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Die erwarteten Krawalle bei der Räumung des linken Hausprojekts blieben weitgehend aus.

© Fabian Sommer/dpa

1500 Polizisten, 1500 Demonstranten, ein besetztes Haus: Die Räumung verlief friedlicher als erwartet

Das Hausprojekt in der Liebigstraße 34 ist geräumt. Unterstützer hatten zu größtmöglichem Chaos aufgerufen. Das blieb aus – doch Racheakte könnten folgen.

Bis in die Frankfurter Allee ist am frühen Freitagmorgen das Trommeln und der Techno hören. In der Rigaer Straße haben sich mehrere hundert Menschen versammelt, seit 3 Uhr morgens demonstrieren viele weitgehend friedlich gegen die Räumung des selbsterklärten „anarcha-queer-feministischen“ Hausprojektes „Liebig34“.

Einige tanzen auf der Straße, trommeln auf Mülltonnen, Holzstücke und Fahrradständer. Andere werfen Flaschen. Die zerplatzen wenige Meter weiter hinter Absperrgittern zwischen Polizisten. Sie stehen im Sperrgebiet, in der „roten Zone“ rund um den sogenannten „Dorfplatz“, die Kreuzung zwischen Liebig- und Rigaer Straße. Das Eckhaus im Friedrichshainer Nordkiez ist ein Symbol der linksradikalen Szene.

1500 Polizisten sind im Einsatz, um die Räumung des Hausprojektes, das seit Ende 2018 besetzt ist, abzusichern, am Dorfplatz und in der ganzen Stadt, auch Spezialeinheiten auf dem Dach der „Liebig34“. Auf der anderen Seiten zählt die Polizei 1500 Demonstranten. Immer wieder kommt es zu kleineren Rangeleien zwischen Autonomen und Polizei, Menschen brüllen „Haut ab!“ und „Unsere Liebig, unsere Stadt, Padovicz wird platt gemacht“.

Letzterer ist der umstrittenen Immobilieninvestor Gijora Padovicz an, dem das Haus seit 2008 gehört und der den Mietvertrag mit den Bewohnerinnen 2018 nicht verlängert hat. Die Polizei nimmt mehrere Menschen fest. Vereinzelt zünden Autonome Feuerwerk und Bengalos.

Polizei habe Proteste unmöglich gemacht, sagt Linken-Politiker

Linksradikale haben Barrikaden aus Bauzäunen und Fahrrädern rund um die Rigaer Straße errichtet, die die Polizei ohne großen Aufwand entfernt. Ein paar mal versuchen Autonome, mit Müllcontainern die Polizeiketten zu durchbrechen. Nachbarn aus den umliegenden Häusern stehen auf ihren Balkonen, trinken Kaffee oder Bier und beobachten das Spektakel. Jemand lässt aus einer Wohnung im obersten Stockwerk Seifenblasen über die Demonstration schweben.

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Insgesamt bleibt es verhältnismäßig ruhig. Der Linken-Innenexperte Niklas Schrader wird später sagen, dass die Polizei „Proteste verunmöglicht“ habe. „Man hat schon den Eindruck, dass der Einsatz drei Nummern zu groß ist“, sagte Schrader. Die Polizei erklärte auf Twitter, dass die Beamten in angrenzenden Straßen „teils massiv“ von Personengruppen angegriffen worden seien und ihre „Maßnahmen auch mit körperlicher Gewalt durchsetzen“ musste.

Um 7 Uhr steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Bewohnerinnen-Anwalt Moritz Heusinger kritisierte, dass dieser ihn nicht wie besprochen angehört habe, um die Lage zu deeskalieren. Heusinger sprach von „kriegsähnlichen Zuständen“, auch die Polizei habe keinerlei Interesse an einer Deeskalation der Lage.

Fenster und Türen waren verbarrikadiert

Die Polizei verschafft sich mit Motorsägen, Trennschleifern und Brechstangen Zugang über die Tür und über ein Fenster – nach einer Stunde ist sie im Haus. Die Polizei sei, im Vergleich zu anderen Räumungen, ziemlich schnell in das Gebäude gekommen, sagt Polizeisprecher Tilo Cablitz.

Fenster und Türen des Hauses seien verbarrikadiert worden, im Treppenhaus hätten Betonelemente den Weg versperrt. Ein Treppenhaus ist mit einer schweren, herunterklappbaren Metallplatte verschlossen, die Beamte aufbrechen. Wohnungstüren und Durchgänge sind zum Teil zugebaut, Fenster von innen vernagelt, die Polizei räumt dicke Bohlen und Bretter. Fallen habe die Polizei aber nicht gefunden.

Gegen 11.20 Uhr verlässt die letzte Bewohnerin das Haus. Insgesamt trifft die Polizei 57 Personen im Haus an, von denen nur zwei Widerstand leisteten. Die Polizei stellt die Personalien fest und entlässt sie, der L34-Anwalt kritisiert, dass die Bewohner nun obdachlos seien, und er hoffe, dass sie einen Unterschlupf in anderen Hausprojekten fänden. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Demonstration in der Rigaer Straße bereits weitgehend aufgelöst.

Gewaltausbrüche bei Demo in Berlin-Mitte

Am Abend startete eine weitere Demonstration am Monbijoupark, die durch Berlin-Mitte zog. Dabei kam es zu Gewaltausbrüchen. Randalierer warfen immer wieder Feuerwerkskörper, Flaschen und Steine gezielt auf Einsatzkräfte, wie die Polizei auf Twitter schrieb. In der Nähe des Hackeschen Marktes wurden Steine in mehrere Schaufenster geworfen. Mehrere Autos wurden angezündet.

Die Teilnehmer zogen Abend mit Sprechchören bei Regen durch Mitte, die Stimmung war aggressiv. Der Demonstrationszug wurde immer wieder gestoppt. Es kam zu Rangeleien zwischen Polizisten und Demonstranten. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Gegen 0.30 Uhr endete die Demonstration an der Eberswalder Straße.

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Im Vorfeld hatten Bewohnerinnen und Unterstützer zu „dezentralen Aktionen“ in der Stadt aufgerufen. Bereits in der Nacht brannten Barrikaden unter anderem am Boxhagener Platz, Autos wurden beschädigt. Gegen 4 Uhr morgens brannte es am S-Bahnhof Tiergarten auf dem Bahnsteig und in einem Aufsichtsgebäude.

„Welcome to Hell 34“

Im Bereich des Brandes fanden die Beamten „Liebig34“-Schriftzüge. Der S-Bahnverkehr war bis etwa 7 Uhr unterbrochen. Auch das Büro des CDU-Bundestagsabgeordneten Jan-Marco Luczak in Schöneberg wurde mit Farbe beschmiert.

Nach der Polizei rücken die Bautrupps des Eigentümers mit einem Müllcontainer an. Das Haus ist chaotisch und teils verwüstet. Im Innenhof stapelt sich Müll und Gerümpel. Einige Zimmer sind mit kaputten Matratzen und Schutt gefüllt, offenbar um ein Eindringen der Polizei von außen durch Fenster zu erschweren.

Wände sind durchbrochen. In manchen Küchen stehen noch Essensvorräte und Bier. „Welcome to Hell 34“ steht auf einem großen Brett. Und an der Wand: „Hoch leben die rechthabenden und allwissenden Revolutionärinnen“.

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