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Klarer Blick aufs Business: Elisabeth Herrmann

© Dominik Butzmann

Berliner Bestseller-Autorin über ihre Krimis: „Ich habe auf den letzten 30 Seiten den Mörder geändert“

Wie schreibt man eigentlich Krimis? Die Berliner Bestseller-Autorin Elisabeth Herrmann über Jugendliteratur, True Crime, den Umgang mit Opfern – und Autoren zweiter Klasse.

Frau Herrmann, sind Kriminalautoren so eine Art Autoren zweiter...
Moment, ich muss erst noch diesen schönen Mann an den Tisch holen! (Holt eine silberne Figur, die an den Oscar erinnert). Den Glauser!

Das ist der Preis, den Sie vor einigen Tagen für den Roman „Ravna“ erhalten haben?
Vom Syndikat, dem Verein für deutschsprachige Kriminalliteratur, ja. Als besten Jugend-Kriminalroman des Jahres. Hat mich sehr gefreut!

Das wird ja immer schlimmer – ein Jugendkrimi! Ist man nicht schon ein Schriftsteller zweiter Klasse, wenn man nur über Verbrechen unter Volljährigen schreibt?
Ich bin ja jemand, der sein Herz auf der Zunge trägt, aber da muss ich oft schlucken. Man sitzt unter sehr kultivierten Leuten und wird gefragt, was man macht. Ja, ich bin Schriftstellerin, oh, dann leuchten die Augen, was schreiben Sie denn, ich sage, Kriminalromane, und dann: Ach, sowas lese ich nicht. Als fände da allein durch die Sprache eine Kontamination statt.

Wie bei Pornos, die angeblich auch keiner sieht?
Ja, so in der Art. Ein großer Unterschied ist auch: Die „ernsthafte“ Literatur in Deutschland wird alimentiert, sie bekommt Preise, Stipendien, Arbeitsaufenthalte in zum Teil enormer Höhe. Wir Kriminalautoren müssen uns am Markt behaupten, und deshalb bin ich so froh über den Glauser, der eine unglaublich tolle Anerkennung ist.

Aber ich werde nie einen Literaturpreis außerhalb meines Genres erhalten. Mit Krimis wird man nicht wahrgenommen vom Feuilleton, das hörte schlagartig auf, als ich erfolgreich wurde. Aber was schwerer wiegt: Ich habe Freunde durch den Erfolg verloren, man bricht da irgendwie aus einer Gemeinschaft der Erfolglosen aus und zerstört vielleicht die Vorstellung, die Welt habe ihre Qualität nur einfach nicht erkannt.

Aber jeder Autor hat ja die freie Entscheidung. Wie hat das bei Ihnen angefangen? Ihr erster Roman „Das Kindermädchen“, später mit Jan-Josef Liefers in der Rolle des Joachim Vernau verfilmt, war ja gleich eine Art Durchbruch.
Alles Zufall. Es war ein Leserbrief im Tagesspiegel zum Thema der Entschädigung von Zwangsarbeitern, der mich 1999 auf das Schicksal der jungen Frauen und Mädchen aufmerksam machte, die in der Nazizeit in Deutschland als Kindermädchen schuften mussten. Und es gab darüber nichts zu lesen!

Sie waren Journalistin, haben beim RBB als Reporterin gearbeitet und hätten das Thema doch einfach aufgreifen können?
Immer, wenn von Zwangsarbeitern die Rede war, haben alle abgewinkt, Verlage, Redaktionen. Wir Deutschen haben einen seltsamen Umgang mit Opfern. Die einen erdrücken wir fast mit Zuneigung, die anderen lassen wir am ausgestreckten Arm verhungern. Ich habe damals sehr gern Krimis gelesen und beschlossen, es einfach mal damit zu versuchen.

Das Schreiben ist mühselig, das ist manchmal verzweifelt, das sind dunkle Höhlen, in die man kriecht, am Rande des Burnouts.

Elisabeth Herrmann, Autorin

Da wurde Joachim Vernau geboren?
Ich wollte keinen Ermittlerkrimi schreiben, sondern einen Flaneur und Hallodri schaffen, einen Antihelden, der lange an seinem Traum festhält, in eine feine Familie einzuheiraten und dann feststellt, dass er das nicht kann, wenn der Preis das Verschweigen eines Unrechts ist. Das sollte im Ton witzig sein, aber auch mit dem Tiefgang, der dem Thema angemessen ist. Fünf Jahre lang habe ich geschrieben, immer neben der Arbeit.

Darauf hatte die Literaturszene aber auch nicht gewartet?
Agenturen wollten mich nicht, und die Verlage schickten Absagen ohne Ende, 50 insgesamt. Das war traumatisch, weil ich davon überzeugt war, dass das ein gutes Buch ist. Ein ganz kleiner Verlag hat es genommen, aber das war auch sehr schwierig. 150 Seiten wurden rausgestrichen.

