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In normalen Zeiten Anziehungspunkt für Politiker, Prominenz und Touristen - das Café Einstein Unter den Linden.

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Gastronomie in der Coronakrise: Für das berühmte Café Einstein wird die Lage prekär

Sonst treffen sich hier Politiker und Touristen – auch beim Besitzer des Café Einstein Unter den Linden kippt so langsam die Stimmung. Er fürchtet um die Vielfalt Berlins. 

Willy Brandt blickt jetzt ins große Nichts. Die Stühle auf den Tischen, kein Minister und kein Abgeordneter, die hinten links am besonders gefragten Hinterzimmer-Tisch neue Ideen und Ränkespiele aushecken.

Der einzige Erfolg für Martin Pelz ist in diesen Tagen, dass er einen Friseurtermin für den 5. Mai ergattern konnte. Der Geschäftsführer des Cafés Einstein Unter den Linden hat es über die Osterfeiertage mit Kuchen und Speisen zum Mitnehmen versucht – und viel draufgezahlt. Am Ende schenkte er Taxifahrern die nicht verkauften Torten. Aber da die auch kaum noch unterwegs sind, blieb er auf vielem sitzen.

Keine Politiker, keine Touristen, kein Kiez-Publikum

Keine Politiker, keine Touristen, dazu eine Lage ohne Kiez-Stammpublikum. „Gefühlt kommt bei uns nichts an, außer die Phrasen aus dem Fernsehen“. Pelz ist sauer, sozusagen auf seine Stammgäste – wenngleich er besonders den rot-rot-grünen Senat auf dem Kieker hat. Er berichtet von einem Gastronomen, der seine drei GmbHs in Brandenburg auf einem Formular eintragen konnte, bei 14 Betrieben in Berlin galt es 14 Formulare auszufüllen. Pelz zeigt auf dem Smartphone seine Wartenummern beim Beantragen von Soforthilfen über die Investitionsbank Berlin (IBB). 

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Er hatte noch 151 000 Antragsvorgänge vor sich, wartete vier Tage und wusste, dass er irgendwann nach Mitternacht an der Reihe sein würde. „Dann war ich dran, logg mich ein und werde auf eine Seite geleitet, wo ich eine neue Wartenummer beantragen muss.“ Nun waren angeblich wieder 458 000 Anträge vor ihm. Da resignierte Pelz, ebenso wie bei den möglichen Kredithilfen der staatlichen KfW-Bank. Seine Hausbank, die Commerzbank, weigerte sich trotz positivem Geschäftsergebnis, 90-Prozent-Risikoabdeckung durch die KfW und eigener Garantien, grünes Licht für den Kredit zu geben. „Da hab' ich mir gedacht, jetzt reicht’s.“

Die Küche ist gerade für 300.000 Euro erneuert worden

Es sei ein Witz, wenn die Commerzbank sich als Bank des Mittelstands geriere. Jedenfalls wird Pelz, wenn er mal wieder Gäste haben sollte, seinen politischen Gästen einiges über die Selbstversuche eines Unternehmers, Hilfe zu bekommen, erzählen können. Die Küche ist für 300.000 Euro erneuert worden. Um etwas Licht zu sehen, unterstützte er nach Kräften das Lobbyieren des Hotel- und Gaststättenverbandes für eine Senkung der Mehrwertsteuer bei Speisen von 19 auf 7 Prozent – das soll nun ja ab Juli befristet bis 2021 als Konjunkturhilfe kommen.

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Da gerade die internationalen Gäste, auch wegen der Club-Sperren, noch lange ausbleiben werden, wird die Lage für Martin Pelz zunehmend prekär. Auch Abstandsregelungen sind im Café Einstein mit seinem schlauchartigen Raum nicht so einfach. Die vier Millionen Euro Umsatz, die das Café in normalen Jahren macht, wird es auf lange Sicht nicht mehr geben. Die 61 Festangestellten sind alle in Kurzarbeit, die drei Konditoren haben auch nichts mehr zu tun. 

"Wir sind halt nicht irgendeine Pommesbude"

Der Getränkehändler hat die meisten Lastwagen abgemeldet, um die Versicherung zu sparen. Auch die Tischdecken-Reiniger – auf das blitzsaubere Weiß legt das Einstein besonderen Wert – wissen nicht mehr ein noch aus. „Wir sind halt nicht irgendeine Pommesbude“, sagt Martin Pelz. Da das Wiener Schnitzel ein Markenzeichen ist, will er auch keines „to go“ anbieten. Das sei vom Geschmack nicht das Gleiche wie frisch aus der Pfanne.

"Wir sind keine Pommesbude." Geschäftsführer Martin Pelz vor dem Cafè Einstein.
"Wir sind keine Pommesbude." Geschäftsführer Martin Pelz vor dem Cafè Einstein.

© Georg Ismar

Dem gebürtigen Brandenburger Pelz und seinen Geschäftspartnern, dazu gehören etwa auch das Szenelokal „Grill Royal“ in der Friedrichstraße und das Sterne-Restaurant „Pauly Saal“, geht es noch verhältnismäßig gut. Aber die kleinen Restaurants und Eckkneipen, dazu viele Clubs, könnten sterben, glaubt Pelz. Er kann fast rübersehen vom menschenleeren Einstein zum ebenso leeren Hotel Adlon, dessen Holding er acht Jahre geleitet hat. 

Großinvestoren fragen schon nach den Immobilien einer Steakkette

Er berichtet, dass sich schon Großinvestoren nach den Immobilien einer vor der Pleite stehenden Steakkette erkundigen würden. Generell könne die Marktkonzentration zunehmen und die Vielfalt schwinden, sagt Pelz.

„Viele haben hier unter 25 000 Euro Jahresgehalt, die leben vor allem vom Trinkgeld“, betont Pelz mit Blick auf die Mitarbeiter. Da sei das Kurzarbeitergeld vom Nettolohn halt auch nur eine bedingte Hilfe für die Mitarbeiter. Und jeder Gastronom, der überlebe, werde Jahre brauchen, das Corona-bedingte Loch abzutragen und Kredite zurückzuzahlen. „Natürlich kann man hier auch einen Mc Donalds aufmachen.“ Die Vielfalt Berlins wird weg sein, glaubt Pelz. Ob sich denn mal einer seiner politischen Gäste nach den Alltagserfahrungen mit den Corona-Einschränkungen und den Hilfsangeboten erkundigt habe? „Nein, nichts, gar nichts.“

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