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Verdi ist mit Abstand die größte Gewerkschaft in Berlin-Brandenburg.

© dpa/Paul Zinken

Unsichtbarer Verdi-Chef für Berlin und Brandenburg: Neue Führung für die größte Gewerkschaft

Nach nur eine Wahlperiode tritt Frank Wolf als Landesbezirksleiter ab. Seine bisherige Stellvertreterin Andrea Kühnemann soll Nachfolgerin werden.

Das war wohl nichts. Nach nur einer Wahlperiode tritt Frank Wolf ab. Vor vier Jahren war der Bankkaufmann als Nachfolger von Susanne Stumpenhusen zum Landesbezirksleiter der mit Abstand größten Gewerkschaft in Berlin-Brandenburg gewählt worden; Verdi hat rund 105.000 Mitglieder in Berlin und knapp 60.000 in Brandenburg. Wolf ist nicht einmal den eigenen Leuten aufgefallen, sodass ein paar Funktionäre auf der zweiten Führungsebene dem unsichtbaren Bezirksleiter nahelegten, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. Das hat der 60-jährige Neuköllner dann auch brav getan. Und den Weg frei gemacht für Anja Kühnemann, die vor vier Jahren zur Stellvertreterin Wolfs gewählt worden war und nun für den Spitzenjob kandidiert.

Wolf nannte gegenüber dem Tagesspiegel „persönliche Gründe“ für seinen Rückzug. Da es in der Organisation große Veränderungen gegeben habe im Zuge der Fusion der Fachbereiche, sei ein „Neustart“ wünschenswert, den er nicht blockieren wolle. Welche Aufgabe er künftig in der Dienstleistungsgewerkschaft wahrnehme, werde nach der Wahl der neuen Führungsspitze Ende Februar entschieden. Als Kühnemanns Stellvertreter kandidiert der 34-jährige Benjamin Roscher, ein gelernter Buchhändler aus Brandenburg. Roscher ist Mitglied der Grünen, Kühnemann Sozialdemokratin.

Frank Wolf führte nur vier Jahren den Landesbezirk Berlin-Brandenburg.
Frank Wolf führte nur vier Jahren den Landesbezirk Berlin-Brandenburg.

© transitfoto/Christian von Polentz

Kühnemann, 1964 in Neukölln geboren, war Sozialpädagogin im Bezirksamt Tempelhof, bis sie von 1996 bis 2019 als Personalratsvorsitzende die Interessen der Mitarbeitenden im Bezirksamt vertrat. Aus jener Zeit kennt sie Klaus Wowereit, ehemals Stadtrat für Kultur und Volksbildung in Tempelhof. Auf die Frage, was sie für den Job an der Spitze von 165.000 Gewerkschaftsmitgliedern qualifiziere, antwortet Kühnemann forsch und ein bisschen selbstironisch: Alles. „Ich kann gut mit Menschen und ihnen zuhören.“ In den vergangenen vier Jahren sei sie als stellvertretende Bezirksvorsitzende für die 180 Verdi-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig gewesen. Sie habe einen Blick für die Zustände innerhalb und außerhalb der Organisation.

Andrea Kühnemann, noch Verdi-Vize in Berlin-Brandenburg, will am 24. Februar zur Vorsitzenden gewählt werden.
Andrea Kühnemann, noch Verdi-Vize in Berlin-Brandenburg, will am 24. Februar zur Vorsitzenden gewählt werden.

© privat

„Das Mitglied steht im Mittelpunkt“, sagte Kühnemann im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Selbstbeschäftigung der Dienstleistungsgewerkschaft, ein Gemischtwarenladen, der in den vergangenen Jahren eine neue Struktur mit fünf statt bisher 13 Fachbereichen bekam, sollte ein Ende haben. „Brandenburg ist mir ebenso wichtig wie Berlin“, verspricht Kühnemann den Mitgliedern auf dem Land. Aber Berlin ist die Stadt des öffentlichen Dienstes, weshalb Verdi hier fast dreimal so viele Mitglieder hat wie die IG Metall. Obgleich die Gewerkschaft 20 Jahre danach noch immer leidet unter den Folgen eines schmerzhaften Sparmanövers.

Die Sparmaßnahmen von 2003 wirken bis heute nach

Der damalige Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske und der Regierende Bürgermeister Wowereit handelten 2003 einen Kompromiss aus, der den Beschäftigten im öffentlichen Dienst eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich brachte. Es gab keine betriebsbedingten Kündigungen, doch viel Ärger wegen der Gehaltseinbußen um rund zehn Prozent: Tausende Mitglieder verließen empört die Gewerkschaft. Die drastische Sparpolitik im damals extrem klammen Berlin hat Verdi und der Stadt respektive den Berlinerinnen und Berlinern geschadet: Überall im öffentlichen Dienst fehlt Personal.

Kühnemann zufolge hat die Gewerkschaft im vergangenen Jahr durch erfolgreiche Tarifauseinandersetzungen in der Charité und bei Vivantes „gut Mitglieder gewonnen“, und die Beitragseinnahmen seien leicht im Plus. Unterm Strich jedoch setzte sich 2022 der Mitgliederschwund fort. Vor allen in schlecht bezahlten Berufen würden sich Beschäftigte aufgrund der hohen Energiepreise den Gewerkschaftsbeitrag sparen und austreten, berichtet Kühnemann. „Es gibt Bereich, in denen wir besser werden können“, sagt die designierte Vorsitzende mit Blick auf die Mitgliederwerbung und nennt Start-ups, die Pflege von Alten und Kranken sowie den öffentlichen Dienst, wo die anstehende Tarifauseinandersetzung genutzt werden soll.

„Die Themen liegen auf der Straße“, meint Kühnemann mit Blick auf die kommenden vier Jahre. Dazu zählten die Zukunft der Häuser von Galeria Karstadt Kaufhof in Cottbus, Potsdam und Berlin sowie der Kampf gegen Rechts, zumal im kommenden Jahr, wenn in Brandenburg gewählt wird. Kühnemann will mit Verdi gegen die AfD agieren.

Zuvor zieht der Landesbezirk um. Der Mietvertrag in der Köpenicker Straße läuft aus, Kühnemann verhandelt derzeit mit potenziellen Vermietern über ein Quartier für 180 Personen. Ein noch schwierigerer Job steht im März an, wenn sie Mitglied wird im rbb-Rundfunkrat. Angst vor der Verantwortung oder einem schlechten Wahlergebnis am 24. Februar sie nicht. „Man hat in den letzten Jahren erkannt, was ich leisten kann.“

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