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Unbeherrschter Herrscher: Mitridate (Pene Pati) lässt sich von seinen Söhnen huldigen.

© Bernd Uhlig

Herzensbruch und Weltenbrand: Mozarts „Mitridate“ an der Staatsoper

Barocktage an der Staatsoper Unter den Linden: Marc Minkowski dirigiert Mozarts Jugendwerk „Mitridate“ in japanischem Dekor.

Am zweiten Adventssonntag bilden sich lange Schlangen auf dem Bebelplatz. Ihr Ziel ist aber nicht die Staatsoper, die gerade ihre Barocktage feiert, sondern der Weihnachtsmarkt, der wegen Bauarbeiten vom Gendarmenmarkt direkt ans Opernhaus herangerutscht ist. Hinter Plexiglasscheiben steht man Schulter an Schulter bei dampfenden Tellern und Bechern.

Der Ansturm auf die Staatsoper-Premiere hält sich dagegen in Grenzen. Mozarts Jugendwerk „Mitridate, Re di Ponto“, mit dem der 14-Jährige dem Mailänder Publikum bewies, dass er auch die italienische Opera seria beherrschte, hat keinen festen Platz im Musiktheaterkanon erobert. Es ist seit seiner Wiederentdeckung vor 30 Jahren ein Fall für Spezialisten geblieben.

Zu ihnen gehören Marc Minkowski und sein fulminantes Orchester Les Musiciens du Louvre, die „Mitridate“ schon bei den Salzburger Festspielen zur Gesamtschau aller Mozart-Opern auf die Bühne hoben. Und weil sich Dirigent und Ensemble auch in Berlin eine treue Anhängerschaft erspielt haben, die in die Oper kommt, auch wenn sie das Stück nicht kennt, schien diese Besetzung ein echter Coup.

Premiere wegen Pandemie verschoben

Dann kam Corona und die Produktion wurde verschoben, Minkowski spielte „Mitridate“ unterdessen auf CD ein, die Aufnahme erhielt hymnische Kritiken. Nun also holt die Staatsoper die Premiere im Rahmen ihrer Barocktage nach, während die Staatskapelle auf Reisen ist. Nach Südkorea hat sie Japan erreicht, am Pult steht Christian Thielemann, der für den erkrankten Daniel Barenboim übernommen hat.

Unter den Linden taucht derweil ein japanisches Team um Regisseur Satoshi Miyagi „Mitridate“ in Ströme von Gold. Ob am mehrgeschossigen Bühnenaufbau oder bei Kostümen bis hin zu den Schuhen, überall gleißt Edelmetall. Wahrscheinlich konnte man die fertiggebaute Luxus-Ausstattung nicht einfach im Magazin lassen. Andere Gründe, diese Inszenierung doch noch zu zeigen, lassen sich schwer ausmachen.

Im Wesentlichen stehen die Figuren einfach nur da, angetan mit schweren Gewändern aus einem Fundus asiatischer Krieger und Gottheiten. Die niedrigen Tapetentüren sind mit Bambusrohr und Fuji-Gipfel beklebt, und wenn jemand abtritt, muss er dafür den Kopf einziehen. Uniformträger schleichen lautlos herum und geben eine wackelige Balletteinlage, die Karikatur eines Bediensteten rennt aufgeregt mit einem Schirmchen umher.

Wie die Personen zueinander stehen, um was es bei „Mitridate“ eigentlich geht – durch die Regie wird man es nicht erfahren. Und so bleibt allein die Hoffnung, dass die Musik entdecken kann, was der junge Mozart aus der ihm aufgegebenen Familientragödie nach einem Drama von Racine um Liebe, Verrat, Loyalität und Krieg geschaffen hat.

Er entwickelt Mitgefühl für die Titelfigur, die im zähen Hass auf den römischen Imperialismus ihr privates Glück und auch das Wohl des Volkes aus dem Blick verliert. Der samoanische Tenor Pene Pati hat eine berückend schöne Stimme, sein erster Auftritt ist eine Wohltat, endlich ein Mensch inmitten dieser goldenen Wüste.

Doch je mehr sich sein Mitridate verstrickt, sein manisches Wesen überhandnimmt, desto stärker wird deutlich: Patis Stimme fehlt der Halt, sie kennt keinen Absprungpunkt für Rage, rutscht hilflos durch die Register.

Der Kontakt zwischen Orchester und Bühne geht verloren

Bei den auf ihrer Tribüne geparkten Sänger:innen fällt ohne jede Ablenkung auf, ob sie ihrer Rolle gewachsen sind. Insgesamt steht Marc Minkowski ein deutlich schwächeres Ensemble zur Verfügung als für seine Aufnahme.

Ana Maria Labin berührt nur wenige Aspekte von Aspasia, der jungen Verlobten Mitridates, die auch von seinen beiden Söhnen Sifare und Farnace begeht wird. Mozart zeichnet in ihr das Bild einer temperamentvollen Frau, die sich nicht ohne Weiteres dem Schicksal ergibt. Auch den Herrscher-Söhnen, die selbst im Aufbegehren noch auf die Liebe des Vaters hoffen, ist der junge Komponist nahe, der gerade von Vater Leopold in Italien zu Markte getragen wird.

Zu den Aktivposten des Abends zählt Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djian, der auch auf Minkowskis Einspielung dabei ist, und dem römervergötternden Farnace etwas Feuer einzuhauchen vermag. Insgesamt aber bleibt es bei einer mageren Ausbeute, die in den Nebenrollen sogar unter Niveau rutscht.

Marc Minkowski ist daran nicht ganz unschuldig. Seine Les Musiciens du Louvre scheinen zunächst die einzig wirklich wachen Mitwirkenden zu sein, ihr Klang ist wunderbar homogen und frisch. Doch mit der Zeit fällt auf, was zu einem wahren Lichtblick fehlt: In einem theatralischen Endlosschwung gefangen, geht der Kontakt zwischen Orchester und Bühne schleichend, aber unwiederbringlich verloren.

In der Pause zeigt die Staatsoper fürsorglich die Alternative auf. Durch eine Seitentür kann man zum Weihnachtsmarkt gelangen, ohne Anstehen und Eintritt, ein Schild weist den Weg. Wer dennoch bei „Mitridate“ bleibt, erlebt Ausstattungslametta und wenig Glanz.

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