Dann kam es 2005 als Taschenbuch auf den Markt – und nach einer Weile ruft mich jemand an und sagt: Du bist auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste. Das ist damals rund 100.000 Mal verkauft worden, allein durch Mundpropaganda. Dann kam der Ullstein-Verlag, dann kam das ZDF, dann Goldmann, aber bis ich vom Schreiben wirklich leben konnte, sind noch Jahre vergangen.

Der erste Roman „Das Kindermädchen“ wurde mit dem Schauspieler Jan Josef Liefers verfilmt.

© dpa/Bernd Weissbrod

Das war dann etwa zu der Zeit, als der Film mit Liefers kam?
Das war 2012. Er war ein Star damals, heute ist er ein Superstar dank des Börne-Kults im Tatort, und ich bin ihm sehr dankbar, dass er sich auf den Vernau eingelassen hat. Und auch andere Top-Schauspieler machten mit, Matthias Habich, Natalia Wörner und – worauf ich unglaublich stolz bin – Inge Keller, die ich sehr bewundert habe. Es war ihre letzte Fernsehrolle.

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Alle Vernaus wurden verfilmt bis auf, noch, einen – altert er gut?
Ich schreibe gerade den achten. Ja, der muss jetzt Mitte 50 sein, aber ich sehe ihn immer noch als ewigen Junggesellen, und das horizontale Erzählen spielt bei ihm keine Rolle, es geht um die Themen.

Zwischen all den Vernaus kamen dann später die Kriminalromane mit weiblichen Helden, mit Judith Kepler, Sanela Beara, die historischen Bücher mit Konstanze von Aragon – und die Jugendkrimis um die samische Jungpolizistin Ravna, die am Polarkreis ermittelt. 17 Bücher bisher, dazu Drehbücher, Hörbücher, Recherchereisen, Lesungen, Exposés .... Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Da läuft sehr vieles parallel. Ich bin dem Goldmann-Verlag dankbar, die Leute haben an mich geglaubt und mir immer den Rücken gestärkt. Wir schließen einen Vertag, in dem nur „N.N.“ drinsteht, aber wir wissen, das ist der nächste Vernau, und der kommt 2024/25. Daraus ergibt sich ein Terminplan, in den Recherchen und Lesungen eingebaut werden müssen.

Von Herrmann sehr bewundert: Die Schauspielerin Inge Keller.

© imago images/POP-EYE

Bis man sich dann drei Monate am Stück dem Schreiben widmet.
Die Illusion hatte ich auch mal, aber das funktioniert in meinem Leben leider überhaupt nicht. Ich muss raus, muss unterwegs sein und Menschen treffen, da bekomme ich meine Inspiration. Und dann ist da mein Hexenhäuschen in der Lausitz, der Garten, der Schuppen, es gibt immer was zu streichen und zu verputzen. Das Schreiben ist mühselig, das ist manchmal verzweifelt, das sind
dunkle Höhlen, in die man kriecht, am Rande des Burnouts. Und immer diese Abgabetermine! Und ich muss dann auch mal sagen, es ist Schluss, ich mache bei Seite 400 Pause, weil ich mich auch um was anderes kümmern muss.

Wie kamen Sie zu den anderen Figuren, wenn die Vernau-Sache doch lief?
Die Verkaufszahlen der ersten haben nicht getoppt, da knallt man auf den Boden der Tatsachen, das passiert fast jedem. Und ich hatte die Geschichte dieser Tatortreinigerin, damals gab es nichts darüber, das war zwei Jahre vor der NDR-Serie.

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Und auch da kam diese für Sie typische Verknüpfung mit der deutschen Geschichte ins Spiel?
Ja. Judith Kepler, meine Heldin, findet bei einem Mordopfer, das ihr sehr ähnlich sieht, ihre Akte aus einem DDR-Kinderheim, an die sie selbst niemals rangekommen wäre.

Insofern haben die Romane zwar einen engen Bezug zur Region, sind aber nicht diese typischen Regionalkrimis, die jetzt die Buchläden und Fernsehprogramme verstopfen?
Berlin und Brandenburg sind fast immer der Rahmen, und ich war auch eine der ersten, die wirklich ins tiefe Brandenburg gegangen sind. Aber folkloristisch gibt das wenig her. Im Spreewald gibt es noch spezielles Brauchtum, aber der ist schon besetzt durch die Spreewaldkrimis der ARD – sehr zum Leidwesen der Bewohner, die sich als Freaks dargestellt sehen. Polen kommt bei mir oft ins
Spiel, unsere Nachbarn. In Zielona Góra haben jetzt die Dreharbeiten für „Versunkene Gräber“ begonnen.

Und immer diese Abgabetermine!

Elisabeth Herrmann, Autorin

Ravna, die samische Polizistin, ist eine Ausnahme?
Ja, die Bücher spielen in Vardø, das ist ein Ort oben in Norwegen, in dem ich mal vor sehr langer Zeit mit meinen Eltern war. Angefangen hat das mit der Anfrage einer TV-Produktionsfirma, die eine Geschichte aus dem Ausland haben wollte so wie „Mordkommission Istanbul“. Ich habe mir ausgedacht, dass ein Stadtkommissar wegen eines Falls dort hinreist und eine samische Polizistin trifft. Das war denen aber zu düster, das wurde abgelehnt.

