Kunstbetrieb und Alltagsumgebungen nicht aus. Da wären, fein säuberlich in einer Excel-Tabelle aufgelistet: ein Tattoo, Wolken oder Stonehenge. Ein Ameisenhaufen, der allerdings eine reine Fotoshop-Arbeit wäre, und das will Wehrli nicht. Er macht alles von Hand, ob er Buchstabensuppe oder asiatische Schriftzeichen sortiert, ob er Hühner in den Stall räumt oder einen Tannenzweig in sämtliche Nadeln zerlegt. Er sei kein Ordnungsfanatiker, wehrt Wehrli ab. Aber er habe schon einen bestimmten Blick. Wenn er im Supermarkt an der Kasse steht, stellt er sich die Sachen in den Einkaufswagen sofort nach Größe oder Farbe sortiert vor.

Angefangen hat alles, als er bei einer Freundin zu Gast war. Da saß er vor ihrem Bücherregal und begann plötzlich, es zu sortieren, nach Farben. Für ein Motiv hat das nicht gereicht, aber für eine Erkenntnis: dass jede Ordnung ein Eingriff ist. Der zwanghafte Versuch, Dinge zu kontrollieren, die sich jeder Kontrolle entziehen. So nimmt Wehrli mit seinen Aufräumbildern auch diese ganze „Simplify your life“-Bewegung auf die Schippe, all die Ratgeber, die einem vorgaukeln, man hätte sein Leben im Griff, sobald man den Keller entrümpelt, den Schrank sortiert und eine To-do-Liste anfertigt.

Aber reden wir mal konkret über das Aufräumen.

CDs?

„Alphabetisch, und die Frauen extra.“

Etwas wegschmeißen oder behalten?

„Behalten. Nach zwei Jahren wegschmeißen.“

Socken zusammengefaltet oder als Knäuel?

„Knäuel.“

Kabel?

„Auf jeden Fall aufrollen.“

Was tun mit Erinnerungen?

Wehrli zieht ein Buch aus einem Regal. Von jedem Jahr besitzt er einen Kalender und darin Zettel, Tickets, Zeichnungen. Da kommt auch Wehrlis Vater ins Spiel, ein Forstingenieur, der, seit er in Pension ist, Dinge sortiert – alte Ordner, Fotos von Reisen und Touren. Den vier Kindern schickt er dann Listen von allen Orten, an denen sie jeweils Urlaub gemacht haben.

Das Aufräumen scheint bei den Wehrlis in der Familie zu liegen. Beziehungsweise am Land, in dem sie leben: der Schweiz. Da ist die Ordnung so etwas wie die vierte Macht im Staat. Das bekam Wehrli ausgerechnet zu spüren, als er wieder einmal aufräumte. Als er auf einem Parkplatz in Zürich Autos umstellte, oben die dunklen, unten die roten, und es prompt eine Lärmklage gab.

Wehrli muss los, zur Probe mit Bühnenpartnerin Nadja Sieger, mit der er eine Mischung aus Comedy und Clownerie macht, die die amerikanische Presse einmal als „German Marx Brothers“ bezeichnet hat. Wehrli begleitet einen hinaus, wo einem die seltsamsten Dinge durch den Kopf gehen. Warum sind die Fahrräder in der Einfahrt eigentlich so durcheinander? Oder die Punkte auf der Bluse der Frau, die einem entgegenkommt. Die könnte man doch auch in Reihen anordnen!

Nur eines ist plötzlich klar. Warum es für einen so anregenden Gesprächspartner, wie Ursus Wehrli einer ist, im Deutschen ein ganz bestimmtes Wort gibt: aufgeräumt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false