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Der ideale Zeitpunkt für die Einschulung ist von Kind zu Kind verschieden.

© Mike Wolff

Weniger Anträge auf Verbleib in der Kita: Berlins Eltern wollen ihre Kinder lieber pünktlich einschulen

Jahrelang wurden rund 4000 potentielle Erstklässler von der Schulpflicht zurückgestellt. Im Coronajahr 2021 ist ihre Zahl unerwartet gesunken – bisher.

Einschulen, ja oder nein? Diese Frage haben Berlins Eltern in diesem Jahr häufiger mit „ja“ beantwortet als in den Vorjahren. Darauf deuten die vorläufigen Zahlen der Senatsverwaltung für Bildung hin. Demnach haben bis zum Ende der Frist Ende Januar erst knapp 2400 Familien Anträge gestellt, damit ihre Kinder noch ein Jahr länger in der Kita bleiben können, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.

In den drei Vorjahren waren es rund 4000. Allerdings können bis Ende März noch in besonders begründeten Fällen nachträgliche Anträge bewilligt werden.

Die geringen Zahlen verblüffen Kitaträger und auch den Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Es gibt Hinweise, dass mehr Eltern als sonst eine Zurückstellung wünschen“, sagte Kitareferentin Dorothee Thielen dem Tagesspiegel. Da die Einschulungsuntersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, geht sie davon aus, dass Eltern je nach Befund noch weitere Anträge stellen werden.

In jedem Fall wird damit gerechnet, dass die Zahl der schulpflichtigen Kinder mit Entwicklungsverzögerungen und Sprachdefiziten erheblich steigen wird: Selbst in normalen Zeiten ohne Kitaschließungen belegen die Auswertungen der Einschulungsuntersuchungen erhebliche Probleme etwa im Hinblick auf die Fein- und Grobmotorik.

Diese Defizite erschweren das Lernen, weil sie sich ungünstig auf die Entwicklung des Gehirns auswirken. Die Kinder brauchen länger beim Erlernen von Schrift und Sprache sowie beim Zahlenverständnis, sodass der Schulbeginn massiv erschwert ist. Für diese Kinder wird meist eine verspätete Einschulung empfohlen – unter der Bedingung, dass sie im verbleibenden Jahr verpflichtend die Kita besuchen.

"Kleine Bugwelle aus dem Pandemiejahr"

Diese Verpflichtung wird allerdings kaum kontrolliert, weil einige Bezirke weder Kapazitäten für die Nachverfolgung vorhalten noch genügend Kitaplätze haben. Das Platzproblem bleibt relevant. „Falls viele Familien ihre Kinder zurückstellen, bekommen wir im nächsten Kitajahr ein richtiges Problem“, warnt Roland Kern vom Dachverband der Kinder- und Schülerläden (DaKS).

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Kern verweist auf eine „kleine Bugwelle verzögerter Kitaaufnahmen aus dem Pandemiejahr“: Die Ein- bis Zweijährigen, deren Eltern sich in den letzten zwölf Monaten aus unterschiedlichsten Gründen – etwa aus Angst vor Infektion – entschlossen hätten, ihre Kinder nicht in die Kita zu geben, kämen jetzt ja noch hinzu.

„Und dazu kommt noch, dass jetzt der Kitaausbau stockt, weil alle Mittel aus Landes- und Bundesprogrammen schon gebunden sind“, fügt Kern hinzu. Wie berichtet, mussten viele freie Träger, die schon fertige Planungen für Neugründungen hatten, ihre Projekte liegen lassen, weil die erwartete Aufstockung der Kitaprogramme ausgeblieben war: „Die Gründungen, die uns also in etwa einem Jahr hätten entlasten können, werden jetzt blockiert oder verzögert“, erläutert Kern.

Diese Kinder sind schulpflichtig

Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas würde sich der Dachverband „sehr freuen, wenn Schul- und Jugendverwaltung gemeinsam für eine ,normale Einschulung‘ werben würden“. Schulpflichtig sind dieses Jahr alle Kinder, die zwischen dem 1. Oktober 2014 und 30. September 2015 geboren sind. Für Kinder, die zwischen dem 1. Oktober 2015 und 31. März 2016 geboren sind, können die Eltern einen Antrag auf vorzeitige Einschulung stellen.

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Die Schulpflicht war 2017/18 um ein Vierteljahr verschoben worden: Zuvor mussten auch Kinder im Sommer zur Schule, die erst fünfeinhalb waren. Der Stichtag lag also nicht auf dem 30. September, sondern auf dem 31. Dezember. Diese Regelung hatte an den Schulen zu großen Verwerfungen geführt und überproportional viele Kinder in die Psychiatrie geführt, weil die Schulen auf diese Kinder nicht eingestellt waren.

Zunächst waren Zurückstellungen unter der Federführung des damaligen Bildungssenators Klaus Böger (SPD) sogar untersagt worden. Erst auf Druck der Kinderärzte, Psychiater, Eltern sowie CDU und Grünen änderte sich das. In der Folge steigerte sich die Zahl der Zurückstellungen im Jahr 2016 auf über 8500, was rund einem Viertel – in manchen Bezirken sogar einem Drittel – der Schulpflichtigen entsprach. Zurzeit liegt der Anteil bei rund zwölf Prozent.

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