Und Jahre später fragt mich meine Jugendbuch-Verlegerin, ob ich mir nicht vorstellen könnte, dass die Polizistin ein junges Mädchen ist – und das konnte ich, weil die Samen im Grunde nur im Staatsdienst Berufschancen haben, auch in Skandinavien herrscht Rassismus. Dann bin ich nochmal rauf und habe begriffen, dass Vardø mal ein Zentrum der Hexenverbrennungen war, es wurden von 300 Leuten 170 auf den Scheiterhaufen geschickt. Da steht auch ein sehr berührendes Mahnmal von Peter Zumthor und Louise Bourgeois.

Was ist eigentlich ein Jugendkrimi?
Das ist ein Roman mit Kriminalfall, in dem Dinge zur Sprache kommen, die uns Erwachsenen fast schon lächerlich erscheinen. Jugendliche sind unglaublich dünnhäutig und unsicher, finden alles furchtbar wichtig, wissen noch nicht, wie sie sich in die Welt einfügen – das ist die Perspektive der Hauptfigur. Es geht um Freundschaft, Verlust und auch Trauer. Mich hat in Krimis oft gestört, wenn die Hinterbliebenen der Opfer von einer Minute auf die andere wieder voll da sind, das ist im wirklichen Leben doch ganz anders. Ich versuche beim Schreiben immer, mich in mich selbst als Teenager hineinzuversetzen.

Die Bücher mit Ravna, der samischen Polizistin, spielen im norwegischen Vardø, das mal ein Zentrum der Hexenverbrennungen war.

© IMAGO/imageBROKER/Reinhard Pantke

Der Verlag hat da das Etikett „All-Age-Roman“ draufgeklebt.
Ich kenne viele Erwachsene, die das lesen, weil sie die andere Perspektive kennenlernen wollen und eine mit mehr Respekt erzählte Geschichte schätzen.

Aber Joachim Vernau bleibt das Zentrum der Herrmann-Welt – Sie haben die Arbeit am achten Roman begonnen. Was liegt da auf dem Tisch?
Ein Exposé mit neun Seiten, die Basis der Geschichte. Weil es um Saisonarbeiter geht, habe ich schon in verschiedenen Gewerkschaften recherchiert, ich werde demnächst ein Wochenende nach Temeswar in Rumänien fahren, weil viele der Arbeiter von dort kommen. Die Grundzüge liegen fest: Wer ist der Mörder, welche Verdächtigen kommen noch ins Spiel, solche Sachen.

Kann die Geschichte die Autorin noch überraschen?
Aber ja. Im bisher letzten Buch, „Düstersee“, habe ich auf den letzten 30 Seiten noch den Mörder geändert – weil ich dachte, die Lösung wäre zu einfach. Das „Dorf der Mörder“ sollte ein Thriller werden um einen Psychologen, der eine Verdächtige untersucht und feststellt, dass sie den Mord gar nicht begangen haben kann. Ich hab dann eine kleine Polizistin, die den Tatort absperrt, als erfrischendes Element reingenommen – und dann tauchte die wieder auf und wieder. Dann hieß sie Sanela Beara und war plötzlich die Hauptfigur.

Aktuell reden alle von „True Crime“, dem Reiz echter Fälle, wie sie angeblich nur das Leben schreibt. Für Sie ein Thema?
In der Corona-Zeit habe ich für „Echte Verbrechen“ gearbeitet, ein Burda-Projekt mit fantastischen Geschichten, das aber nach sechs Heften eingestellt wurde. Das war zum Teil aber sehr brutal, ich konnte manches davon einfach nicht lesen. Viele Kollegen nehmen das tatsächlich als Inspiration. Aber die Drehungen und Wendungen der Geschichte, die einen guten Kriminalroman ausmachen, finden bei True Crime nicht statt, da geht es ja einzig und allein um den Fall. Als Kick-Off ja, vielleicht, aber ich schreibe lieber Geschichten ohne Blaupause.

Stichwort Realität: Woran liegt es, dass deutsche Autoren kaum Polit- oder Militärthriller nach angelsächsischem Vorbild schreiben?
Ein großes Problem: Der BND, der Verfassungsschutz und leider auch die Berliner Polizei sind kaum bereit, der Fiktion mal die Tür zu öffnen. Man hat wenig Chancen, abseits von Presseterminen ins Gespräch zu kommen. Ales Gansa, der Showrunner von „Homeland“, erzählte mir, dass das FBI sein Team einmal im Jahr eingeladen und mit den neuesten Informationen versorgt hat. Da stapeln sich jetzt auch die Bewerbungen, während unsere Behörden den Nachwuchs mit der Lupe suchen müssen.







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