zum Hauptinhalt
Postkarte mit Slogan „Wochenende am Funkturm“ zeigt das Messegelände in Westend. Die Karte trägt einen Poststempel vom 28. August 1936.

© ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / ETH-Bibliothek Zürich/Bildarchiv

Berliner Messe „Das Wochenende“ 1927: Als die Politik Arbeiter für Freizeit im Grünen begeistern wollte

1927 organisierte das Berliner Messe-Amt die Ausstellung „Das Wochenende“, um Arbeiter für Zeit mit ihren Familien an der frischen Luft zu begeistern. Folge 9 unserer Kolumne aus der Geschichte der Berliner Wirtschaft.

Eine Kolumne von Beata Gontarczyk-Krampe

Worauf freut man sich am Montag? Auf Feierabend am Freitag. Das Wochenende beginnt und damit die Freiheit selbst zu entscheiden, wie man seine Zeit gestaltet. Aber um 1927, Jahrzehnte vor man den Sonnabend in Deutschland auch für arbeitsfrei erklärte, müsste man den Menschen „das Wochenenden“ beibringen.

Am 16. April 1927 öffnete Berlins Bürgermeister Arthur Scholtz, ein Befürworter eines früheren Arbeitsschlusses am Sonnenabend, die von der Berliner Messe- und Ausstellungs GmbH organisierte Messe „Das Wochenende“: Auf einem 50.000 Quadratmeter großen Gelände im Schatten des Funkturms könnten die Besucher*innen lernen, wie man zum „Wochenendler“ wird.

Es war eine Welt, in der man sich mit einem Schritt durch von einer nachgebauten grauen Mietskaserne durch ein Brandenburger Tor aus Pappe in die Idylle eines gemalten und gezimmerten Waldes begeben konnte. Es gab Nachbauten des Strandbades Wannsee und stolze 55 Modelle von Wochenendhäusern – für den entsprechenden Wettbewerb für die beste „Datscha“ hatten sich die etablierten Architekten und Maler Hans Poelzig und Greta Lihotzky beteiligt.

 Wochenendhaus für die Christoph und Unmack AG, entworfen von Hans Poelzig (1869-1936).
Wochenendhaus für die Christoph und Unmack AG, entworfen von Hans Poelzig (1869-1936).

© Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin, Straße des 17. Juni 152, 10623 Berlin, Germany / Poelzig Hans

Die Ausstellung zeigte Modelle ganzer Berliner Vororte samt Bahn- und Bus-Verbindungen. Die Organisatoren bemühten sich, den Berlinern zu zeigen, dass ein Wochenendausflug nicht nur der eigenen Gesundheit und Freiheit diente, sondern auch die Volksgemeinschaft stärken würde.

Untersuchungen über die britische Weekend-Kultur hatte gezeigt, wie sehr alle Gesellschaftsschichten, vor allem die Arbeiterklasse, von dem Ausgleich für „die maschinelle Mechanisierung“ profitierten. Unterm Funkturm ging es also nicht nur um den gesunden Körper und Geist jedes einzelnen Berliner Mietskasernen-Bewohners, die Werbung für das Wochenende mit „Luft, Licht und Sonne“ sollte also auch der Volkswirtschaft dienen.

Auch der Trend zum Volkssport versprach gute Geschäfte. 1927 zählte der Deutsche Fußballbund schon fast eine Million Mitglieder. Jeder Spieler brauchte mindestens zwei Paar Hosen, Trikots und Stutzen – plus ein Paar Fußballstiefel. Allein letztere brachten den Herstellern und der Wirtschaft 18 Millionen Reichsmark pro Jahr ein.

Die Engländer mit ihren Wochenendklubs, Angeboten und „National Sunday League“ zeigten, dass in der Freizeitgestaltung ein ganz neuer Industriezweig wuchs. Die Deutsche Wochenend-Bewegung sollte nicht nur den gesellschaftlichen Problemen wie Jugendkriminalität Stirn bieten. Sondern auch den ermüdeten Arbeitern den nötigen Ausgleich für ihre Mühsam bieten – und die Wirtschaft ankurbeln.

Arbeiterklasse im Grünen: Das junge Ehepaar Gretchen und Richard Frädrich. Sie sind hier bei einem Ruderausflug mit einem befreundeten Pärchen (und einem Anhängsel) am Picknickstisch zu sehen. Gretchen Frädrich lebte bis 1985. Richard Frädrich ist auf dem Weg nach Seelow 1945 verschollen. Das Foto stammt aus der privaten Sammlung von Matthias Vorbau, Chefredakteur des Kulturmagazins „Maulbärblatt“.
Arbeiterklasse im Grünen: Das junge Ehepaar Gretchen und Richard Frädrich. Sie sind hier bei einem Ruderausflug mit einem befreundeten Pärchen (und einem Anhängsel) am Picknickstisch zu sehen. Gretchen Frädrich lebte bis 1985. Richard Frädrich ist auf dem Weg nach Seelow 1945 verschollen. Das Foto stammt aus der privaten Sammlung von Matthias Vorbau, Chefredakteur des Kulturmagazins „Maulbärblatt“.

© Maulbeerblatt/Matthias Vorbau

Menschen, die die Stadt entkommen und regelmäßig frische Kraft schöpfen, bringen mehr Leistung, sind belastbarer. Und investieren in alles, was sie sich leisten können, um sich und ihren Familien ein schönes Wochenende zu bieten. Davon profitierten Arbeitgeber genauso wie die Arbeitnehmer – ein seltener Einklang.

Da war es nur folgerichtig, dass sich unter den 320 Firmenausstellern auch Berlins Verkehrsbetriebe, Vorortlinien-Betreiber, Hausbootbauer wie auch Hersteller und Händler für Zelte, Camping-Kochgeschirr und Tragbare Funkgeräte befanden.

Um dem Berlinern auch die Winterwochenenden schmackhaft zu machen, baute man in der alten Automobil Ausstellungshalle zwei Skipisten und eine Rodelbahn. Die 200.000 Kilogramm Kunstschnee aus Waschsoda, Wasser und Sägespänen – Erfindung einen britischen Diplomaten Laurence Clarke Ayscough – konnte das April-Wetter nicht beindrücken. Die Besucher fanden es dufte.

Die Ausstellung „Das Wochenende“ wurde so von Tausenden Berliner und Fremden – wie man damals Touristen zu bezeichnen pflegte – besucht und hinterließ viele Eindrücke und Spuren. Eine findet man heute im Haus Alexander am Groß Glienicker See. Das berühmte Ferienhaus Familie Alexander, verewigt in Thomas Hardings Buch „Sommerhaus am See“, war von einem Besuch bei der 1927er-Ausstellung inspiriert worden. Übrigens, eine empfehlenswerte Lektüre. In dem Sinne, ein schönes Wochenende!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false