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© Photonet

Alexanderplatz: Ein Platz – immer im Werden, nie vollendet

Am Alex wollte die SED sich als ''sozialistische Metropole'' präsentieren. Roland Korn und Günter Kunert gaben dem Platz das neue Gesicht. 1989 wurde hier das Ende der DDR eingeläutet.

Der Reise nach Bagdad schien nichts mehr im Wege zu stehen. Die Familie hatte sich gegen tropische Krankheiten impfen lassen, auch eine Wohnung hatte Roland Korn in der irakischen Hauptstadt schon gefunden, damals, im Winter 1964. Der junge Mann freute sich auf die Aufgabe, im Irak ein Wohnungsbauprogramm nach ostdeutschem Vorbild aufzulegen. „Stellen Sie sich vor: Ich sollte Chefarchitekt von Bagdad werden!“, sagt Roland Korn und lacht. Der 77-Jährige mit dem vollen grauen Schopf lehnt sich kopfschüttelnd in seinen Gartenstuhl zurück, als könne er selbst nicht glauben, welche Wendungen sein Leben genommen hat.

An ihrem Anfang steht ein aufstrebender und vom Sozialismus überzeugter Architekt. Früh gewinnt er wichtige Wettbewerbe. Die SED-Führung hält viel von ihm. Trotz seines jungen Alters vertraut sie ihm die Prestigeprojekte der „Hauptstadt der DDR“ an. Am Ende steht die ambivalente, zwischen Zufriedenheit und Verbitterung pendelnde Bilanz eines Mannes, der die Ost-Berliner Architektur wie wenige andere prägte.

Aus den Bagdad-Träumen wurde dann doch nichts. Während Roland Korn die letzten Vorbereitungen für die große Reise erledigte, traf der Ost-Berliner Magistrat eine folgenschwere Entscheidung. Er kürte einen Entwurf von Korn und sechs Kollegen vom volkseigenen Entwurfsbüro VEB Berlin Projekt zum Sieger eines Wettbewerbes. Der immer noch von Kriegsruinen gesäumte Alexanderplatz im Herzen der östlichen Halbstadt sollte zu neuem Leben erweckt werden – als erster Platz im Staate, der weit über Berlin hinaus zeigen sollte, dass es mit der DDR bergauf ging.

„Hier ist unser Entwurf“, sagt Roland Korn und kramt aus einem Stapel vergilbter Unterlagen eine alte Ausgabe der Zeitschrift Deutsche Architektur hervor. Auf einem Modellbild erkennt man den Alexanderplatz in seiner heutigen Form, samt Kaufhaus, Hotel und einer Handvoll größerer Bauten am Rande, wenn auch noch in anderer Anordnung. Die einzigen historischen Bauten auf den Bildern sind die parallel zu den Eisenbahngleisen stehenden Bauten von Peter Behrens, das Alexanderhaus und das Berolinahaus, die den Krieg halbwegs unbeschadet überstanden hatten und von der DDR unter Denkmalschutz gestellt wurden. Mit einem anderen Bau, den heute viele Menschen mit dem Alexanderplatz verbinden, hatte Korn nichts zu tun: der Fernsehturm. Der wurde zeitgleich zur Neugestaltung des Alexanderplatzes gebaut und am 3. Oktober 1969 in Betrieb genommen. Die Planungen Korns und seiner Kollegen für den Alex beeinflusste er jedoch nicht, sagt der Architekt. „Unsere besondere Idee war die Dominante des 128 Meter hohen Hotels“, erklärt Korn. Mit dem Bau der Superlative – das Hotel sollte mit seinen 37 Stockwerken das höchste bewohnbare Gebäude der DDR werden – wollten die Architekten das bis dahin größte städtebauliche Projekt Ost-Berlins angemessen fortsetzen: die Stalinallee. Der politischen Führung, die die Grundlinien für den neuen Alexanderplatz vorgegeben hatte, gefiel der Entwurf des Kollektivs so gut, dass der damalige Berliner SED-Chef Paul Verner beschloss: „Der Korn bleibt hier.“ Die Reaktion des Architekten: „Ich war enttäuscht, aber wenn der SED-Chef das sagt, ist es unumstößlich.“

