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Laut StVO darf auf Gehwegen nicht geparkt werden, aber bei Zweirädern wird es in Berlin oft geduldet.

© Stefan Jacobs

Exklusiv

Bis auf wenige Ausnahmen: Berlin will parkende Motorräder auf Gehwegen nicht länger dulden

Das Abstellen von Rollern und Motorrädern auf Gehwegen ist verboten. Doch nur 22 wurden in diesem Jahr abgeschleppt. Das will der Senat nun ändern.

Knapp 107.000 Motorräder, Mopeds und klassische Roller sind in Berlin zugelassen. Ein Großteil davon parkt auf Gehwegen. Doch das soll sich nach dem Willen der Verkehrsverwaltung ändern: Man habe „kürzlich die für die Verkehrsüberwachung zuständige Polizeipräsidentin gebeten“, die bisherige Praxis strenger zu handhaben, „indem künftig eine Duldung des (per se rechtswidrigen) Gehwegparkens durch motorisierte Krafträder nur noch dann in Betracht zu ziehen wäre, wenn jegliche Behinderung Anderer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.“ Dabei seien auch Begegnungen von Kinderwagen und Rollstühlen zu bedenken.

Der Vorstoß der Verwaltung resultiert aus einem Beschluss des Abgeordnetenhauses vom April, der konsequentes Vorgehen gegen Falschparken auch auf Gehwegen forderte. Die Rechtslage ist ohnehin klar: „Zum Parken ist der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist“, heißt es in der StVO. „Sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren.“

Aufgeweicht wird diese Vorschrift durch die im Ordnungswidrigkeitengesetz enthaltene Vorgabe, dass die Behörden Regelverstöße „nach pflichtgemäßem Ermessen“ zu verfolgen haben. Fürs konkrete Thema heißt das laut Polizei, dass das Parken von Krafträdern geduldet werden kann, wenn „jegliche Behinderung des Fußverkehrs auf dem Gehweg ausgeschlossen ist“.

Die Verkehrsverwaltung präzisiert, dass die Bewegungsflächen der Fußgänger frei bleiben müssen, keine anderen geeigneten Abstellmöglichkeiten in der Nähe vorhanden sein dürfen und die Zweiräder am Gehwegrand stehen. „Nur wenn diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, kann auf eine Anzeige verzichtet werden.“

Blindenverband: „Alles, was auf Gehwegen steht, ist problematisch“

Die Behinderung oder Gefährdung von Fußgängern ist nach Auskunft des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV) praktisch nie auszuschließen. „Alles, was auf Gehwegen steht, ist problematisch“, sagt Sprecherin Paloma Rändel. „Bei massiven Gegenständen tut es richtig weh.“ Das gelte für Motorräder und Scooter wie auch für Fahrräder. „Und die E-Mietroller sind eine Pest, weil die nicht nur herumstehen, sondern auch kreuz und quer liegen.“

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Laut ABSV leben in Berlin etwa 6000 blinde und 20.000 sehbehinderte Menschen. Die seien zwingend auf freie Bahn angewiesen. Das gelte erst recht für die geriffelten Leitstreifen an Haltestellen und Kreuzungen. Als prominentes Negativbeispiel nennt Rändel den permanent zugeparkten Leitstreifen zwischen dem Hauptbahnhof am Europaplatz und der BVG-Haltestelle an der Invalidenstraße.

Vor dem Hauptbahnhof ist der blockierte Blindenleitstreifen der Normalzustand.
Vor dem Hauptbahnhof ist der blockierte Blindenleitstreifen der Normalzustand.

© ABSV

Wie weitgehend der Verstoß toleriert wird, zeigen Zahlen der Polizei: 1124 Anzeigen wegen auf dem Gehweg geparkter Krafträder habe die Bußgeldstelle im vergangenen Jahr bearbeitet; 92 seien kostenpflichtig umgesetzt worden. In diesem Jahr waren es bis Ende November 384 Knöllchen und 22 Abschlepper-Einsätze. Roland Stimpel vom Fachverband FUSS e.V. sieht in diesen Zahlen einen weiteren Beleg für seine These, „dass Fahrbahnen heilig und Gehwege die Resterampe sind“.

Fußgänger-Lobbyist kritisiert Abstellen von Mietrollern auf Gehwegen

Als ärgerliche Berliner Spezialität bezeichnet Stimpel die bei Bikern besonders beliebten Gehwegvorstreckungen, die Fußgängern die Fahrbahnquerung erleichtern sollen und mit ihren Pollern offenbar besonders zum Zweiradparken einladen. Ein Dorn im Auge sind ihm außerdem die Mietroller, zu denen etwa der Anbieter Emmy seiner Kundschaft als beste Option das Parken „ganz am Rand des Gehwegs“ empfiehlt – wenn auch mit dem Hinweis verbunden, man möge niemanden behindern. Konkurrent Tier schreibt seinen Kunden dagegen: „Blockiere keine öffentlichen Gehwege.“

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Angesichts der weitgehenden Duldung verfolgt Stimpel interessiert die bundesweite Debatte darüber, ob Städte pauschal beschließen können, bestimmte Verstöße gar nicht zu verfolgen. Der juristische Streit darum war entstanden, nachdem Kommunen in NRW das verbotswidrige Gehwegparken auch von Autos de facto legalisiert hatten – mit Verweis auf chronischen Parkplatzmangel.

Psychologischer Effekt: Sehbehinderte fühlen sich insgesamt unsicherer

Paloma Rändel vom Blindenverband hat neben der akuten körperlichen Gefahr für Sehbehinderte auch einen psychologischen Effekt blockierter Gehwege beobachtet: Wer auf vermeintlich sicherem Terrain mit einem Hindernis kollidiere, werde insgesamt unsicherer – und ziehe sich womöglich zurück aus Angst vor Orientierungsproblemen.

Wenn das passiert, hätten einmal mehr die Stärkeren gewonnen statt derer, die im Recht sind. Doch auch auf Biker kommen Probleme zu: Zwischen parkenden Autos auf der Fahrbahn werden ihre Maschinen leichter gerammt und beschädigt als auf dem bisher so komfortablen Gehweg.

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