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Touristen fotografieren sich mit einem Berliner Bären am Brandenburger Tor in Berlin-Mitte.

© Tagesspiegel/Thilo Rückeis

Tourismus in Berlin: Wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg

Der Tourismus ist extrem bedeutend für Berlins lokale Wirtschaft. Die Landespolitik diskutiert aber nur Randaspekte, meint unser Kolumnist.

Eine Kolumne von Dr. Christoph Sommer

Der italienische Journalist Marco d’Eramo beginnt sein Buch über die „Welt im Selfie“ mit einer steilen These. Wie der Sport oder die Werbung sei Tourismus ein soziales Phänomen, das zwar allgegenwärtig und vertraut sei, aber gleichzeitig „unverdaut und unverarbeitet“.

Ein solch paradoxer Eindruck mag entstehen, wenn man unsere Gegenwart – wie d’Eramo – zum „touristischen Zeitalter“ erklärt. Doch gilt dieses vermeintliche Missverhältnis von Omnipräsenz und Reflexion auch für den Berlin-Tourismus?

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Mal war „Tourismus“ Thema im Abgeordnetenhaus seit dem Jahr 2016

Ein geeigneter Ort, um dieser Frage nachzuspüren, ist das Abgeordnetenhaus. Wo, wenn nicht hier, müsste Tourismus als Aspekt städtischen Zusammenlebens perspektivenvielfältig reflektiert werden. Und siehe da, ein Blick in die Parlamentsdatenbank ist tatsächlich aufschlussreich. Scrollt man sich durch das Suchergebnis zum Stichwort „Tourismus“ wird schnell deutlich: Letzterer zeitigte zwischen 2016 und heute zwar vergleichsweise wenige (117), dafür aber sehr verschiedene Debattenanlässe.

Debatten über Randaspekte

Sieht man von der wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussion über die Unterstützung der Freizeit-, Kultur- und Tourismuswirtschaft während der Corona-Pandemie einmal ab, wurden in den Plenardebatten, Ausschussbefassungen und Anfragen recht spezielle Anliegen problematisiert. So ging es, warum auch nicht, mal um die Übernachtungssteuerbelastung für Sprachreisende, die Potenziale des LGBT-Tourismus oder die Plakatkampagne „Der erhobene Zeigefinger für alle ohne Maske“.

Von wiederkehrendem Interesse sind vor allem zwei Themen. Zum einen ist da die Regulierung der plattformökonomischen Zweckentfremdung von Wohnraum durch Airbnb und Co. Das ist ein Dauerbrenner, der die Stadt im Lichte der fortschreitenden Finanzialisierung des Wohnens vermutlich weiter beschäftigen wird. Man denke nur an neue Geschäftsmodelle, etwa des „Co-Ownerships“, bei denen es um den Erwerb und die Bewirtschaftung von Miteigentumsanteilen an Ferienwohnungen geht.

Touristin mit einem Rollkoffer in Prenzlauer Berg: Kritiker der Tourismuswirtschaft fordern Schranken für Aibnb und einen Hotelbaustopp.
Touristin mit einem Rollkoffer in Prenzlauer Berg: Kritiker der Tourismuswirtschaft fordern Schranken für Aibnb und einen Hotelbaustopp.

© imago images/Seeliger / imago stock&people via www.imago-images.de

Der zweite Dauerbrenner ist die Übernachtungssteuer. Zuletzt sorgte die verfassungsrechtlich wohl mögliche Ausweitung der City-Tax auf Geschäftsreisen für Diskussionsstoff. Hier geht es um die haushaltspolitisch interessante Frage, ob und wie Geschäftsreisende stärker an den Kosten des städtischen Gemeinwesens beteiligt werden sollten. An beiden Themen – Plattformökonomie und Übernachtungssteuer – zeigt sich der Querschnittscharakter von Tourismuspolitik in aller Deutlichkeit. Geht es bei selbiger überhaupt um etwas anderes, als um Wohnungs- und Haushaltspolitik?

Große Unterschiede bei Parteien

Fragt man die tourismuspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Abgeordnetenhausfraktionen zeigen sich durchaus markante Differenzen. In ähnliche Kerben schlagen Julian Schwarze (Grüne) und Katalin Gennburg (Linke). Wir bräuchten „mehr Stadtverträglichkeit statt Ballermann und Besucherrekorde“, meint Schwarze. Wollte man Tourismus nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Stadtentwicklungsfaktor ernst zu nehmen, müssten etwa die vielfältigen – und deshalb touristisch so attraktiven – „Kiezstrukturen“ erhalten werden.

Während Schwarze in diesem Sinne mitunter anregt, den Neubau von Hotels zu steuern, fordert Gennburg nicht nur einen „Hotelneubaustopp“, sondern auch ein „Hotelumbauprogramm“. Dabei ginge es im Rahmen einer „vorsorgenden Flächenpolitik“ darum, leerstehende Hotels zu Wohnraum und für andere soziale Infrastrukturen zu sichern. Nicht das Tourismusmarketing von visitBerlin, sondern der Lebensalltag der Berliner müsse im Zentrum stehen, so Gennburg, die eine „Demokratisierung“ der Tourismuspolitik fordert.

Demgegenüber betonen Robert Schaddach (SPD), Christian Gräff (CDU) und Christan Wolf (FDP) unisono die unbestrittene wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für Berlin. Schaddach meint, dass sich die SPD mit „Nachdruck dafür einsetze, dass Berlin der Ort der Vielfalt und Weltoffenheit bleibe“; wichtig sei es außerdem, dass es zu einer „Entzerrung der Tourismusströme in den Innenstadtlagen kommt“ und die Potenziale der Außenbezirke besser erschlossen werden.

Das sieht auch Gräff (CDU) so, der überdies die Notwendigkeit der Sanierung des ICC herausstellt. Für Wolf (FDP) gehen von einer etwaigen Ausweitung der City-Tax auf Geschäftsreisende, den fehlenden Sonntagsöffnungen und der Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe erwartungsgemäß die „falschen Signale“ aus.

In der Zusammenschau der Positionen kann man sich dem Eindruck nicht erwehren, dass die Berliner Tourismuspolitik bereits zum „old normal“ zurückgekehrt ist. Spätestens 2024, wenn das Besucheraufkommen das Vorkrisenniveaus erreichen wird, werden die tourismuspolitischen Themen wieder die Themen von gestern sein.

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