Von da an steckte Roland Korn all seine Kraft in den Alexanderplatz. „Das war eine rasante Planung, zum 20. Jahrestag der DDR im Oktober 1969 sollte alles fertig sein.“ Korn wurde die Gesamtleitung des Projektes übertragen. Hinzu kam die Verantwortung für das Hotel „Stadt Berlin“ – das heutige „Park Inn“ – und das von ihm mit entworfene 17-geschossige Haus des Reisens an der Nordostecke des Platzes. Für den damals gerade 36-Jährigen eine „Lebensaufgabe“. Die gab ihm nicht nur einmalige Gestaltungsmöglichkeiten, sondern erforderte auch politisches Fingerspitzengefühl. Die Stadtverordneten Ost-Berlins hatten den Wiederaufbau zum „politischen Schwerpunkt Nummer eins“ erklärt, Tausende Arbeiter aus allen Teilen des Landes wurden in den folgenden Jahren zusammengezogen. Der Neubau des östlichen Stadtzentrums als „sozialistische Metropole“ sollte zum „Symbol der Kraft der Arbeiter- und BauernMacht“ werden, wie die SED-Zeitung „Neues Deutschland“ schrieb.

„Die starke Hand von Partei und Regierung war sehr hinterher, dass alles funktionierte“, erinnert sich der einstige Chefarchitekt heute. Dabei schmunzelt er, denn die ständigen Kontrollen und Vorgaben der Parteiführung erlebte der überzeugte Sozialist weniger als Ärgernis, eher als Ansporn. „Es gab keine Grenzen bis auf die eine: Was die Partei will, ist richtig, das musst du umsetzen.“ In diesem Spannungsfeld kannte der als Student in die SED eingetretene Architekt sich aus. Wie man politische Anforderungen und Architektur in Einklang bringt, hatte Korn bereits bei seinem vorigen Projekt gezeigt, dem Staatsratsgebäude am Schlossplatz, das bis 1964 nach seinen Entwürfen gebaut worden war.

Die staatliche Einflussnahme beim Projekt Alexanderplatz überstieg jedoch alles Bekannte. Einmal pro Woche mussten die leitenden Planer, Ingenieure und Architekten der Staats- und Parteiführung und vor allem dem Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung, Paul Verner, präsentieren, was auf der Vorzeigebaustelle geplant war. Immer sonnabends früh um neun. „Das ging bis hin zu den Türdrückern und dem Mobiliar, die abgenickt wurden“, erzählt Korn. Wurde mal nicht genickt, mussten sie nachbessern. Beim Hotel zum Beispiel. „Seelenlos“ lautete nach einer Präsentation die Kritik von oben, erinnert sich Korn. Nach einigen schlaflosen Nächten hatte der Chefarchitekt dann die rettende Idee: Die von der politischen Führung gerügte Fassade sollte farblich abgestufte Scheiben bekommen – wie ein Spiegel der Himmelsfarben. Die SED-Oberen waren begeistert. Die Umsetzung überforderte jedoch die DDR-Staatswirtschaft. Korn besuchte das einzige geeignete Gussglaswerk in Bitterfeld, um zu erfahren: Technisch machbar, aber wir haben keine Farben. Als Berlins SED-Chef dies erfuhr, wollte er erst nicht glauben, dass die DDR-Industrie diese Farben nicht herstellen könne, erzählt Korn. Drei Tage später kam die Nachricht: Die Bitterfelder dürfen Pigmente aus dem Westen kaufen.

Einer, der bei den wöchentlichen Sitzungen mit der Berliner SED-Führung ebenfalls stets dabei war, ist Günter Kunert. Der Architekt hat zusammen mit Josef Kaiser das Centrum Warenhaus entworfen und war für dessen Bau zwischen 1967 und 1970 verantwortlich. SED-Bezirkschef Verner „fühlte sich als verhinderter Architekt und wollte bis ins letzte Detail mitreden“, erzählt Kunert milde lächelnd. Der schlanke 79-Jährige sitzt im Restaurant im sechsten Stock des renovierten und umgebauten Kaufhauses, das heute „Galeria Kaufhof“ heißt. Hier kommt er öfter her. Er lässt den Blick über den Alexanderplatz schweifen und erinnert sich belustigt an eine Sitzung mit der Parteispitze. „Schwarz ist keine Farbe für uns, das ist die Farbe Adenauers“, habe der SED-Bezirkschef verfügt. Also mussten Kunert und seine Leute umplanen, wie so oft. Eines der sichtbaren Ergebnisse der Einflussnahme war, dass die Außenwand des Kaufhauses mit der markanten Wabenfassade nicht grüntürkis werden durfte, wie Kunert sich das gedacht hatte. Da die Hotelfassade bereits blau werden sollte, legte Verner sein Veto ein. „Also mussten wir mit Rot vorliebnehmen.“ Hatte ein Architekt allerdings mal den SED-Sekretär auf seiner Seite, dann eröffnete das ungeahnte Möglichkeiten. So wollte Kunert für den Fußboden des Kaufhauses, über den später im Durchschnitt 60 000 bis 80 000 Kunden täglich laufen sollten, einen strapazierfähigen Belag haben. Einer, der ihm besonders geeignet schien, war in Frankreich entwickelt worden. Nach langem Hin und Her gab Verner seine Zustimmung. Der Teppich für das mit 15 000 Quadratmetern größte Kaufhaus der DDR wurde mit kostbaren Devisen eingekauft. Ähnlich pragmatische Lösungen mit Hilfe des kapitalistischen Auslands fand man auch für die Fahrstühle des Hotels oder den Fensterputzlift, der aus Skandinavien importiert wurde. Und die Türgriffe im Haus der Elektroindustrie – dem heutigen Sitz der Bundesministerien für Umwelt und Familie am Nordende des Platzes – kamen aus Düsseldorf. Trotzdem erreichten die Bauherren vom Alex das ehrgeizige Ziel nicht: Ende 1969 sind viele Arbeiten noch in vollem Gange, erst 1973 können sie das Großprojekt offiziell beenden.

