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Das Maxim Gorki Theater.

© picture alliance/Michael Kappeler/dpa

Berlin ist wieder Exilhauptstadt : Eine neue Theaterrealität

Theaterschaffende, die vor Krisen oder Kriegen fliehen mussten, bereichern längst in großer Zahl die hiesigen Spielpläne, stellt unser Autor fest. Von den Neu-Berliner:innen lässt sich viel lernen.

Mit einer „Winterreise“ fing es damals am Gorki an. Eine Gruppe professioneller Schauspieler:innen aus Afghanistan, Syrien und Palästina unternahm 2016/2017 zusammen mit der israelischen Hausregisseurin Yael Ronen eine zweiwöchige Bustour durch das frostige Deutschland, um die Eingeborenen und ihre teils befremdlichen Sitten, Bräuche und Pegida-Demos kennenzulernen. Es ging um das Gefühl, fremd einzuziehen – und anzukommen.

Diese „Winterreise“ war die erste Produktion des Exil-Ensembles, ein Pionierprojekt seinerzeit. Neu-Berliner:innen sollten ihre Kunst weiter ausüben können. Nicht nur unter sich, sondern auch mit den anderen Kolleg:innen auf der großen Bühne. Am Gorki hat sich das ganz selbstverständlich eingelöst.

Bereicherung der Spielpläne

„Berlin ist nach fast 100 Jahren wieder zu einer Hauptstadt der Exilierten geworden“, sagt Matthias Lilienthal, der für die Berliner Festspiele im Juni das neue Festival „Performing Exiles“ kuratiert, mit Produktionen unter anderem von Künstler:innen aus dem Libanon. Zweifellos hat er recht.

Theaterschaffende, die vor Krisen oder Kriegen fliehen mussten, bereichern längst in großer Zahl die Spielpläne. Am DT präsentiert das Festival „Radar Ost“ nach einer Ausgabe mit spannenden Arbeiten unter anderem aus Belarus („Artist(s) at Risk“) in diesem Jahr einen Länderschwerpunkt Ukraine.

Kein Synonym für Fremdheit

Die Schaubühne hat ihre Saison mit der starken Inszenierung „Sich waffnend gegen eine See von Plagen“ des Theatermachers Stas Zhyrkov aus Kyiv eröffnet. Das Goethe-Institut hat in Berlin einen neuen Exil-Ort geschaffen und wird nach einem Festival mit ukrainischer Kunst den Blick bald auch nach Belarus und Afghanistan richten.  

An die Stelle von singulären Projekten mit Geflüchteten ist längst eine neue Theaterrealität getreten. Nur die Perspektive darauf hält noch nicht ganz Schritt. Es wird zu wenig gesehen, wie viel sich von den Geschichten der Neu-Berliner:innen lernen lässt. Schließlich sind sie überwiegend schon lange krisenerprobt – und nicht wie viele von uns plötzlich in einer anderen Zeit aufgewacht. Exil ist kein Synonym für Fremdheit. Gemeinsame Theaterreisen sind möglich.

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