Für Chefarchitekt Korn repräsentierte der Alexanderplatz die Ziele der DDR, denen er sich schon als junger Mann verschrieben hatte. Geboren 1930, erlebte er die letzten Kriegstage als Mitglied eines Panzervernichtungstrupps der Hitlerjugend. Danach schwor er sich, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. In der SED sah er nicht die Handlanger der Sowjetunion, die eine Diktatur etablierten, sondern die Partei, die nicht nur gegen Krieg und Nationalsozialismus, sondern auch für volle Chancengleichheit war – und die ihm als Sohn eines Thüringer Klempners den Aufstieg vom Maurer und Bauzeichner zum bedeutenden Architekten ermöglichte. Den Neuanfang und das Selbstverständnis der DDR als besserer deutscher Staat wollte Korn mit seinen Plänen für die neue Stadtmitte auch architektonisch ausdrücken. In einem Text für das Neue Deutschland fasste er das so zusammen: „Alle Vorzüge des Sozialismus widerspiegeln sich in der großzügigen architektonischen Gestaltung dieses Platzensembles.“

Was die SED in ihrer Losung „Der Mensch im Mittelpunkt“ ausdrückte, wollten Korn und seine Kollegen mit Stahl, Beton und Glas umsetzen. „Die Architektur sollte sich nach den Menschen richten, nicht umgekehrt“, sagt er. Der Alexanderplatz sollte ein Ort werden, auf dem die Menschen flanierten oder für Massenveranstaltungen zusammenkamen, wie im Sommer 1973 für die 10. Weltfestspiele der Jugend. „Wir wollten einen lebendigen, abwechslungsreichen, farbenkräftigen Platz“, sagt Korn und nennt als Beispiele die bis heute als Treffpunkt beliebte Weltzeituhr nach Plänen des Gestalters Erich John und den vom Künstler Walter Womacka entworfenen bunten Brunnen der Völkerfreundschaft – von der SED-Führung sowie den Architekten und Künstlern gemeinsam konzipierte Gestaltungselemente, die dem großen Platz eine Struktur geben und ihn attraktiv machen sollten. Die größte Freude machte Korn, zu sehen, wie der Alex nach und nach zur Bühne für das öffentliche Leben wurde. „Ich erinnere mich genau an den ersten Weihnachtsmarkt auf dem Alex im Winter 1969/70“, sagt Korn. „Da stand das Riesenrad vorm Hotel und leuchtete weit in die Stalinallee rein – das war bewegend.“

Auch nicht der SED angehörige Architekten wie Günter Kunert nahmen die Maxime „Der Mensch im Mittelpunkt“ ernst: „Ich baute ja nicht für die Parteioberen, auch wenn die uns regelmäßig reglementierten“, sagt Kunert. „Ich baute für die Berliner.“ Der Kaufhaus-Architekt war nie in der Partei und stand ihr nach eigenem Bekunden immer distanziert gegenüber. Die für Kunert wichtigste Erinnerung an den Platz vor seinem Kaufhaus ist deswegen eng mit dem Ende der SED-Herrschaft verbunden. „Die Demonstration am 4. November 1989 war für mich die herausragende Veranstaltung hier“, sagt Kunert. „Dieses Gefühl, dass sich bald etwas ändern wird, dass endlich Ehrlichkeit einkehrt, das gab mir große Hoffnung.“

Auch wenn nicht alle Hoffnungen erfüllt wurden, wie er sagt, wirkt Günter Kunert ganz zufrieden damit, wie sich nach der Wende der Alexanderplatz entwickelt hat. Eines kann er jedoch nicht akzeptieren: dass im Zuge der Sanierung des Kaufhauses die prägnante Wabenfassade verschwunden ist. „Diese Fassade gehört zur Baugeschichte Berlins und war ein herausragendes Merkmal des Alexanderplatzes – sie zu beseitigen ist ein Akt von Geschichtsvergessenheit“, schimpft der Architekt. Die neue Natursteinfassade ist für ihn schlicht eine „Allerweltsfassade“. Das neue Innenleben des Hauses gefällt Kunert hingegen sehr. „Schauen Sie, das ist doch großartig“, schwärmt er, als er an der Rolltreppe im Obergeschoss des Kaufhauses steht und dem Besucher die neue, von Josef Paul Kleihues entworfene Glaskuppel zeigt, durch die das Sonnenlicht fällt. Auch wenn das radikal umgebaute Kaufhaus mit Kunerts und Kaisers Bau äußerlich kaum noch Gemeinsamkeiten hat, erkennt der Architekt an der Struktur überall seine Handschrift. „Wir hatten das Haus so gebaut, dass es jederzeit flexibel an neue Bedürfnisse angepasst werden kann“, sagt Kunert stolz. „Es war damals ein Ausnahmekaufhaus, und heute ist es das auch noch.“

Roland Korn hingegen wirkt nicht sehr glücklich über den Gang der Dinge. Den Mauerfall und die Wende 1989/90 bewertet er als „die schlimmste Zeit meines Berufslebens“. Nach seinen Arbeiten auf dem Alexanderplatz, für die ihn die DDR mit ihrer höchsten Auszeichnung ehrte, dem Nationalpreis, hatte Korn noch etliche andere für die DDR-Architektur wichtige Projekte betreut, darunter ab 1973 die Neubaugebiete Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen. Seit diesem Jahr war er auch Chefarchitekt für ganz Ost-Berlin. Damit war nach der Wende Schluss. Dennoch gelang ihm der Übergang in die Marktwirtschaft besser als manchem Kollegen. Nachdem ihm die nun auch für Ost-Berlin zuständige Senatsverwaltung einen Job als Archivar angeboten habe, nahm er sich den Kommentar eines Bekannten zu Herzen: „Reg dich nicht auf, die Schlacht ist verloren, mach was Neues.“ Er kehrte dem Staatsdienst den Rücken. Fast zehn Jahre lang entwarf Roland Korn dann als selbstständiger Architekt Hotels, Bürogebäude oder Einfamilienhäuser. Seit Ende der 90er Jahre ist der einstige erste Mann der Ost-Berliner Architektur Rentner.

Zum Alexanderplatz hat Korn bis heute eine besondere Beziehung. Bei seinen sporadischen Berlin-Besuchen geht er über den Platz, macht Fotos von den Gebäuden, um sie daheim zu malen und mit den Zeichnungen und Gemälden von früher zu vergleichen. Die Bilder von Ost-Berliner Bauwerken füllen im Wohnzimmer seines Brandenburger Häuschens die Wände. Etliche der von Korn gemalten Berliner Gebäude sind längst verschwunden. Viele davon galten als herausragende Werke der sozialistischen Moderne und wurden nicht nur von Architekturliebhabern mit Ost-Biographie geschätzt, wie das „Ahornblatt“ an der Leipziger Straße, das ehemalige Außenministerium am Spreekanal gegenüber dem Palast der Republik oder das Hotel Unter den Linden. „Eine Schande“, sagt der Architekt. Auch am Alexanderplatz gefallen ihm die meisten Neuerungen nicht, wenngleich Korn erleichtert ist, dass nach der Wende kursierende Abrisspläne für seine Bauten am Alex vorerst nicht umgesetzt wurden. Trotzdem: Sein Hotel, das eine neue Spiegelglasfassade bekommen hat, ist für ihn ein „Allerweltsglaskasten“ geworden. Den Flachbau unterhalb des Hauses, in den ein Elektromarkt einzog und dessen Front neu verglast wurde, findet Korn „scheußlich“. Und dennoch zieht es ihn immer wieder zu dem Platz hin. Wie er sich heute bei seinen Besuchen an dem für ihn so zentralen Ort fühlt? „Gemischt“, sagt er und schaut wehmütig auf die Bilder an der Wohnzimmerwand. „Ich vermisse viele Dinge, aber mir ist völlig klar, dass man nicht ignorieren kann, dass die Weltgeschichte voranschreitet.“

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